Besetzen? Besitzen!

Immer mehr BewohnerInnen ehemals besetzter Häuser wollen ihr Haus kaufen. Mit dem Mietshäusersyndikat gibt es hierfür ein Modell. von christoph villinger

Wir wollen kaufen!« Mit dieser Parole zogen am vergangenen Wochenende die BewohnerInnen des im Jahr 1980 besetzten Wohnprojekts Schellingstraße 6 durch Tübingen. Über hundert linke Gruppen aus dem Südwesten der Republik beteiligten sich an der Demonstration. Und dabei spielte weniger der versprochene Kasten Freibier für die hunderste Zusage zur Beteiligung eine Rolle, als vielmehr die Bedeutung der Schellingstraße als politisches und kulturelles Kommunikationszentrum.

Der Wunsch, das 1981 legalisierte Haus zu kaufen, erscheint nur auf den ersten Blick etwas widersprüchlich. Vielmehr ist es eine der wenigen Möglichkeiten für Hausprojekte, »ihr Haus« zu sichern, wenn die Stadt oder der Staat beginnt, alles was nicht niet- und nagelfest ist, zu verkaufen. Seit 1999 will nämlich der Bund als Eigentümer der Schellingstraße 6 verkaufen, und seit 2001 wollen die BewohnerInnen das Haus erwerben. Nur die Stadt, das Studentenwerk sowie ein Investor aus der Nachbarschaft behindern wegen der verwickelten Eigentumsverhältnisse die Kaufverhandlungen. »Eigentlich wollen wir nur urbürgerliche Werte, wie soziale Eigenverantwortung zu übernehmen und ein Haus kaufen zu können‚ durchsetzen«, erzählt Ingo Riethmüller, einer der 110 BewohnerInnen des ehemaligen Kasernengeländes.

Auch die Oranienstraße 45 in Berlin stand im vergangenen Jahr vor ähnlichen Problemen. Wegen der Aufhebung des Sanierungsgebiets Kottbusser Tor bot die städtische Wohnungsbaugesellschaft Bewoge das 1980 besetzte und seit 1983 legalisierte Haus den BewohnerInnen zum Kauf an. Gleichzeitig drohte sie die den MieterInnen: »Wenn ihr nicht kauft, verkaufen wir an einen Dritten auf dem freien Immobilienmarkt.« Schon im Jahr 2002 kauften die BesetzerInnen der Fritzlaer Straße 18 in Frankfurt am Main »ihr« Haus dem privaten Hausbesitzer ab.

All diesen Fällen gemeinsam ist, dass die ehemaligen HausbesetzerInnen nach einer Lösung suchten für das Problem, kaufen und trotzdem MieterIn bleiben zu wollen. Diese Lösung fanden sie im Modell »Mietshaus in Selbstorganisation« des Mietshäusersyndikats (MHS).

Ende der achtziger Jahre experimentierten in Freiburg HausbesetzerInnen mit verschiedenen Formen der Legalisierung ihrer Häuser und entwickelten schließlich das Syndikat. Rund ein Dutzend Hausprojekte im Raum Freiburg sind mittlerweile im MHS zusammengeschlossen. »Wir haben ein einfaches und praktisches Modell«, berichtet Elke Manz aus dem Koordinierungskreis des MHS. »Und es ist hoch anschlussfähig«, ergänzt Stefan Rost, einer der Gründer des MHS. »Jedes Projekt kann Identitäten für sich produzieren, wie es Lust hat. Da gibt es das ehemalige Kasernengelände der ›SuSi‹ in Freiburg mit rund 250 BewohnerInnen in 45 Wohnungen bis hin zu einer Eigentumswohnung, die ins Syndikat eingebracht wurde.«

Um sich am Syndikat zu beteiligen, organisieren sich die BewohnerInnen in einem Hausverein. Sie müssen den Prinzipien des gemeinschaftlichen Eigentums, sozialgebundener Vermietung und einer Verwaltung ihres Hauses in Selbstorganisation zustimmen. Der Hausverein gründet gemeinsam mit dem MHS eine »Haus GmbH«, die das Gebäude und das Grundstück kauft. Allerdings beschränkt sich das Stimm- und das faktische Vetorecht des MHS in der »Haus GmbH« auf alle Fragen des Verkaufs. So werden Gebäude und Grundstück auf Dauer dem Immobilienmarkt entzogen.

