Die Spitze des Eisbergs

Iceberg Slims Klassiker »Pimp« liegt erstmalig in deutscher Übersetzung vor. von walter weber

Pimp«, die autobiografischen Erinnerungen des afroamerikanischen Autors Iceberg Slim (Robert Beck, 1918–1992) an die vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts, sind im Original bereits 1967 in den USA erschienen. Der Hamburger Europa-Verlag präsentiert jedoch erst jetzt die erste Übersetzung des Buchs in deutscher Sprache. Viel Zeit ist also zwischen der amerikanischen Erstausgabe und der ersten deutschen Übersetzung verflossen. Als hätte er es geahnt, widmete Iceberg Slim noch zu Lebzeiten eines seiner Bücher »der Zeit, weil sie einem Erinnerungen beschert und Falten«.

Noch 1976 sind offen rassistische Karikaturen von H.E. Köhler in deutschen Tageszeitungen erschienen, die Schwarze wie auf dem Naziplakat zur »Entarteten Musik« darstellten – mit dicken weiß umrandeten Lippen und buschigen Augenbrauen. Auch der Klappentext für Louis Armstrongs auf Deutsch erschienene Biographie »Mein Leben – Mein New Orleans« wies 1953 darauf hin, dass ihr Autor »mit dem unbekümmerten Temperament seiner Rasse plaudern« würde. Zu dieser Zeit gab es in den USA bereits den Kampf gegen die Segregation, zu dieser Zeit wurde aus dem Zuhälter Robert Beck der Schriftsteller Iceberg Slim. Ein halbes Jahrhundert später bezeichnete diesen der schottische Autor Irvine Welsh als kulturelle Ikone.

In den USA gehört »Pimp« inzwischen zum Kanon der Black Studies. Zwölf Millionen Exemplare wurden von Iceberg Slims Büchern verkauft. Sogar eine rare Schallplattenaufnahme (»Reflections«), auf der er zur Musik eines Jazztrios seine Texte spricht, veröffentlichte man in den Neunzigern wieder. Auch in »Pimp« finden sich Verweise auf den Combojazz der Vierziger, auf Zoot Suits, Soul Food und andere Elemente der afroamerikanischen Kultur. In »Sweet Badass«, einem Blaxploitation-Film aus den Siebzigern, finden sich Zitate aus Becks Lebensgeschichte, genauso wie bei aktuellen Gangstarap-Typen, die die Figur Iceberg Slim als Folie für ihr eigenes Bad-Boy-Image benutzen.

Robert Beck zeichnet in »Pimp« den Weg von Young Blood, dem Kleinkriminellen, zu Iceberg Slim, dem Zuhälter, nach: Er berichtet davon, wie er als Kleinkind von seinem Vater an die Wand geschmissen wurde, bevor der sich davon machte. Ein Freund seiner Mutter killt seine Katze, indem er sie gegen eine Betonwand klatscht.

Irgendwann passt sich Iceberg Slim seiner Umwelt an. Als Teenager vertreibt er sich die Zeit mit Glücksspiel. Statt die Schule zu besuchen, überredet er seine Freundin, für ihn auf den Strich zu gehen. Als Zuhälter will er dann immer einen Schritt schneller sein als das Gesetz und die Konkurrenz. Dass er noch fieser sein muss als die anderen, um zu überleben, das bringt er sich bei, weil er lieber ein Trickster sein möchte als ein Schuhputzer oder Hotelpage. »Es gibt nur zwei Pässe, die in der Welt gültig sind: Weiße Hautfarbe oder ein Haufen Geld«, schreibt Iceberg Slim. Da er den ersten nicht erwerben kann, fällt die Wahl zwangsläufig auf den zweiten Pass. Um an den zu gelangen, wird er menschenverachtend und gewalttätig.

Iceberg Slims Erzählungen sind frauenfeindlich und homophob. Für 500-Dollar-Anzüge und ein Näschen Koks prügelt er die Frauen, die für ihn anschaffen gehen, mit dem Kleiderbügel. Wenn die Prostituierten keine Lust haben, bei Regen auf Freier zu warten, sollen sie gefälligst zwischen den Tropfen gehen. Solche Tipps schnappt er von väterlichen Pimps auf, in deren Gesellschaft er sich am wohlsten fühlt. Iceberg Slim quält nicht nur Frauen, er berichtet auch aus seiner eigenen Hölle: Das setzt bei einer Kindesmisshandlung ein und macht Zwischenstationen im Knast und in der Gosse.

