Wir verleihen Flügel

Mit der LTU können urlaubsreife Menschen in die Ferien fliegen. Andere werden dahin gebracht, wohin sie gar nicht wollen. von tom binger

Die LTU weiß, was den Menschen gut tut. Freiheit über den Wolken: Tagesausflüge, Tagesevents … Sie wollen hoch hinaus? Wir verleihen Flügel! Mit diesem Slogan wirbt die Abteilung für »AdHoc-Charter Sales« der LTU um Kunden. Den zahlungskräftigen unter ihnen wird einiges geboten: Bordunterhaltung und Wunschansagen, Spezialservice und Sonderausstattung, Modenschauen an Bord und Vip-Status am Flughafen.

Doch nicht alle Fluggäste nehmen das Angebot der LTU freiwillig in Anspruch. Ungefähr einmal im Monat startet am Düsseldorfer Flughafen ein Airbus 321 der LTU nach Istanbul. Mit diesen Sonderflügen werden jeweils rund 100 türkische Staatsbürger mit abgelaufener Aufenthaltsgenehmigung abgeschoben. Die meisten von ihnen sind Kurden.

Lassen Sie sich verwöhnen: je nach Abflugzeit und Flugdauer servieren wir kalte und/oder warme Mahlzeiten – passend zur Tageszeit. Doch während die einen mit Sekt und Champagner und Kaviar verwöhnt werden, reicht es bei den anderen nur zu abgezählten belegten Brötchen und Mineralwasser. Für die Beamten des BGS und der Bezirksregierung Düsseldorf, die die Abschiebeflüge begleiten, gibt es auf den Rückflügen Sekt und Bier. Die LTU bietet eben allen Kunden genau das Richtige für ihre Ansprüche.

Seit dem Sommer bemühen sich antirassistische Gruppen darum, die verborgenen Geschäftsfelder der LTU ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Bereits im Juli gab es anlässlich eines Abschiebefluges eine Demonstration im LTU-Abflugterminal des Düsseldorfer Flughafens, und auch das antirassistische Grenzcamp in Köln protestierte im August mit einem Aktionstag gegen die Abschiebungen aus Düsseldorf. Einen Tag vor dem bisher letzten Abschiebeflug am 22. Oktober erhielt die Düsseldorfer Konzernzentrale unerwünschten Besuch. 50 Antirassisten versuchten, die Mitarbeiter über die Aktivitäten ihrer Firma zu informieren und der Geschäftsführung ein Airbusmodell mit einem Logo der Kampagne deportation class zu überreichen.

Nach dem Vorbild einer früheren Kampagne gegen die Deutsche Lufthansa drohen die Antirassisten dem Unternehmen mit einer langfristigen Imageschädigung. »Solange die LTU an dem Geschäftsfeld Deportationsflüge festhält, werden wir mit unserer Imagebeschmutzung fortfahren«, verspricht Iris Müller, die Sprecherin der Kampagne.

Doch die LTU zeigt sich von den Protesten bisher wenig beeindruckt und hält weiter am Geschäft mit den Abschiebungen fest. Das Unternehmen bewirbt sich um jeden einzelnen dieser Abschiebeflüge bei der Düsseldorfer Charterfirma Air Traffic GmbH und erhält rund 50 000 Euro pro Flug. Die LTU stellt ihre Flugzeuge und ihr Bord- und Bodenpersonal zur Verfügung, während Air Traffic im Auftrag der Landesregierung Nordrhein-Westfalens für die logistische Abwicklung sorgt. Nach Auskunft der Unternehmensführung ist die LTU zur Zeit in ihrem touristischen Kerngeschäft nicht ausgelastet und deshalb im Rahmen des laufenden Sanierungsprogramms auf die Abschiebeflüge angewiesen.

»Mit jedem dieser Flüge sichern wir das Jahresgehalt eines unserer Mitarbeiter«, rechtfertigte sich der Geschäftsführer der LTU, Jürgen Marbach. An den zehn im vergangenen Jahr nachgewiesenen Abschiebeflügen verdiente seine Firma immerhin eine halbe Million Euro.

