Verstörende Schönheit

Phantom/Ghost ist mit »To Damascus« bei aller Ironie eine wahrhaft betörende Platte gelungen. von jörg sundermeier

Schönheit gibt es nur im Kampf.« Diesen Satz soll Walter Ulbricht gesagt haben. Und er hat etwas Richtiges gesagt. Denn schön ist, was sich im Widerstreit zum Hässlichen befindet, Schönheit entsteht durch Abgrenzung. Nach Thomas von Aquin dagegen ist schön, was gefällt. Es müsse ausgewogen sein, dann spreche es die Sinne an.

»To Damascus« von Phantom/Ghost ist eine Platte, die sich zunächst einmal sehr abgrenzt. Denn »To Damascus« ist eine höchst seltsame Platte. »I’m sailing over to Damascus« heißt es beispielsweise im Titelstück. Aber Damaskus ist keine Hafenstadt. Auch die Musik ist ungewöhnlich. Auf der Platte scheint es einen einzigen Sound zu geben, ohne dass man das Gefühl hätte, es würde sich manches wiederholen.

Dirk von Lowtzow und Thies Mynther bilden Phantom/Ghost. Während Lowtzow als Tocotronic-Sänger berühmt wurde, blieb Mynther, ob nun mit seiner Band Allwissende Billardkugel oder seiner Band Stella, eher im Verborgenen. Jeder seiner Live-Auftritte allerdings ist ein Ereignis. Denn Mynther steht bei Konzerten hinter der Orgel wie ein sich selbst und seinem Instrument Fremder. Selbst wenn er tanzt, tanzt er, als ob er nicht in seinem Körper hause. Ein bisschen erscheint er wie ein sittsamer Gentleman, den man gezwungen hat, Pop zu machen. Ausbrüche erlaubt Mynther sich selbstredend, doch sie wirken immer irgendwie beherrscht.

Lowtzow, der bei Tocotronic anfangs für eine gewisse Form der »Ehrlichkeit« stand und in seinen sperrigen Texten versuchte, das jugendliche Lebensgefühl zu konservieren, muss irgendwann gemerkt haben, dass es eine kuriose Form der »Echtheit« ist, wenn man in einer Halle vor 2 000 Fans singt, die wiederum jeden Text wie einen Hymnus begreifen und mitgrölen. So änderte sich zwar das Auftreten der Band Tocotronic, die dem Schrammelrock entsagte, doch bleibt Tocotronic eine Rockband. Und Rock gilt als dem Authentischen verpflichtet.

Und jetzt das: Nach »Phantom Ghost«, der ersten Platte, die gezeigt hat, wie das Duo zusammenfand, ist mit »To Damascus« eine Platte erschienen, die belegt, wie das Duo funktioniert. Mynther ist milder geworden und hat sich auf eine sehr präzise Produktion und eine ausgefeilte Komposition verlegt, Lowtzow dagegen singt mit seiner spröden Stimme wirklich gut. Er singt Textzeilen wie: »I was born with a nervous breakdown« oder »Thank god, it’s judgement day – you are forgiven«. Die Stücke, die zumeist ein sehr langes Intro haben, sind mit großem handwerklichem Geschick konzipiert und mit einer Unzahl von Instrumenten. Daher wirkt die Platte auch nach mehrmaligem Hören unverbraucht; hier entdeckt man noch ein Ornament, dort noch eine Klangspielerei im Hintergrund.

Die Texte sind zumeist sinnfrei. »And how they tortured you / St. Lawrence / And the torture is not yet through / You’re not the man you were before / St Lawrence / since they kicked you out of that door.« Welche Tür? Welche Täter? Was für eine Tat? Es ist egal. Die Geigen versöhnen den ratlos Fragenden, die perlend gespielte Gitarre, der Refrain »How beautiful you are / my sleeping star« machen ihn glücklich.

»St. Lawrence« ist das schönste Stück auf der Platte, es bleibt unverständlich, und die Irritation durch das Sichnichtidentifizierenkönnen nimmt noch zu, da dieses Stück nicht mit kitschigen Einfällen geizt. Mit der Genauigkeit und Detailliertheit, mit der Phantom/Ghost Musikgeschichte zitieren, entstehen letztlich elektronische Lieder, die einfach nur schön sind. Dieses Duo ist interessant, weil es Kitsch wagt und dabei nicht einen Moment lang sich selbst ausstellt. Es schafft Kunst. Mithilfe von Ironie.

Das Wesen der Ironie ist, dass hinter dem Scherz Wahrhaftigkeit aufscheint. Heute, da Pop nur noch selten versucht, eine schöne Scheinwelt zu erfinden, um die Hörerinnen und Hörer zu erfrischen, und stattdessen »ehrlich« wirken will, heute, da alles »gebrochen« ist, also heimlichtuerisch und verdruckst, und alles Zitat sein muss, da alles dekonstruiert wird, bis die Gegenstände, die verhandelt werden sollen, im Geschwätz verschwunden sind, stellt eine solche Platte eine Hoffnung dar.

Mit der Dandyhaftigkeit, mit der Sprödigkeit, mit musikalischem Können und mit der ironischen Haltung der Modernisten ist dem Duo Phantom/Ghost eine Platte gelungen, die weder »tanzbar« ist noch »für daheim«. Sie ist einfach eine Pop-Platte und dabei ein autonomes Kunstwerk. Weil es heutzutage wenige solcher Platten gibt, wirkt die Platte befremdlich. Nun ja, Schönheit ist eh immer verstörend. Weil sie das Hässliche beschämt.

Phantom/Ghost: »To Damascus« (Ladomat2000/Mute)