Deutsch muss nicht sein

Ein Beitrag zur Debatte, ob sich deutsche Popmusik in Deutschland derzeit wohler fühlt denn je. von jörg sundermeier

Geht man offenen Auges durch ein so genanntes alternatives Kulturzentrum, so ist man immer wieder überrascht. Auf den Plakaten, die zu Demonstrationen, Protestaktionen oder Veranstaltungen locken sollen, findet man immer wieder folgende Motive: junge Leute, sehr gut angezogen, mit modischen Haarschnitten, oder aber Kinder.

Dass einen niedliche Kinder oder Pippi Langstrumpf zu einer Demonstration holen sollen, ist sehr einfach zu erklären. Es geht denjenigen, die sich bei dem Layouten des Plakates viel Mühe machten, die allerdings offensichtlich wenig von Bildsprache wissen, darum, Unschuld oder Zukunft auszudrücken. Also kämpfen »wir« für unsere Kinder (selten), oder aber »wir« sind die Kinder (oft). Das heißt, dass »wir« mit großen Augen vor Vater Staat und Mutter Polizei stehen und doch nur unsere Schokolade, beziehungsweise das schöne Leben wollen. Und die bösen Eltern verweigern sich unseren Wünschen, deswegen muss man wütend auf den Boden treten, beziehungsweise man geht demonstrieren oder zündet ein paar Mülltonnen an.

Wenn die Plakate aber modische Leute zeigen, die sehr gekonnt schlunzig aussehen, teure Markenturnschuhe tragen, nicht selten ebenso teure Markenoberbekleidung, dann hat man es mit einer Plakatkunst zu tun, die modern und »poppig« sein will.

Mit diesem Appell an die Jugendlichkeit soll ebenfalls ein Bedürfnis nach Identifikation befriedigt werden. Selbst Kaderkommunisten haben inzwischen erkannt, dass Fotos von Massen nicht mehr wirken, denn sie zeigen zumeist ältere Menschen in grauen Regenjacken, die verbissen selbstgemalte Transparente hoch halten. Solche Leute jedoch, also Leute, denen die Rente oder Sozialhilfe wahrscheinlich schon gekürzt ist, die durchaus dem Alkohol zusprechen und deren Nerven in unzähligen linken Gesprächszirkeln zerrüttet worden sind, sind keine Vorbilder. Diese Leute nämlich demonstrieren, was Linke zumeist nicht wissen wollen: dass Auseinandersetzung mit Politik kein Geld bringt und alles Engagement nur wenig Spaß. Daher werden auf Plakaten diejenigen gezeigt, die sich noch verbrauchen können. Und die dem entsprechen, was täglich aus dem Musikvideofernsehen, aus der Werbung und den Modemagazinen lächelt.

Nun konnte, solange die Oberfläche als verachtenswert galt und der bürgerliche Wertekanon von Tiefe redete, das demonstrative Herzeigen von Oberfläche und das Verweigern von Tiefe durchaus ein rebellischer Akt sein. In Zeiten allerdings, in denen auch den bürgerlichsten Leuten bereits ein Harald Schmidt »das Denken« repräsentiert, in denen die Besprechungen von Boygroup-CDs in den Feuilletons nicht mehr nur verdruckst zwischen die Jazz- und Klassikbesprechungen geschoben werden und in denen sich eine deutsche Regierungspartei einen »Popbeauftragten« leistet, ist diese Oberfläche, der schöne Schein, Pop eben, für politische Zwecke nicht mehr zu gebrauchen. Daher hören unzählige Konservative mit großem Genuss den Song »Timebomb« von Chumbawamba, und Jimi Hendrix’ Version der amerikanischen Nationalhymne gilt längst nicht mehr als skandalös. Wenn sich Angela Merkel auf einem Robbie-Williams-Konzert antreffen lässt, wird sie aus dem Publikum mit freudigen »Angie! Angie!«-Rufen begrüßt.