Noch im Herbst des Jahres 2001 stand die LTU kurz vor dem Konkurs. Erst ein Darlehen der Westdeutschen Landesbank und der Stadtsparkasse Düsseldorf in der Höhe von über 100 Millonen Euro, abgesichert mit einer Bürgschaft des Landes, rettete im Dezember 2001 das marode Unternehmen vor dem Ruin. Die Vermutung liegt nahe, dass diese kurzfristige Rettungsbeihilfe und das erfolgreiche Engagement der Landesregierung bei der EU-Kommission für eine längerfristige Unterstützung der LTU das Unternehmen gegenüber dem Land zu Gefälligkeitsdiensten verpflichtet.

Solche Dienste sind nötig, denn aus Düsseldorf wird kräftig abgeschoben. Allein im Jahr 2002 liefen über diesen Flughafen insgesamt 5 919 Abschiebungen. Damit ist Düsseldorf nach Frankfurt die zweitgrößte Drehscheibe für Abschiebungen in der Bundesrepublik. Der Flughafen hat sich auf Sammel- und Charterabschiebungen spezialisiert. Alle zwei Wochen gibt es etwa Abschiebeflüge nach Belgrad und nach Pristina.

Für Familien mit Kindern gibt es bei LTU jetzt einen speziellen Kids & Family-Check-in. Abgeschoben werden oft ganze Familien. Die Betroffenen werden in so genannten »unangemeldeten Aktionen« auf dem Ausländer- oder Sozialamt oder in ihren Wohnungen festgenommen und direkt zum Flughafen gebracht. Sie haben weder die Möglichkeit, einen Anwalt zu sprechen, noch können sie ihren Besitz oder ihre Ersparnisse mitnehmen. Damit sie am Zielflughafen nicht völlig mittellos landen, erhalten sie von einem kirchlichen Abschiebebeobachter »Einzelfallhilfen« in Höhe von durchschnittlich 42 Euro pro Person. Doch selbst dieses Almosen geht dem nordrhein-westfälischen Innenministerium zu weit. Unter Verweis auf die fehlende Rechtsgrundlage wird die Einrichtung eines entsprechenden Haushaltstitels verweigert.

Auch schwer kranke und behandlungsbedürftige Menschen werden aus Düsseldorf abgeschoben, da die Ausländerämter oft ärztliche Atteste über die Reiseunfähigkeit der Flüchtlinge ignorieren. Wehren sich Betroffene gegen diese Behandlung, kommt es oftmals zur Anwendung »unmittelbaren Zwangs« durch die Sicherheitskräfte. Bei einer versuchten Abschiebung nach Istanbul am 5. Mai dieses Jahres verlor der in Krefeld lebende Kurde Hamdin Bartu wegen eines Übergriffes eines städtischen Ordnungsdienstes einen Schneidezahn und erlitt Prellungen an der Schulter, am Jochbein und am Kopf. Nur wegen eines Eilantrags konnte der psychisch kranke Kurde in letzter Minute aus dem Flugzeug geholt werden. Eine andere ebenfalls an diesem Tag mit Gewalt aus ihrer Wohnung geholte schwangere Frau erlitt später in Istanbul eine Fehlgeburt. Das Wohl werdender Mütter liegt uns besonders am Herzen.

Solche Fälle von Misshandlung, Körperverletzung, Amtsmissbrauch und Hausfriedensbruch passen selbstverständlich nicht zum Image der LTU, die sich gerne mit ihrem Engagement für den Schutz des Regenwaldes brüstet oder kostenlos für den Duisburger Zoo Koala-Bären aus Australien einfliegt. Und spätestens wenn es zu schweren Verletzungen oder Todesfällen kommt – das zeigt der Fall des im Jahr 1999 in einer Lufthansa-Maschine getöteten Sudanesen Amir Ageeb –, interessiert sich auch eine größere Öffentlichkeit für diese Vorgänge.

Der nächste Abschiebeflug der LTU nach Istanbul startet am 15. Dezember in Düsseldorf