Die BewohnerInnen bleiben MieterInnen, kümmern sich aber um alle mit dem Haus zusammenhängenden Fragen selbst: die Bezahlung der Zinsen und Tilgungen der Kredite für den Hauserwerb, die Bewirtschaftungs- und Betriebskosten sowie eventuell anstehende Renovierungs- und gewünschte Modernisierungsmaßnahmen. Ein- und Auszüge von neuen Mietern sind rechtlich kein Problem. Man geht keine »lebenslange« Entscheidung oder gar Verpflichtung ein.

Bleibt das eigentliche Problem: die Finanzierung des Hauskaufs. Das Finanzierungsmodell des MHS steht auf drei Standbeinen. Zum einen finanzieren sich die Käufe aus Direktkrediten von Privatpersonen, die jeweils zwischen 500 bis zu einigen tausend Euro bei der »Haus GmbH« wie auf einem Sparbuch anlegen. Abgesichert ist der Kredit durch eine Sammelgrundschuld im Grundbuch.

Mit den BewohnerInnen wird ein Zinssatz zwischen null und drei Prozent ausgehandelt, im Augenblick deutlich mehr als bei einer Bank, aber für die »Haus GmbH« immer noch billiger als ein Hypothekkredit. Diesen erhalten die Projekte des MHS meist von der GLS-Gemeinschaftsbank in Bochum. Und als drittes Standbein vergibt die GLS-Bank Bürgschaftskredite. Freun-dInnen bürgen bis 3 000 Euro, damit bekommt die »Haus GmbH« weiteres Geld.

Da beim MHS im Unterschied zu einer Genossenschaft die einzelnen Häuser wirtschaftlich unabhängig sind, regelt ein Solidarfonds die Umverteilung zwischen den Häusern. Alle MieterInnen zahlen mindestens fünf Cent pro Quadratmeter ein, bei den älteren und meist ökonomisch besser gestellten Projekten geht dieser Beitrag bis 25 Cent. Damit bezahlt das MHS neben der Öffentlichkeitsarbeit und der Beratung für neue Projekte auch deren Eigenkapital.

Obwohl das MHS einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz verfolgt und sein Modell eigentlich in jedem Mietshaus für realisierbar hält, finden sich in ihm vor allem Hausprojekte aus den verschiedenen Phasen der »Häuserkämpfe«. Und selbst da spielen auch ökonomische Gründe eine Rolle. Noch vor einem Jahr war für die BewohnerInnen der Oranienstraße 45 in Berlin ein Kauf gemeinsam mit dem MHS zu teuer. »Erst als im Frühjahr die Hypothekenzinsen unter fünf Prozent fielen, entschieden wir uns für das MHS«, berichtet Silvia Colitti Woller.

Gleichzeitig macht vor allem der Wegfall sämtlicher staatlicher Förderungen für Selbsthilfegenossenschaften das MHS in Berlin attraktiv. »Durch die Vielfalt an Leuten können wir alle Wege gleichzeitig verfolgen«, sieht Riethmüller aus der Schellingstrasse eine besondere Stärke des MHS, »Konzepte entwickeln, Wirtschaftlichkeit berechnen, Öffentlichkeitsarbeit gestalten und Politik auf der Straße machen.« Dies könne »unser Gegenüber« meist nicht.

Das MHS besteht inzwischen aus 19 Hausprojekten in ganz Deutschland. Auf der letzten Syndikatsversammlung in Frankfurt am Main konnte Jochen Schmidt vom Koordinationskreis eine besondere Neuigkeit berichten. Vor wenigen Wochen erreichte sie die erste Anfrage aus dem Ausland: aus Barcelona.

Weitere Informationen: www.syndikat.org, www.schellingstrasse.de