Wenn in diesem Kontext nun eine grundnaive und kommerziell nicht allzu erfolgreiche Band wie Mia Deutschland entdeckt oder ein mit wenig Routine zusammengestelltes Lifestyle-Magazin aus Berlin plötzlich Deutsch heißt, dann ist das selbstverständlich ärgerlich, jedoch kein großer Skandal mehr. Welcher Linke trägt David Bowie nach, dass er sich in den Siebzigern von der nazistischen Ästhetik begeistert zeigte? Kaum jemand weiß noch, dass Paul Simon und andere Popgrößen zu Apartheidszeiten in Südafrikas Vergnügungszentrum Sun City auftraten, wenige wissen überhaupt, dass Blur sich einmal für Tony Blair engagiert haben, und niemand hasst irgendwelche senegalesischen oder brasilianische Popstars dafür, dass sie sich in Krisenzeiten zu ihrem »Vaterland« bekennen. Ebenso wenig, wie es junge, »Imagine« singende Christen heute dem großen John Lennon verübeln, dass er einst festgestellt hatte, dass die Beatles beliebter als Jesus seien.

Eine Band wie Mia bekennt sich nun also allzu freimütig zu ihrer Liebe zu Deutschland und versucht damit, ein bisschen Aufmerksamkeit zu erheischen, Udo Lindenberg tut dies auch, um einen Batzen Geld abzugreifen. Das ist eklig, ja sicher, nur ist es nicht an sich erschreckend.

Erschreckend wird das Ganze erst, wenn man sich von einer in linken Kreisen ganz gern gehörten Neo-Pop-Punkband Mia überhaupt etwas erhofft hat. Mia spielten in diesem Jahr auf einer alles andere als nationalistisch gesinnten 1. Mai-Kundgebung, sie waren, nun ja, das Unterhaltungsprogramm. Ein Denkfehler der Poplinken ist es, sich mit diesem Unterhaltungsprogramm identifizieren zu wollen, genauso, wie sie die Hochglanzmagazine rein halten wollen von nationalistischen Tendenzen. Mal abgesehen davon, dass es in anderen, weitaus verbreiteteren Hochglanzmagazinen von Bekenntnissen zum besten Deutschland nur so wimmelt – woher kommt die Aufregung?

Es gab in der so genannten Poplinken stets Debatten um das »richtige« Hören. Dass Professor Griff von Public Enemy ein Antisemit sei, wollten viele nicht zur Kenntnis nehmen, da doch die Musik so toll und andersartig und berauschend war, heute wird aus der nämlichen Motivation immer wieder Eminem gegen nahezu jeden Vorwurf verteidigt. Das ist ein müßiges Unterfangen. Was aber für Poplinke offensichtlich nicht zulässig ist, ist der Gedanke, dass einer, der ein derartiges Arschloch wie Eminem ist, doch gute oder zumindest gefällige Kunst machen kann.

Die Sehnsucht nach Identifikation erlaubt es den Poplinken nicht, zuzugeben, dass auch sie sich für eine gewisse Ästhetik des Bösen oder des Hässlichen anfällig zeigen.

Das Problem ist nicht, dass Mia, ähnlich wie so viele andere Identifikationsfiguren im deutschsprachigen Pop, sich zu Deutschland bekennen und dass Compilations erscheinen, die »Neue Heimat« oder »Heimatkult – German Liedgut« heißen, als »progressiv« gelten und etwas »Neues«, gar das »Neue Deutschland« verheißen wollen.

Das Problem ist eher, dass überhaupt noch jemand von diesen Compilations oder den angesprochenen Stars in seiner Identifikationssehnsucht enttäuscht werden kann. Selbstredend gibt es neuerdings, wieder einmal, eine neueste deutsche Welle, das war in der nationalistischen Stimmung, die dieses Land gerade prägt, eigentlich nicht anders zu erwarten. Kein wie auch immer gearteter Pop kann demgegenüber eine Hoffnung darstellen.

Pop an sich ist, da integriert und akzeptiert, genauso eine Scheiße wie alles andere. Mal schön, mal weniger. Mal mag man ihn, mal nicht. Retten aber kann Pop ebenso wenig, wie Mia es allein schaffen könnten, Nationalisten heranzuzüchten. Dazu fehlt ihnen die Größe und die Wirkung. Auch dass die Platten von Mia in einer Szene wirken, von der man sich gern erwarten möchte, dass sie keine Heimat kennt, hat wenig Bedeutung.

Nur dank der Unschuldssehnsucht auf Seiten der Berufsjugendlichen kann ein dummer Song doch noch dazu führen, dass er ein bisschen Wind macht. Niemand ist gezwungen, Mia zu hören, niemand ist gezwungen, Deutsch zu kaufen, niemand kann dazu gezwungen werden, in nationalistischer Popmusik einen Verrat am Ideal zu sehen. Dieses Ideal gibt es nur auf dem Papier, die Produzenten von Popmusik bekümmert es längst nicht mehr.