Für den Aufstand!

Die Studierenden handeln politisch und solidarisch mit anderen gesellschaftlichen Gruppen. von harald pittel

Nach Jahren des regionalen Neben- und Nacheinanders hat sich endlich wieder eine Streik- und Protestbewegung in ganz Deutschland gebildet. Dies gab es seit 1997 mit vergleichbarer Schlagkraft nicht.

Während sich bei den Streiks der vergangenen Jahre Studierende in der Frage der Einführung von Studiengebühren für LangzeitstudentInnen noch gegeneinander ausspielen ließen, hat die gerade begonnene Debatte über die Streichung des Gebührenverbots aus dem Hochschulrahmengesetz viele eines Besseren belehrt. Zudem lässt sich in der öffentlichen Diskussion über die Auswirkungen der Agenda 2010 kaum verbergen, dass StudentInnen von den Auswirkungen der marktradikalen Politik ebenso wenig ausgenommen bleiben wie ArbeitnehmerInnen und arme Leute. Die Studierenden haben verstanden: Alle sitzen im gleichen Boot.

Beachtlich ist, dass Vollversammlungen nicht nur in den Bundesländern zustande kommen, in denen Gebühren- und Streichungspläne gerade erst verkündet wurden, sondern auch dort, wo die ersten Proteste längst wieder abgeflaut sind. Die Solidarisierung mit allen vom Sozialabbau Betroffenen ist mehrheitsfähig geworden, wie sich auf vielen Versammlungen zeigt. Nicht ohne Grund richten sich die Demonstrationen am 13. Dezember nicht nur gegen den den Bildungs-, sondern auch gegen den Sozialabbau. Dies ist eine deutliche Absage an eine sich als unpolitisch verstehende, ständisch gedachte Interessenvertretung.

Auch die studentische Protestbewegung ist nicht ohne Widersprüche. Während aber 1997 angesichts der übermächtig erscheinenden schwarz-gelben Regierung jedes noch so ideologisch verquere Argument gegen Studiengebühren erlaubt war, macht die heutige Streikgeneration klarere Aussagen über den sozialen Kontext ihrer Proteste. Gleichzeitig ist die Tendenz erkennbar, dass auch potenzielle Bündnispartner, insbesondere unter den Gewerkschaften, den Versprechungen, Studiengebühren führten zu einer sozial gerechten Umverteilung, keinen Glauben mehr schenken. Vielmehr begreifen sie diese Argumente als Mittel der Spaltung der von den Kürzungen im sozialen Bereich gleichermaßen Betroffenen.

Zwar gibt es noch immer keine kontinuierlich aktive, laute und große Bewegung, die mit vereinten Kräften die Einsparungen, die Privatisierungen und Liberalisierungen unter marktradikalen Leitbildern anprangert. Mittlerweile aber wollen viele Gruppen nicht mehr nur für ihre Partikularinteressen kämpfen, da dies angesichts angeblich leerer Kassen im Spardiskurs immer als Sicherung des eigenen Vorteils zu Lasten anderer ausgelegt wird. Die ohnehin als privilegiert geltenden Studierenden stehen hier besonders unter Verdacht. Es liegt in der Verantwortung aller Streikaktivisten, die Mitstudierenden über den sozioökonomischen Zusammenhang der Misere im Bildungsbereich aufzuklären.

Dass ein Großteil der Studierenden die Proteste nur distanziert wahrnimmt und nicht wenige in konformistischer Haltung Studiengebühren nur deshalb ablehnen, weil sie dem Standort Deutschland schadeten, kann den aktiven studentischen ProtestlerInnen nicht zum Vorwurf gemacht werden. Auch 1968 und in den Jahren danach war es eine überschaubare, aber politisierte Menge, die soziale Errungenschaften, wie etwa die Demokratisierung durch die Einführung der Gruppenhochschule und einen leichteren Zugang zur Bildung, erkämpft hat. Und ständisches Denken gibt es leider bei allen Gruppen.

Die Studierenden profitieren auch von einem im Vergleich zum Jahr 1997 sichtbar höheren Organisationsgrad. Der studentische Bundesverband fzs sorgt für die überregionale Koordination und hält im europäischen Dachverband Esib Kontakt mit den Protestierenden in den Nachbarländern Frankreich, England, Rumänien oder Dänemark.

Die sich abzeichnende Europäisierung der Proteste schafft eine größere öffentliche Aufmerksamkeit, die soziale Dimension wird betont. Dennoch ist es noch ein weiter Weg bis zu einer effektvollen internationalen Koordinierung der Bewegungen. Die Forderungen, die Studierende aus Europa auf Veranstaltungen wie dem Europäischen Bildungsforum oder dem Europäischen Sozialforum erhoben haben, sind bislang bestenfalls schwammig und kaum geeignet, studentischen Interessen vor europäischen Institutionen Gehör zu verschaffen.

Wenn aber die Studierenden am kommenden Wochenende in ganz Europa auf die Straße gehen, wird man Solidaritätsbekundungen mit den anderen Opfern der Marktgläubigkeit nicht vermissen.