Der Glanz von Berlin

Dummy ist eine Art ideelle Fusion von Konkret und Vogue. von jörg sundermeier

In hedonistischen linken Kreisen war es in den achtziger und neunziger Jahren nicht unüblich, sowohl Konkret als auch Vogue zu lesen. Es waren jene Leute, die zwar für die Befreiung und gegen den Kapitalismus waren, die aber dennoch nicht der Ansicht waren, man müsse, um seine politische Haltung stets jedem und jeder anzuzeigen, blaue Overalls und Schiebermütze tragen und ein grässliches Benehmen an den Tag legen. Diese Leute mochten Konkret, weil es hier gut geschriebene Texte und ausführliche Analysen gab, und sie lasen die Vogue, weil das Blatt damals noch Humor hatte.

Unvergessen ist die schlechte Bewertung eines neuen Ferrari-Modells mit der Begründung, dass der Kofferraum einfach zu klein sei. Auch sonst wurde in der Vogue so getan, als ob es auf der Welt keine Probleme gäbe. Solange man Goldringe, Cremes und Catsuits richtig anzuwenden wusste, war die Welt gut eingerichtet und es konnte einem praktisch nichts Böses geschehen. Die Linken blätterten sich durch dieses Blatt, sahen den ganzen Überfluss, vertieften sich vielleicht mal in ein Streitgespräch über den Dritten Weg zwischen der trotzkistischen Schauspielerin Vanessa Redgrave und dem Sozialisten Ekkehard Schall und ließen sich schließlich von den Geschenktipps verwirren.

Nun aber sind die fetten Jahre vorüber; die Vogue, die man früher schon als ziemlich teuer empfand, ist inzwischen selbst für Cafés zu teuer, und man wird, so es überhaupt noch eine Zeitschriftentheke in einem Café gibt, mit Gala, dem Stern und dem örtlichen Stadtmagazin abgespeist.

Was fehlt, ist die Utopie. Denn selbstredend war beim Lesen der Vogue immer auch klar, dass das, was sich hier in Perfektion präsentiert, nicht das sein konnte, was man mit dem Schlachtruf »Her mit dem schönen Leben!« einforderte, waren doch alle hier ausgestellten Waren von schwieligen Arbeiterhänden in irgendwelchen Sweatshops in Südamerika zusammengeschweißt oder von zerstochenen Näherinnenfingern in Taiwan angefertigt worden, also zu Bedingungen, die man sich Anfang der neunziger Jahre in Deutschland, gerade in dessen Westteil, kaum noch vorstellen konnte.

Allerdings schien in der Vogue zugleich die Möglichkeit auf, dass es vielleicht irgendwann genau so sein könnte und dass die Welt eine schönere wird. Es ging darum, möglichst viele schöne Dinge zu bekommen und durch die Schönheit der Dinge, selbt ein schöner Mensch zu werden. Die Vogue konnte man schlechten Gewissens als eine Art Vorschein dessen wahrnehmen, was nach der Revolution zu fordern sei.

Heutzutage aber sieht es übler aus, und an die Stelle dessen, was sein könnte, ist vor allem Depression getreten. Wenn man in eines dieser teuren Magazine hineinschaut, erfährt man nur noch von dem, was ist, und es ist immer wieder nur das ewige Leid der immergleichen Stars, die ihre immergleiche Niedrigkeit und leere Sehnsucht mit den immergleichen Mitteln Alkohol und Drogen bekämpfen. Und da ist niemand mehr, der das ehemals große Versprechen vom Star, der begehrenswert, unerreichbar, ja göttergleich ist, aufrecht hielte. So ist man mit Naddel und Boris per du, weiß, wann Sabrina trinkt und wann Verona gebiert, und ist’s sogar beinahe zufrieden.

In diese Tristesse nun flattert ein Blatt hinein, das so tut, als sei nichts gewesen und als habe sich die Welt nicht in der Weise verschlechtert, wie man es in seiner Frustration annahm. Dummy heißt es, und dieser Titel ist dumm. Zwar ist er nicht so breitmäulig wie der Spiegel oder die Bunte, doch fehlt ihm auch ein gewisser Witz. Dummy – das meint Crashtest, und Crashtest heißt, Dummys vor die Wand fahren zu lassen. Wir alle kennen die Bilder. Ein Kleinwagen wird vor eine Wand geknallt und vier orangefarbene Puppen, die eine Kleinfamilie aus Vater, Mutter, Sohn und Tochter darstellen, werfen den Kopf nach vorn, nach hinten und wieder nach vorn; nicken, nicken, nicken .

