Schwedischer Auflauf

Prozess und Hausdurchsuchung nach Göteborg

Die GlobalisierungskritikerInnen protestieren gegen die Abriegelung einer Schule, die ihnen als Unterkunft diente. Berittene Polizeieinheiten treiben die Menge auseinander, drei Polizeiautos werden beschädigt. Diese Schäden betrachtet der schwedische Oberste Gerichtshof inzwischen als Folge des harten Polizeieinsatzes.

Doch eine 28jährige Berlinerin, die nach Göteborg reiste, um im Juni 2001 gegen den EU-Gipfel zu demonstrieren, steht seit Anfang November vor dem Berliner Landgericht. Sie soll in Göteborg die Heckscheibe eines der Autos mit einer zum Speer umfunktionierten Latte malträtiert haben. Etwas später wurde sie von der schwedischen Polizei verhaftet und nach zwei Tagen zur Rückreise entlassen. Erst im Sommer 2002 erfuhr sie von dem Ermittlungsverfahren, das in Deutschland gegen sie lief. Der Vorwurf lautet auf schweren Landfriedensbruch.

Die deutsch-schwedische Zusammenarbeit bei der strafrechtlichen Aufarbeitung der Göteborger Ereignisse funktioniert bestens. Dieser Prozess ist der vierte, der in Deutschland angestrengt wurde, nachdem die schwedischen Behörden ihre Ermittlungsergebnisse übermittelt hatten. Zwei Berliner und ein Bremer Globalisierungskritiker sind in diesem Jahr bereits belangt worden.

Die Angeklagte bestritt am ersten Prozesstag den Vorwurf. Ihr Verteidiger, Wolfgang Kaleck, stellte die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts in Frage, da der Tatbestand des schwedischen »Valdsamt Upplopp« nicht mit dem schweren Landfriedensbruch hierzulande vergleichbar sei. Denn »Upplopp« heißt so viel wie »Auflauf«. Während hier für den Tatbestand des Landfriedensbruchs ein konkreter Schaden nach einer konkreten Tat vorliegen muss, ist beim schwedischen »Auflauf« die Absicht der Gruppe ausreichend. Kaleck beantragte ferner die Aussetzung des Verfahrens, bis das gesamte Video- und Fotomaterial aus Schweden geliefert sowie eine umfassende Akteneinsicht möglich sei.

Die Anklage hingegen stützt sich auf die Aussage eines Polizisten, der den Speerwurf gesehen und die Täterin an einer grauen Jacke erkannt haben will. Ein im Prozess gezeigter Videozusammenschnitt der Göteborger Ereignisse belegte in erster Linie, dass graue Jacken keine Seltenheit in Göteborg waren und somit erhöhte Verwechslungsgefahr bestand.

Der Prozess trägt in jedem Fall zur Förderung des innereuropäischen Reiseverkehrs bei. Sechs schwedische Zeugen waren geladen, deren Reisekosten die Angeklagte bei einer Verurteilung zu zahlen hat. Zum Folgetermin wurden drei Polizisten erwartet, von denen nur einer die Tat gesehen haben will. Das Urteil war für den Dienstag dieser Woche angekündigt.

Mehr als zwei Jahre nach den Ereignissen in Göteborg ermitteln die deutschen Behörden munter weiter. In der vergangenen Woche durchsuchten sie die Wohnung eines weiteren Berliners. Ihm wird vorgeworfen, während der Gipfeltage Steine und Feuerwerkskörper auf Polizisten geworfen zu haben. Die Beamten beschlagnahmten neben einigen Kleidungsstücken auch einen Computer. Nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung kam der Betroffene wieder auf freien Fuß.

arne norden