Aus dem letzten Loch

Die Verhaftung Saddam Husseins schwächt den ba’athistischen Terror, könnte aber den Islamisten nutzen. von jörn schulz

Immerhin 750 000 Dollar in bar hatte der Flüchtige noch bei sich, aber ihm fehlte die Möglichkeit zum Einkaufen. Die Kleidung Saddam Husseins lag in seinem Versteck, einer Bauernhütte nahe Tikrit, verstreut herum. Auch auf Haarpflege und Rasur scheint er keinen großen Wert mehr gelegt zu haben. Viel Besuch hat der ehemalige Dikator in letzter Zeit offenbar nicht empfangen.

»Redselig und kooperativ« sei der Gefangene, erklärte Generalleutnant Ricardo Sanchez bei einer Pressekonferenz am Sonntag. Zumindest enttäuschte er die Erwartungen seiner Anhänger und lieferte den kurdischen und amerikanischen Soldaten, die ihn aufspürten, kein letztes Gefecht, um als Märtyrer zu sterben. Stattdessen versteckte er sich in einem Erdloch und wartete, bis man ihn ausgegraben hatte.

Obwohl über Saddam Husseins Festnahme schon bald Verschwörungstheorien kursieren dürften, wird sein wenig heroisches Verhalten bei der Mehrheit der irakischen Bevölkerung dazu beitragen, den Mythos Saddam weiter zu schwächen. In vielen Städten kam es zu spontanen Jubeldemonstrationen. Bereits in der Vorwoche hatten erstmals Iraker gegen den Terror des »Widerstands« protestiert. Auch Paul Bremer, der Vorsitzende der Coalition Provisional Authority (CPA), hofft auf ein Ende der Anschläge: »Dies ist eine neue Gelegenheit für die Mitglieder des alten Regimes, ihre erbitterte Opposition zu beenden.«

Der Regierung der USA kommt der Fahndungserfolg sehr gelegen, denn gute Nachrichten aus dem Irak waren selten geworden. Am Sonntag explodierte eine Autobombe vor einer Polizeiwache in Khalidiya, mindestens 18 Menschen wurden getötet. Wenige Tage zuvor war bekannt geworden, dass 300 der 700 für die neue irakische Armee rekrutierten Soldaten wegen der schlechten Bezahlung den Dienst quittiert hatten. Innenpolitische Kritik musste die US-Regierung in letzter Zeit nicht nur von den üblichen Verdächtigen hinnehmen. So spottete auch der ehemalige republikanische Kongresssprecher Newt Gingrich, CPA müsse wohl mit »Can’t Produce Anything« übersetzt werden und resümierte: »Amerikaner können im Irak nicht gewinnen. Nur Iraker können im Irak gewinnen.« Und selbst der für seinen überschäumenden Patriotismus berüchtigte Fernsehsender Fox lässt Major Bob Bevelacqua regelmäßig die Besatzungspolitik kritisieren.

Konventionelle Streitkräfte, so die Quintessenz der Kritik von Militärexperten, sind nur Zielscheiben, und mit schweren Waffen durchgeführte Fahndungs- und Vergeltungsaktionen bescheren den USA nur neue Feinde. Nun wird, wie Samuel Hersh im New Yorker berichtete, eine vor allem auf die Special Forces gestützte Strategie gezielter Einsätze kleiner Gruppen vorbereitet.

Bislang haben weder die CPA noch der irakische Regierungsrat und die informellen Milizen der Parteien eine Methode gefunden, die Welle von militärischen Angriffen und terroristischen Anschlägen einzudämmen. Ein zentraler Grund für die dürftigen Erfolge war der Mangel an human intelligence. Eine große Mehrheit der Iraker wollte Saddam Hussein schon immer tot oder im Gefängnis sehen, doch wer in den ba’athistisch dominierten Gebieten lebte, konnte es kaum wagen, sich gegen den »Widerstand« zu wenden. In Teilen des so genannten sunnitischen Dreiecks im Zentralirak übten die Ba’athisten noch immer eine informelle Kontrolle aus.

Das vom ehemaligen Exiloppositionellen Kanan Makiya als »Republik der Angst« bezeichnete System hatte stärkere Nachwirkungen als erwartet. Viele Iraker fürchteten eine Rückkehr der Diktatur, da die Besatzungsmächte weder deren Führer noch dessen Anhänger gefangennehmen konnten. Die Bereitschaft, Informationen über die Terrorgruppen zu geben, dürfte nun steigen.

