Bettelstudenten jobben

Kaum zu glauben: Die soziale Lage der Studierenden wird immer besser. Denn die ärmeren Schichten werden schon vorher aussortiert. von daniél kretschmar

Lediglich ein Fünftel der Studierenden in Deutschland schätzt nach der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks die eigene finanzielle Situation als schwierig ein. Die Frage, warum es trotzdem alle paar Jahre wieder Proteste an den Hochschulen gibt und welche Rolle dieses ärmere Fünftel dabei spielt, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten. Besonders die Konstitution der Gruppe »Studenten« ist dabei einer besonderen Betrachtung wert.

Wesentlich bestimmt wird deren Zusammensetzung durch die Form der Studienfinanzierung, die in der Bundesrepublik traditionell auf der elterlichen Unterhaltspflicht basiert. Menschen, die ansonsten als erwachsen anerkannt und behandelt werden, müssen bis zu ihrem 27. Lebensjahr mit dieser seltsamen Entmündigung leben.

An den deutschen Hochschulen laufen Hunderttausende junger Menschen von Vorlesung zu Vorlesung, schreiben Arbeiten über Atomspaltung, Toni Negri, über Städteplanung oder den Genderaspekt in der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts, ihren Unterhalt aber bestreiten sie durch Zuwendungen ihrer Eltern. Sind diese nicht vermögend genug, gibt es als Alternative eine Art familiären Offenbarungseid beim Bafög-Amt, dessen Erfolg unsicher ist und zudem auch noch von einem detaillierten Nachweis regelgerechten Studienverhaltens abhängt.

Unter diesen Bedingungen ist es nur verständlich, dass inzwischen zwei Drittel der Studierenden den unweigerlich auftretenden Zwängen zumindest teilweise durch eine eigene Erwerbstätigkeit zu entkommen suchen. Diese Quote steigt mit zunehmendem Alter erheblich. Während der Beginn eines Studiums materiell von den Eltern oder den Ämtern relativ unkompliziert finanziert wird, lässt der Geldsegen mit fortschreitender Studiendauer deutlich nach.

Die Lohnarbeit wird dann von einem Mittel zur Ergänzung des Budgets zu einer existenzsichernden Notwendigkeit. Es gibt bei der Art und der Bezahlung dieser Erwerbstätigkeit sehr deutliche Unterschiede, die in der Regel vom Wohnort und vom Studienfach abhängen. Dabei gilt die Faustregel, je geisteswissenschaftlicher das Studienfach und je kleiner der Studienort, umso studienferner und schlechter bezahlt ist die Erwerbstätigkeit. Die Durchschnittseinkommen der Studierenden sind trotzdem relativ hoch, etwa im Vergleich zu denen der Auszubildenden in der freien Wirtschaft: vor allem wegen der Mischform der familiären und staatlichen Förderung und den Einkünften aus der Lohnarbeit.

Studierende sehen sich also konfrontiert mit einer zwar ungünstigen, aber nicht aussichtslosen Lage. Die Finanzierung ihres Studiums hängt ab von der Familie, den Ämtern und dem prekären Arbeitsmarkt. Dazu gesellt sich die Erfahrung einer durch chronische Unterfinanzierung verursachten permanenten Verschlechterung der Studienbedingungen.

Insofern handelt es sich bei den wiederkehrenden Streiks an den Hochschulen um einen sozialen Protest, der sich diffus gegen jene richtet, die für die Unterfinanzierung des Bildungssystems verantwortlich gemacht werden, in der Regel gegen die jeweiligen Landesregierungen. Die Proteste wurden zuletzt aber immer kurzatmiger und vor allem in ihren Erscheinungsformen und Inhalten immer weniger radikal. Ein Grund hierfür ist die extrem hohe Anpassungsfähigkeit der Studierenden als Gruppe.

Eine Veränderung der materiellen Studienbedingungen, der Regeln zur Studienfinanzierung und der fachlichen Ausrichtung der Hochschulen hat leicht messbare Auswirkungen auf die Zusammensetzung dieser Gruppe. Die soziale Struktur der Studierendenschaft richtet sich anhand der Einkommenssituation der Eltern neu aus. Das war bei Einführung des Bafög im Jahr 1971, damals noch als Vollförderung, besonders deutlich zu beobachten. Immer mehr Kinder aus ärmeren Familien konnten die Hochschulen besuchen. Dieser Trend ist seit Jahren rückläufig.

Hier wird die Besonderheit des Status »Student« deutlich. Andere soziale Gruppen, wie etwa Sozialhilfeempfänger, werden nach ihrem Einkommenstand statistisch erfasst, während Studierende über eine Tätigkeit definiert werden, die sie nur mit einem bestimmten Einkommen überhaupt erst aufnehmen können. Eben deshalb geht es den Studierenden eigentlich nie schlechter. Ihre soziale Lage kann nie schlechter sein, als es die objektiven Bedingungen zulassen.

Dass es trotzdem Studierende gibt, die mit sehr geringen finanziellen Mitteln auskommen müssen, ist eher ein »positives« Zeichen, so paradox das klingen mag. Es ist wenigstens einigen von ihnen noch möglich zu studieren oder wenigstens den Status »Student« zu erlangen.

Diese Gruppe hat nun allen Grund, den Protest zu organisieren, denn sie ist es, die bei einer weiteren Verschlechterung der Situation die Hochschulen verlassen muss. Bei dieser Gruppe fällt die Polemik gegen Studiengebühren noch am ehesten auf fruchtbaren Boden. Haben die Proteste jedoch keinen Erfolg, riskieren genau diese 20 Prozent der Studierenden, dass ihnen der unvermeidliche Zeitverlust durch Proteste und Streiks später ganz real in Rechnung gestellt wird.

Die Solidarität der besser gestellten Studierenden ist also die einzige Chance, dass auch für die finanziell schlechter gestellten die Tür zu den Hochschulen offen bleibt. Diese Solidarität zu wecken, ist eine der selbst gestellten Aufgaben der Asten und der Gewerkschaften. Diese versuchen oft, an das rein materielle Interesse der Masse der Studierenden zu appellieren.

Wenn die Leute sich mit ihrer eigenen Situation befassen, so lautet das Kalkül, bemerken sie die prinzipielle Ungerechtigkeit und solidarisieren sich mit jenen, deren Situation noch schlechter ist, im besten Falle auch mit denen, denen der Hochschulzugang ganz verwehrt ist. Das funktioniert jedoch meistens nicht. 80 Prozent der Studierenden können sich nach Erhebungen 500 Euro Gebühren leisten. Zu mehr als einer schwachen Protestkundgebung reicht es bei dieser Gruppe nicht.

Die Lage für die schlechter gestellten 20 Prozent ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht gerade viel versprechend. Jede weitere Verschlechterung der finanziellen Situation müssen diese Studierenden mit verstärkter Erwerbstätigkeit ausgleichen, was wiederum direkte Auswirkungen auf die Dauer ihres Studiums hat. Je länger sie studieren, umso unwahrscheinlicher ist es, dass sie zu einem Abschluss kommen.

Die soziale Lage der Studierenden gibt also entweder keinen Anlass oder keine Möglichkeit zum sozialen Protest. So erklärt es sich auch, dass die erfolgreichsten studentischen Protestbewegungen immer auch ein politisches Moment besaßen, das über die Hochschulgrenzen hinaus Bedeutung hatte. Die interessante Frage ist also weniger, ob die Studierenden gegen Studiengebühren demonstrieren, sondern wogegen oder wofür noch.