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Schnitte der Woche V

Sozialabbau. »In den ersten zwei Monaten soll der Erwerbslose überhaupt kein Geld vom Arbeitsamt bekommen. Danach soll der Betrag Monat für Monat sinken.« So schlug es die Mittelstandsvereinigung der Union vergangene Woche nach Angaben der Süddeutschen Zeitung vor. Die gehen ganz schön ran, die Herren und Damen. Aber sie wollen noch mehr: Nach ihren Vorstellungen wird die Arbeitslosenhilfe nicht nur faktisch, sondern tatsächlich abgeschafft, und alle SozialhilfeempfängerInnen müssen arbeiten für ihr Geld. Wer in Zukunft noch Kündigungsschutz haben will, soll dafür Lohneinbußen hinnehmen.

Dass darüber hinaus alle Beamten, Angestellten und Arbeiter zwei Stunden pro Woche mehr arbeiten sollen, ohne eine Lohnerhöhung zu bekommen, und ein Urlaubstag gestrichen werden soll, sei nur noch nebenbei erwähnt.

Fortsetzung folgt

Grüne Schwalbe

Proteste. Die Grünen denken gerne dialektisch. In Hessen etwa kritisieren sie derzeit die Pläne des dortigen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) zum Sozialabbau, während sie in der Bundesregierung eine treibende Kraft sind, wenn es darum geht, den Arbeitslosen und Rentnern Geld abzuknöpfen. Helmut Angelbeck von der Gewerkschaftlichen Arbeitsloseninitiative Darmstadt (Galida) nennt das »pure Heuchelei«. Also besetzten er und seine Mitstreiter am Montag vergangener Woche kurzerhand das Büro der Grünen in Darmstadt. Man nahm eigens ein paar alte Computerbildschirme mit, um sie aus dem Fenster zu werfen, ein in Glas gerahmtes mitgebrachtes Porträt von Joschka Fischer wurde an einem Schreibtisch zerdeppert. Auf Transparenten war zu lesen: »Arbeitsdienst – nicht mit uns. Hartz, Agenda, Rentenreform: Diebstahl auf breiter Front.«

Diese Botschaften jedoch missfielen Iris Bachmann von den Darmstädter Grünen. Als sie versuchte, die Transparente zu entfernen, und Angelbeck sie daran hindern wollte, kam es zu einer Rangelei. Schließlich tauchte die Polizei auf, die Situation entspannte sich wieder, und die Besetzer zogen ab. Am nächsten Tag allerdings erfuhr Angelbeck davon, dass Bachmann Anzeige wegen Körperverletzung gegen ihn erstattet hatte. »Am Abend hat sie sich offenbar überlegt, dass ihr die Schulter wehtut. Im Fußball hätte man gesagt: eine Schwalbe. Aber wenn der Schiedsrichter pfeift … Einfach unfair.« Auf Protestaktionen will Angelbeck dennoch nicht verzichten. »Wir müssen radikaler werden, sonst hört uns niemand«, sagt er.

Wer muss draußen bleiben?

Prozess wegen Paragraf 129a. Am vergangenen Samstag demonstrierten nach Angaben der VeranstalterInnen über 2 000 Menschen in Magdeburg gegen die Kriminalisierung linker Strukturen, für die Abschaffung des Paragrafen 129a und für die Freiheit von Daniel W., Marco H. und Carsten S. Die drei werden verdächtigt, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein (Jungle World, 43/03), und stehen seit dem 21. Oktober in Halle vor Gericht.

Während des Prozesses gelang es einigen BesucherInnen, den Angeklagten über ausgerollte Transparente und die Aufschriften von T-Shirts Grüße zukommen zu lassen. Die Verlobten der Angeklagten erfuhren jedoch kurz vor Beginn der Verhandlung, dass sie nicht teilnehmen dürfen, denn sie sollen als Zeuginnen vernommen werden. Ob ihre Aussageverweigerung vom Gericht akzeptiert wird, ist unklar, sie müssen noch ihr Verlöbnis nachweisen.

Nicht aus der Verhandlung ausgeschlossen wurde dagegen bislang der Sitzungsvertreter der Bundesanwaltschaft, den die Verteidigung in den Zeugenstand rufen will. Er soll zu dem Verdacht aussagen, er habe während der Ermittlungen Aussagen erpresst.

Mehr Infos: www.soligruppe.de

Bekenntnis gestoppt

Holocaust-Mahnmal. »Mir würde es nichts ausmachen, wenn es Graffiti gäbe«, zitiert der Schweizer Tagesanzeiger Peter Eisenman, den Architekten des im Bau befindlichen Holocaust-Mahnmals in Berlin. Dann aber ließ er sich überzeugen, dass die 2 700 Stelen doch besser aussehen werden, wenn sie eine Antigraffitibehandlung erfahren. Was Eisenman wahrscheinlich nicht wusste, war, dass das Wundermittel mit Namen Protectosil von der Firma Degussa hergestellt wird, die während des Nationalsozialismus die Vernichtungslager mit dem Gas Zyklon B beliefert hatte.

Darüber soll im Kuratorium der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas nach Angaben der FAZ am vergangenen Donnerstag kräftig gestritten worden sein. »Zweimal am Mord an den Juden verdienen, dies geht wirklich nicht«, habe ein Kuratoriumsmitglied nach Auskunft von Lea Rosh gesagt. Gegenstimmen führten an, dass Degussa seine Firmengeschichte während des NS aufgearbeitet habe. Außerdem gehe es »ja gerade darum, sich im Land der Täter und ihrer Erben zu den historischen Verbrechen zu bekennen. (Das Mahnmal) könne nicht ausschließlich von Firmen gebaut werden, die sich im Dritten Reich nicht schuldig gemacht hätten.« (FAZ)

Diese Form des Bekenntnisses zur Vergangenheit ist aber nun vorläufig gestoppt. Bis ein neuer Hersteller für ein Mittel zum Schutz vor Graffiti gefunden wurde, sollen die Bauarbeiten ruhen.

Schreiben ist Gold

Erhöhung der Mehrwertsteuer. Bislang wisse man nur aus »informierten Kreisen« über »geheime Planspiele« der Regierung Bescheid. »Nur sehr wenige Leute« seien an den »vertraulichen Überlegungen« beteiligt, die »Meinungsbildung« noch »nicht abgeschlossen«. Eine Veröffentlichung »verbiete sich« und ein Sprecher des Finanzministeriums »bestritt«, dass es Planspiele gebe, weil »jede Diskussion« darüber »schädlich« sei.

Aber darüber zu schreiben, kann ja nicht so schlimm sein, muss sich die Berliner Zeitung gedacht haben und tat es. »Mehrwertsteuer kein Tabu«, hieß der Artikel. Sein Inhalt wurde vom Finanzministerium dementiert.