Die Umstände der Gefangennahme deuten darauf hin, dass Saddam Hussein die ba’athistischen Terrorgruppen nicht operativ geführt hat. Kommunikationsgeräte wurden bei ihm nicht gefunden, und man kann annehmen, dass er sich vor persönlichen Treffen mit Parteikadern wenigstens die Haare gekämmt hätte. Seine von arabischen Medien verbreiteten Erklärungen aber wurden als Handlungsanweisungen akzeptiert, und sein Überleben im Untergrund hielt die Hoffnung aufrecht, doch noch zu Macht und Pfründen zurückkehren zu können.

Profitieren werden von Saddam Husseins Verhaftung allerdings zunächst die islamistischen Terrorgruppen. Sein Regime war für die Islamisten immer ein ideologisches Problem. Ungeachtet der »Islamisierung« der irakischen Gesetzgebung, die den koranischen Körperstrafen gleich noch einige selbst erfundene Maßnahmen wie das Abschneiden der Ohren von Deserteuren hinzufügte, blieben tiefgreifende Differenzen.

Saddam Hussein, der lange gehofft hatte, Nachbarstaaten annektieren oder wenigstens dominieren zu können, zog den arabischen Nationalismus der Idee der Ummah, der islamischen Gemeinschaft vor. Sein Verhältnis zur Sharia war allzu offensichtlich taktisch bestimmt. Sein Antisemitismus und seine Feindschaft gegenüber den USA jedoch machten Saddam Hussein den Islamisten sympathisch, die sich zudem die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollten, die Empörung in der islamischen Welt über den Irakkrieg für ihre Zwecke zu nutzen.

Ussama bin Laden hatte vor dem Krieg gewarnt, dass der Jihad nur unter wahrhaft islamischer – also seiner – Führung siegreich sein könne. »Ja, wir können nicht leugnen, dass wir überrascht waren, wie leicht sie in Bagdad eindringen konnten«, kommentierte die al-Qaida nahe stehende Webseite al-Nidaa im April den schnellen Erfolg der »Kreuzfahrer«. Die Gründe für das Versagen waren schnell gefunden: eine falsche Militärstrategie, die auf konventionelle Streitkräfte statt auf Guerillaaktionen setzte, vor allem aber ein Mangel an »Standhaftigkeit«. Denn nur wer »die Vorschriften des Islam wirklich befolgt«, so bin Laden, kann gegen die »so genannten großen Mächte« siegen. Saddam Husseins unrühmlicher Abgang aus seinem Erdloch stärkt diese Argumentation, und zweifellos werden die Islamisten versuchen, die nun führungslos gewordenen Ba’athisten in ihre Reihen zu integrieren.

Diese weitere Blamage in der an Fehlschlägen nicht armen Geschichte des arabischen Nationalismus könnte sogar das Kräfteverhältnis im gesamten nahöstlichen Rechtsextremismus beeinflussen. Einzig in den palästinensischen Gebieten gibt es nun noch nationalistische Gruppen mit street credibility. Diese Konstellation könnte den Islamisten helfen, ihren Anspruch auf die Führung des Kampfes gegen »Juden und Kreuzfahrer« durchzusetzen.

Andererseits wird nun auch die arabische Linke, die derzeit mehrheitlich nationalistische Positionen unterstützt, auf die neue Lage reagieren müssen. Auf der Kairoer Konferenz der Internationalen Kampagne gegen die Besatzungen durch die USA und den Zionismus sagte man am Wochenende noch ungebrochen »Ja zum Widerstand im Irak und in Palästina«. In den Arbeitskreisen wurden jedoch auch kritische Fragen diskutiert: »Wer sind unsere Verbündeten? Unsere Feinde?«

Das Bündnis mit dem arabischen Nationalismus und der Verzicht auf den Klassenkampf gegen die nationalen Oligarchien hat in den vergangenen Jahrzehnten die Linke marginalisiert. Sowohl die irakische KP, die mit den Besatzungsbehörden kooperiert, als auch die Arbeiterkommunistische Partei, die sich dieser Zusammenarbeit verweigert, lehnen Bündnisse mit dem rechtsextremen »Widerstand« ab. In einer politischen Kultur, die auch in der Linken stark von einem militaristischen Männlichkeitswahn geprägt ist, könnte die Entzauberung des Mythos Saddam zumindest einen psychologischen Beitrag dazu leisten, dass diese Position auch in anderen arabischen Staaten Fuß fassen kann.