Kleine Kreise

Südosterweiterung der EU von markus bickel

Das Timing von Bundeskanzler Gerhard Schröder stieß in Belgrad durchaus auf Beachtung. Noch bevor er dem kroatischen Regierungschef Ivica Racan Ende Oktober seine Aufwartung machte, sicherte er dem serbischen Premier Zoran Zivkovic volle Unterstützung bei der angestrebten EU-Mitgliedschaft zu. Deutet der erste Besuch eines Bundeskanzlers in Belgrad seit 1985 und der erste in Zagreb nach der von Deutschland kräftig geförderten Unabhängigkeit 1991 auf einen Richtungswechsel der Berliner Regierung zugunsten Serbien-Montenegros?

Mitnichten. Denn wenn der deutsche EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen im kommenden Frühjahr erneut Empfehlungen über den Beginn von Verhandlungen mit Beitrittsaspiranten abgeben wird, wird Serbien-Montenegro nicht auf seiner Liste stehen – Kroatien hingegen schon. Bulgarien, Rumänien und sogar der Türkei bescheinigte Verheugen bei der Vorstellung des EU-Fortschrittsberichts, der die Integrationsbemühungen der Beitrittskandidaten und der Aspiranten dokumentiert, prinzipiell verhandlungstauglich zu sein, trotz einiger Mängel vor allem im rechtsstaatlichen Bereich.

Die von Kommissionspräsident Romano Prodi und dem außenpolitischen Koordinator der EU, Javier Solana, anvisierte Erweiterungsrunde 2007 könnte deshalb mehr Probleme schaffen, als man in der EU erwartet. So warnt der Sonderkoordinator des Stabilitätspaktes für Südosteuropa, Erhard Busek, regelmäßig vor einem »schwarzen Loch«, das zwischen Zagreb und Athen entstehen werde, sollte Brüssel die Aufnahme der Staaten des Westbalkan – Albanien, Bosnien, Serbien-Montenegro, Mazedonien sowie das Uno-Protektorat Kosovo – auf die lange Bank schieben. Im Kanzleramt in Berlin setzt man dennoch auf »mehrere kleine Runden«, die die Staaten Südosteuropas sukzessive an die EU heranführen sollen. 2007 gilt hier nicht unbedingt als Wunschtermin.

Das verwundert nicht, denn auf dem Balkan erreicht außer dem Neumitglied Slowenien kein Land auch nur annähernd die ökonomische Leistungskraft der osteuropäischen Staaten. Bei den wichtigsten wirtschaftlichen Indizes konkurrieren Bosnien, Mazedonien und Albanien allenfalls mit Ex-Sowjetrepubliken wie Aserbaidschan, Armenien oder Usbekistan. Konkrete Beitrittstermine nennt man in Berlin wohl auch deshalb nicht gerne, weil völlig ungewiss ist, wie die EU die Aufnahme der zehn neuen Mitglieder verkraften wird.

Darüber hinaus korrespondiert Schröders »Politik der kleinen Runden« mit dem von Außenminister Joseph Fischer vor drei Jahren vorgestellten Konzept konzentrischer Kreise, einer Neuauflage des bereits in den neunziger Jahren von den CDU-Außenpolitikern Wolfgang Schäuble und Karl Lamers entworfenen Kerneuropa-Konzepts. Im Unterschied zu seinen konservativen Kollegen sicherte sich Fischer vor seiner Rede in der Berliner Humboldt-Universität allerdings bei Frankreichs damaligem Außenminister Hubert Védrine ab. Durch den Zusatz, Nationalstaaten seien eine »nicht wegzudenkende Realität«, nahm er französischen Ängsten vor einer kontinentalen Verbreitung des deutschen Föderalismusprinzips die Spitze.

Gut möglich also, dass Berlin und Paris bei der Kandidatenkür für die nächste EU-Erweiterungsrunde gemeinsam die Führung übernehmen. Historisch stimmig ist die Auswahl der Euro-Aspiranten ja schon heute. Mit der Aufnahme Kroatiens als altem Bündnispartner Deutschlands sowie den traditionell frankophilen Ostbalkanstaaten Rumänien und Bulgarien könnten die Interessen beider EU-Führungsmächte befriedigt werden. Nur in Belgrad muss man sich eben noch eine Weile gedulden.