»Es gibt braunen Mief im Führungscorps«

Helmuth Prieß

Nach der Entlassung des Brigadegenerals Reinhard Günzel durch Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) wird wieder über rechtsextreme Tendenzen in der Bundeswehr diskutiert. Günzel, der Kommandeur der Kommando Spezialkräfte (KSK), hatte dem Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann (CDU) schriftlich zu seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit gratuliert. Helmuth Prieß ist der Sprecher des Darmstädter Signals, eines Zusammenschlusses kritischer Offiziere und Unteroffiziere. Mit ihm sprach Thies Marsen.

Verteidigungsminister Struck hat nach der Entlassung Günzels gesagt, er sei »fest davon überzeugt«, dass die Bundeswehr »ein demokratisch gefestigter Verband in unserer Gesellschaft« sei. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Wilhelm Schmidt, sagt dagegen, Günzel sei in der Bundeswehr kein Einzelfall. Wer hat Recht?

Schmidt hat Recht. Und zwar deshalb, weil erstens der Fall Günzel in der Geschichte der Bundeswehr nur einer von vielen ist. Und zweitens: So wie es richtig ist, dass Martin Hohmann nicht der einzige in der Bundestagsfraktion der CDU ist, der so denkt, so trifft dies auch in der Bundeswehr zu. Günzel hat Kameraden, die so ähnlich denken wie er.

Wer wie Günzel über 3o Jahre Offizier der Bundeswehr war, davon viele Jahre an exponierter Stelle als Vorgesetzter, der hat nicht die ganze Zeit Kreide gefressen, der hat seinen geistigen Hintergrund auch im Dienst zum Ausdruck gebracht. Und mit seiner Meinung ist er offensichtlich nicht angeeckt. Er ist entweder auf Resonanz gestoßen oder auf technokratisch denkende Offiziere, denen das mehr oder weniger egal ist. Und die, die seiner Meinung kritisch gegenüber stehen, haben offenbar nicht den Mut aufgebracht, eine Meldung zu machen.

Es gab ja Auffälligkeiten in Günzels Laufbahn, auch im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Vorfällen in seiner Einheit. Hat er vielleicht nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Einstellung in der Bundeswehr Karriere gemacht?

Jein. Hätte er solche Sprüche vorher schriftlich niedergelegt, hätte man sich wohl nicht getraut, ihn so zu fördern oder zum Kommandeur des KSK zu machen. Aber in der Bundeswehr werden schon seit eh und je die Soldaten stärker gefördert, die militärisch zackig und kämpferisch auftreten, und auch die Konservativen werden stärker gefördert als etwa die stilleren, sensibleren Leute. Günzel gehört zu den Kämpfertypen.

Eine interne Untersuchung der Bundeswehr hat ergeben, dass 21 Prozent der Studenten an den Bundeswehruniversitäten einem so genanntem »national-konservativen Gedankengut« anhängen. Ist der Rechtsextremismus im Offizierskorps verbreiteter als bei den einfachen Soldaten?

Die Bundeswehr ist konservativer als andere Gesellschaftsgruppen. Und die Bundeswehr ist auch deshalb, weil ihr die Kriegsdienstverweigerer fehlen, ein deutlich nach rechts versetztes Spiegelbild unserer Gesellschaft. Zeit- und Berufssoldaten werden eher Menschen, die an Technik interessiert sind, sie besonders toll finden, und Abiturienten, die sich an Law and Order orientieren und für die Werte wie Ordnung, Sauberkeit und Pünktlichkeit einen besonders hohen Stellenwert haben, während Kreativität, Individualität, Spontanität eher als Störfaktoren empfunden werden. Man braucht sich also nicht zu wundern, wenn man eine überwiegend konservative Armee hat. Der Anteil kritischer Leute beträgt höchstens ein Fünftel.

Immer wieder kommt es vor, dass pensionierte Generäle bei der so genannten Neuen Rechten auftreten oder wie der Generalmajor a.D. Gerd Schultze-Rhonhof, Bücher schreiben, in denen den Polen eine Mitschuld am Zweiten Weltkrieg gegeben wird. Der Rechtsterrorist Manfred Roeder wurde zu einem Vortrag an die Führungsakademie der Bundeswehr eingeladen. Wie eng sind die Verbindungen zwischen dem Offizierscorps und der Neuen Rechten?

