Allein gegen Kirchner

Sozialproteste in Argentinien von jessica zeller

»Wir sind keine Kirchneristen!« Unter diesem gegen den argentinischen Präsidenten gerichteten Slogan konnten sich alle 32 Arbeitslosenorganisationen wiederfinden, die zu der Demonstration am vergangenen Dienstag im Zentrum von Buenos Aires aufgerufen hatten. Wenn sie auch sonst inhaltlich nicht viel verband – gegen die »Kriminalisierung des Protestes« von Seiten der Regierung waren sie alle.

So fanden sich auf der einen Seite linke Bündnisse wie Aníbal Verón und die Piqueteros der verschiedenen sozialistischen Splitterparteien, auf der anderen Seite waren auch zahlreiche »peronistische« Piqueteros nicht zu übersehen. Obwohl die großen Arbeitslosenorganisationen, die der kritischen Gewerkschaft CTA nahe stehende Federación Tierra y Vivienda (FTV) und die klassenkämpferische Strömung CCC, nicht mobilisiert hatten, waren zur größten Demonstration seit dem Amtsantritt von Nestor Kirchner rund 50 000 Personen auf dem Plaza de Mayo zusammengekommen.

Anlass für die Mobilisierung war die Entscheidung der Regierung gewesen, gerichtlich gegen etwa 3 000 Piqueteros vorzugehen, die vor zwei Wochen mehrere Stunden das Arbeitsministerium besetzt und dort eine Ausweitung der Sozialpläne der Regierung gefordert hatten. Gegenwärtig erhalten rund zwei Millionen Arbeitslose eine staatliche Unterstützung von umgerechnet 50 Euro, im entsprechenden Gesetz sind jedoch vier Millionen vorgesehen. Obwohl sich Arbeitsminister Carlos Tomada zuvor gegen juristische Schritte gegen die Besetzer ausgesprochen hatte, leitete er auf Druck von Kirchner schließlich doch ein Strafverfahren ein.

Die Anweisung des Präsidenten war für viele eine Überraschung. War es sonst Tomada, der dem traditionellen Parteiapparat der peronistischen Regierungspartei (PJ) und damit dem ehemaligen Präsidenten Eduardo Duhalde treu ergeben war, kam diesmal die Entscheidung zur Unterdrückung des sozialen Protests von »progressiver« Seite. Kirchner hatte sich bisher vor allem durch seine Dialogbereitschaft ausgezeichnet, die allerdings nie mit materiellen Zugeständnissen verbunden gewesen war. Kurz vor der Demonstration hatten sich zwar Gerüchte vermehrt, dass den Piqueteros eine Amnestie gewährt werde, trotzdem blieb es bei dem Entschluss zur Mobilisierung. »Der Protest von unten ist die beste Strategie, um den drohenden Prozessen und der Repression entgegenzutreten«, erklärte die Organisation Aníbal Verón sind.

Obwohl vor allem die große Anzahl der Demonstranten als Erfolg gewertet werden kann, ist es doch unwahrscheinlich, dass sich die sozialen Proteste ausweiten. Auch weil die Piqueteros, die sich vor zwei Jahren im Widerstand gegen den damaligen Präsidenten Fernando de la Rúa vereinigt hatten, mittlerweile hoffnungslos gespalten. Während Luis D’Elía vom FTV bekräftigt, Kirchner bis »zum letzten Hemd zu verteidigen«, sehen die Arbeitslosenorganisationen linker Parteien in ihm kaum mehr als eine »Marionette« des IWF. Gemeinsam ist allen Organisationen lediglich, dass sie die von ihnen verwalteten Sozialpläne nicht verlieren wollen.

Das größte Problem für die Piqueteros liegt jedoch in der mangelnden Unterstützung durch die Bevölkerung. Einer Umfrage zufolge sprachen sich 70 Prozent der Einwohner von Buenos Aires kürzlich dafür aus, dass der Staat eingreifen solle, wenn Arbeitslose öffentliche Orte besetzen. Solange sich jedoch weder konkrete Inhalte noch politische Unterstützung bei den Piqueteros festmachen lassen, besteht ihre Aufgabe wohl weiterhin darin, wahlweise Sündenbock oder Armutsverwalter im postneoliberalen Argentinien zu sein.