Also, dem Titel nach will Dummy den Aufprall. Im Editorial wird behauptet, dass man dieses Heft ganz ohne Rücksicht auf Publikumsbefragungen gestaltet habe; man mache, was man wolle, man sei selbst sein bestes Publikum. Dummy will demnach sogar durch die Wand hindurch. Ein solches Anliegen ist, abseits aller »Wir-sind-so-frei«-Romantik, sympathisch, wenngleich man selbst, in diesen Zeiten, wenn man sich voll individuell gibt, gerade nicht nonkonform ist. Heute ist schließlich jeder sein eigenes bisschen Selbstbehauptung und nicht viel mehr.

In dem Heft, das ein ungewöhnliches Format hat und dessen knapp 160 Seiten mit sechs Euro bezahlt sein wollen, finden sich dann zur angenehmen Überraschung kaum Rezensionen der Produkte, die die Kulturindustrie gerade – »aktuell« sagt man gern – in die Kinos, Platten- und Buchläden stellt, sondern eher Abseitiges. Ein langes Interview mit dem amerikanischen Sex-Experten Dan Savage ist zu lesen, der wie jeder Fachmann viele Dummheiten, doch nicht nur Unwahres sagt; eine außergewöhnlich lange Reportage darüber, wie es ist, wenn man versucht, einen der Brüder Albrecht zu fotografieren. Dazu muss man sich nach Essen-Bredeney begeben, was wiederum zeigt, dass einem offenbar auch die vielen Aldi-Millionen nicht immer helfen können, der schöpfungsschändenden deutschen Provinz zu entkommen. (»Oh Brother where art thou? Karl und Theo Albrecht sind so reich, dass sie sich Unsichtbarkeit leisten können.«)

Gleichfalls und ohne irgendeinen »aktuellen« Anlass gibt es dort eine von dem ehemaligen Spiegel-Mitarbeiter sowie Ex-taz- und Süddeutsche-Redakteur Oliver Gehrs (der zugleich Dummy-Chef ist) verfasstes Porträt von Stefan Aust. Die Nachricht, dass Aust ein nachgebildetes Wrackteil der Estonia in seinem Garten aufgestellt hat und auch sonst ein eher unappetitlicher Patron sei, überrascht nicht wirklich, dennoch ist die Reportage in ihrer Ausführlichkeit erhellend. Außerdem findet sich in der Startnummer eine Reportage über frühe deutsche Kolonialisten in Venezuela, was Schnodderiges von Benjamin von Stuckrad-Barre zum Bordell, und es gibt ein schöne Porträt des Münchener Bohemiens Klaus Lemke. Eher überflüssig wirkt ein Text von Sven Giegold, in welchem der Attac-Mitbegründer ein weiteres Mal seine steilen Thesen vom Gefälle zwischen Erster und Dritter Welt als Originalidee verkauft. Dabei sollte ihm eigentlich klar sein, dass selbst Leute, die ein edel gestaltetes und aufwändig gedrucktes Magazin für den Gegenwert von zwölf Packungen Lidl-Brot erwerben, inzwischen von Schröder, Fischer und der evangelischen Bischofskonferenz gelernt haben müssten, dass etwas nicht so prima ist da unten. Davor, dahinter und nebenher natürlich die obligatorischen Modestrecken. Dummy ist also ein Heft, das niemand braucht, es ist ein klassisches Berlin-Mitte-Produkt, allerdings nicht dumm. Insofern unterscheidet es sich von den anderen Mitte-Produkten, es will ein bisschen mehr als nur Erfolg.

Man kann dieses Heft übrigens auch in dieser Art von Berliner Billig-Kiosken kaufen, die zur Hälfte aus Videotheken bestehen und die vornehmlich vom Verkauf von Bier und vom Verleih von Pornos leben. Dass das Heft aus dem dortigen Angebot hervorsticht, ist natürlich angenehm. Es ist also zu hoffen, dass Dummy, das nicht eben viele Anzeigen aufweist und auch keinen reichen Verlag hinter sich weiß, es schafft. Zumindest in solche Hütten bringt es ein wenig Glanz. Und für Glanz kämpfen wir ja.