Wenn man das genau wüsste, dann wäre uns allen wohler oder wahrscheinlich unwohl. Die Tatsache, dass Roeder, der ja ein bekannter, notorischer Rechtsextremer seit den siebziger Jahren ist, überhaupt in die Führungsakademie reinkommen konnte, ist schon schlimm. Dann hat er noch einen Vortrag gehalten über die Lage der Deutschen in Ostpreußen, ein Thema, bei dem einem demokratisch gesinnten Offizier die Haare zu Berge stehen müssten. Trotzdem gehen zwei Dutzend Stabsoffiziere zu der Veranstaltung und hören sich das nationalistische Geseiere dieses Herrn an, ohne aufzujaulen. Der Auftritt Roeders beweist, dass im Offizierscorps ein beachtliches Maß an politischer Unsensibilität vorhanden ist.

Der Fall Günzel müsste jetzt Thema der politischen Bildung in der Bundeswehr werden. Struck sollte anordnen, dass darüber diskutiert wird, wie es zu so einer Haltung kommen konnte, wie es passieren konnte, dass niemand widersprochen oder es gemeldet hat. Das sind Fragen, die das Innenleben der Streitkräfte betreffen und die nun endlich aufgearbeitet werden müssen. Das wäre wirksamer als ein Untersuchungsausschuss.

Die Bundeswehruntersuchung hat auch ergeben, dass rechte Ausfälle bei den so genannten Eliteverbänden wie etwa bei den Gebirgs- oder Fallschirmjägern besonders oft vorkommen.

Das trifft zu. Das gilt ja auch für Schneeberg, wo vor ein paar Jahren Soldaten Videos mit rechtsextremem Inhalt drehten. Ihr Vorgesetzter war Günzel, damals noch Oberst. Ein Inspekteur der Bundeswehr, der erst vor wenigen Monaten pensioniert wurde, hat mir gesagt: Jedesmal wenn ich in eine Fallschirmjäger- oder eine Gebirgsjägerkaserne muss, bin ich froh, wenn ich wieder draußen bin, denn das Klima dort ist unmöglich.

Und wenn der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr Klaus Naumann bei der Jahresgedenkfeier der Fallschirmspringer bei Pfronten im Allgäu als Redner auftritt, und zwar vor alten Veteranen, die etwa den Überfall der Wehrmacht auf Kreta und die ganzen Verbrechen, die damit verbunden sind, nicht bereuen und stolz ihre Orden tragen, muss einem ja speiübel werden.

Ist die KSK mit einem demokratischen Gemeinwesen überhaupt vereinbar? Über ihre Einsätze in Afghanistan etwa ist nichts bekannt, außer dass sie mit den Amerikanern Terroristen jagt.

Gerade bei den Einheiten, die im Ausland eingesetzt werden, müssten das nationale Recht, das Völkerrecht, das Kriegsvölkerrecht und humanitäre Fragen einen besonders hohen Stellenwert einnehmen. Ich habe die große Befürchtung, dass es bei manchen Soldaten inzwischen eine Tendenz zum Söldner gibt. Nicht bei allen, es sind auch sehr aufgeschlossene Kameraden dabei. Mir scheint dennoch das »Kämpfertum« in einer überdimensionalen Weise im Vordergrund zu stehen.

Die rot-grüne Bundesregierung hat vor ihrem Amtsantritt angekündigt, man wolle gegen rechtsextreme Tendenzen in der Bundeswehr vorgehen. Was ist von dem Versprechen übrig geblieben?

Zur rot-grünen Ehrenrettung möchte ich sagen, dass die Daumenschrauben im Truppenalltag angezogen worden sind, was die Meldepflicht und die Bestrafung angeht. Es hat sich bei der Truppe der Wille eingestellt, Nazigrölereien sofort Einhalt zu gebieten. Das ist eindeutig besser als früher.

Aber auch unter der rot-grünen Regierung heißt es stets, es sind die Wehrpflichtigen, die den braunen Mief reinbringen. Man leugnet, dass dieser Mief auch im Führungscorps der Bundeswehr existiert. Da hat man im Rahmen der politischen Bildung und auch bei der Personalauswahl nicht genug gegengesteuert.