»Belege für den Frauenhass, den ich in meiner Community beobachtete«, schreibt die Autorin Ramona »Sapphire« Lofton im Nachwort der deutschen Übersetzung, »fand ich nicht bei Alice Walker oder Toni Morrison, sie bestätigten sich bei Iceberg Slim. Wir brauchen den Mann nicht zu vergöttern, aber wir schulden ihm den Respekt, den wir einem Schriftsteller schulden, der uns gesagt hat, was er von der Wahrheit weiß.«

Zu beachten ist, wann »Pimp« in den USA erschienen ist: Drei Jahre nachdem Schwarze das Wahlrecht erhalten hatten, als im Zuge der Civil-Rights-Bewegung politische Führer wie Malcolm X (auch ein ehemaliger Gangster) und Martin Luther King ernsthaft um ihr Leben fürchten mussten. Iceberg Slim hat in dieser Zeit jedoch kein soziales Bewusstsein entwickelt, er ignoriert das Unrecht zwar nicht, verdient aber ganz gut daran. Das Chaos des Ghettos spiegelt sich in Iceberg Slims Gedankenwelt wider. In »Pimp« wird die soziale Hierarchie des Rassismus sehr genau beschrieben: Auf der untersten Stufe stehen schwarze Frauen, den weißen Freiern stets zur Verfügung gehalten, der Eifersucht von schwarzen Männern ausgeliefert. Die schwarzen Männer sind den weißen Männern ökonomisch unterlegen, sie dürfen weiße Frauen nicht öffentlich begehren und verscherbeln schwarze Frauen. Dazwischen liegt jede Menge Hass und Doppelmoral. Schwarze Luden, behauptet Iceberg Slim, seien Revoluzzer, die diese soziale Ordnung durcheinanderwirbelten. Prahlereien, wie sie Iceberg Slim aufgeschrieben und als eigene Erlebnisse ausgegeben hat, mögen Wahrheitsgehalt besitzen, sie kursierten bereits als Anekdoten und werden in der afroamerikanischen Community von Generation zu Generation weitergereicht. Diese Geschichte sollte die afroamerikanische Mittelschicht am besten vergessen, wie Sapphire betont. Deshalb sei Iceberg Slim auch vor allem für jene ein Philosoph, die mit Knast und Drogen Erfahrungen gemacht haben.

Die Geschichte von »Pimp« wird in der ersten Person erzählt. Iceberg Slim, der Allwissende, gibt stets seine Sicht der Dinge wieder, und doch ist er nicht schlauer als seine Leser, sondern schlittert geradewegs in jedes Unheil. Icebergs Erzählungen sind dabei auch ätzend komisch. Bei einem schwarzen Zuhälter halte der Ruhm so lange an, »wie bei einem Eiszapfen unter dem Schweißbrenner«. Iceberg Slim wirkt gehetzt, immer unterwegs in den Straßen der Southside von Chicago. Hinter dem Vorhang des »Cool«, des Schlagfertigen und Abgeklärten, steckt aber tiefe Unsicherheit, die Angst davor, in die Mühlen des Gesetzes zu geraten. Und eine Furcht vor dem Alleinsein, die anders als bei der Figur des »einsamen Privatdetektivs« keinen Platz für romantische Projektionen lässt. Iceberg Slim bekämpft sie mit harten Drogen, die ihn gegen seine Umwelt abhärten und in eine Fantasiewelt katapultieren. Aus dem Fantasie-Flow der gesprochenen Sprache speist sich auch seine erzählerische Kraft. Der afroamerikanische Slang ist, wie es der Literaturtheoretiker Henry Louis Gates einmal ausdrückte, das ultimative Zeichen der Differenz.

In der deutschen Übersetzung verschwindet ein Teil dieser Differenz hinter einem hölzernen Sprachstil. Besonders, weil eine Sprache gewählt wurde, wie sie Arno Schmidt im St.Pauli der Sechziger aufgeschnappt haben könnte, machen manche Bezeichnungen stutzig. »Konzentrationslager für Schwarze« als Bezeichnung für Ghetto zu verwenden, ist schon mehr als gewagt.

Iceberg Slim: Pimp. Story of my Life. Europa-Verlag, Hamburg 2003, 256 S., 19,90 Euros