Alles nur geklaut

Die Firma SCO fordert von IBM drei Milliarden Dollar für das frei zugängliche Betriebssystem Linux. von martha e. meuschke und maia schmid

»These guys are smoking crack.« Linus Torvalds hat nichts übrig für Leute, die ihm nachweisen wollen, dass Teile des von ihm initiierten Betriebssystems illegal seien.

Chris Sonntag glaubt, diesen Nachweis geführt zu haben. »Nun wissen wir endlich, wie Linux sich in ganz kurzer Zeit von einem Hobby-Betriebssystem zur Plattform für Unternehmens-IT (Informationstechnologie) mausern konnte«, sagte im Spätsommer der Vizepräsident der Software-Firma SCO. »Wenn etwas zu gut klingt, um wahr zu sein, dann ist es in der Regel auch nicht wahr«, assistierte ihm sein Chef, Darl McBride.

Das Betriebssystem Linux ist vor allem aus zwei Gründen populär. Erstens kann man es frei aus dem Internet beziehen, zweitens wurde es in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt. Das geschieht öffentlich im Internet und nicht in einer Entwicklungsabteilung. Dabei testen hunderte von Entwicklern das Programm und steuern Fehlerberichte und Verbesserungen bei. Gerade durch diese hohe Transparenz kommt es zur hohen Qualität von Linux.

Seit März strengt SCO ein Gerichtsverfahren gegen IBM an. Nach Meinung des Unternehmens hat IBM, einer der finanzkräftigsten Unterstützer von Linux, eigentumsbehafteten Programmcode in Linux einfließen lassen, wie der Vorwurf des Verstoßes gegen das Urheberrecht etwas hölzern heißt.

Gegenstand der Auseinandersetzung ist der Linux-Kernel, ein Programm, das kaum größer als 1,4 Megabyte ist und bequem auf eine Diskette passt. Ein Kernel regelt die wichtigsten Dinge, die ein Betriebssystem beherrschen muss: Er organisiert den Zugriff auf die Hardware und bringt grundlegende Netzwerkfähigkeiten mit. Das heißt, es ist ein Stück Software, ohne das zwar nichts geht, das aber oft kaum als Betriebssystem wahrgenommen wird.

SCO sieht aber nicht nur IBM auf der Anklagebank, SCO hat auch die gesamte Gnu General Public License (GPL), im Visier, eine Lizenz, die von der Free Software Foundation vergeben wird. Linux bedient sich dieser Lizenz, nach welcher der dem Programm zugrunde liegende Quellcode frei verwendet werden darf, eventuelle Änderungen aber wieder mit der GPL veröffentlicht werden müssen.

Der Quellcode des Linux-Kernels hat inzwischen einen Umfang von über zehn Millionen Zeilen. An mindestens 800 000 von ihnen macht SCO Eigentumsrechte geltend, da sie nach Ansicht des Unternehmens direkt aus den Quellen der Entwicklung des ersten Betriebssystems Unix stammen. Durch eine Kette von Übernahmen und Softwarekäufen kam SCO 1995 zu einem Teil der Rechte an »Unix System V«, dem so genannten Ur-Unix, das Ende der sechziger Jahre in den Bell Laboratories von AT&T entstand. Bereits seit den achtziger Jahren vertreibt SCO auch ein eigenes Unix. Im August präsentierte das Unternehmen nun vermeintliche Belege, die zeigen sollen, dass Programmzeilen ihres Unix mit denen von Linux identisch sind.

Für die vermeintlich illegale Verwendung des Quellcodes verlangt SCO von IBM inzwischen drei Milliarden Dollar. Mit einem Jahresumsatz von weniger als 60 Millionen Dollar spielt SCO nur eine kleine Rolle im Geschäft mit Betriebssystemen. Jahrelang schrieb das Unternehmen rote Zahlen. Zum Vergleich: Red Hat, der Marktführer bei Linux-Distributionen, macht etwa 120 Millionen Dollar Umsatz pro Jahr, IBM über 80 Milliarden.

Immerhin kann sich SCO bei den anstehenden Prozessen auf eine gut gefüllte Kriegskasse verlassen. Seine Aktie verzehnfachte seit Februar ihren Wert von zwei auf 20 Dollar.

Für SCO war es nur konsequent, im Verlauf des Konflikts mit IBM auch sämtliche Firmen einzubeziehen, die Linux vertreiben. Betroffen sind u.a. Red Hat, SuSE und Mandrake, die einen großen Teil des Linux-Marktes unter sich aufteilen. Weder IBM noch die Distributoren zeigen sich jedoch gewillt, den finanziellen Forderungen von SCO nachzukommen. Daher wird sich Anfang des nächsten Jahres das Bezirksgericht von Salt Lake County in Utah mit dem Fall beschäftigen müssen.

Die Gegner von SCO haben dabei gute Chancen, den Konflikt für sich zu entscheiden. Ihrer Meinung nach sind die Code-Beispiele absurd, da die inkriminierten Fragmente längst Allgemeingut und Softwaregeschichte geworden sind.

Zudem wird in Abrede gestellt, dass das von AT&T entwickelte »Unix System V« überhaupt eigentumsbehaftet ist, weil die damaligen Entwickler einer wissenschaftlichen Studie nachgegangen seien und nicht der Entwicklung einer kommerziellen Software. Die Idee, Software als eine käufliche Ware zu etablieren, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboren (Jungle World-Dossier, 22/02). Auch ist die Urheberschaft des von SCO präsentierten Codes teilweise unklar, weil er möglicherweise selbst aus offenen Quellen stammt.

Bei der Auseinandersetzung wird sich das Gericht neben dem Streit um den vermeintlich geklauten Code auch um die Frage der Gültigkeit der GPL Gedanken machen müssen. Immerhin behauptet SCO, die GPL verletze die Urheberrechte und damit die US-amerikanische Verfassung.

Die meisten Anhänger freier Software schätzen den Streit um Linux und seine Lizenz als bloße Verunsicherungskampagne ein. Was SCO mache, diene dazu, Konkurrenzprodukten zu schaden, indem Angst, Unsicherheit und Zweifel bei den Kunden verbreitet werden. Diese Argumentation scheint plausibel, denn seit einiger Zeit erfreut sich Linux steigender Beliebtheit und findet zunehmend Verbreitung im lukrativen Servermarkt. Zum Ärger von Firmen wie SCO.

In einem Interview mit OpenEnterprisesTrends.com äußerte sich Linus Torvalds: »Ich bin ein wenig verunsichert über das US-amerikanische Rechtssystem. Nicht direkt durch SCO, sondern durch seine Willkür. Es sieht so aus, als ob jeder, der ein Geschäft betreibt, das größer als ein Limonadenstand ist, einen Rechtsstreit fürchten muss.« Er sei andererseit schon froh über den Fall, da er zu rechtlicher Klarheit führen werde, auch wenn er sich noch bis 2005 hinziehen könnte.

Ob IBM es tatsächlich bis zu einer endgültigen juristischen Klärung kommen lassen will, ist unsicher. In einem Interview mit der Fachzeitschrift Technology Review erklärte der bei IBM für den Bereich E-Business on Demand zuständige Leiter Irving Wladawsky-Berger: »Es wird eine Lösung geben. Ich glaube, dass Linux durch den Streit auf keine Weise behindert wird. (…) Wir sind sehr zuversichtlich, dass das Problem auf die eine oder andere Weise gelöst wird.« Nicht unwahrscheinlich ist, dass IBM den Konflikt mit einer Übernahme der Firma SCO kurzerhand zu beenden sucht.