Eher dafür statt dagegen

Stefan Liebich ist der alte und neue Landesvorsitzende einer Regierungspartei, die ihre eigene Opposition ist. von thomas blum

Die Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) hat Glück mit ihrem alten und neuen Landes- und Fraktionsvorsitzenden. Denn Stefan Liebich ist kein zeternder ostdeutscher Rentner und kein zerzauster Hausbesetzer, und er sieht auch nicht so aus. Er sieht genau aus wie ein Diplom-Betriebswirt, und das ist er auch.

Er ist jung, folgsam und komplett eigenschaftslos, er ist das, was Schwiegermütter wohl vorzeigbar nennen, und er ist so extrem demokratisch und auf brutalstmögliche Art staatstragend, dass es einem weh tut, wenn man ihm zuhört. Er ist so etwas wie der Frank Steffel (»Spree-Kennedy«) der PDS, also praktisch mehr Spree und weniger Kennedy.

Seine Bereitwilligkeit, sich von der SPD für seine Willfährigkeit loben zu lassen, und auch sein sonstiges Gebaren lassen die Vermutung zu, dass er als Schulbub einer von denen war, die stolz darauf waren, dem Lehrer das Klassenbuch hinterher tragen zu dürfen. Und der Blick auf seine Homepage beseitigt schließlich die letzten Zweifel, dass es sich bei ihm um einen hemmungslosen Streber handelt: »Mein Lebensweg verlief (…) in den für die DDR typischen geordneten Bahnen (…) Ich gehörte zu denen, die eher dafür statt dagegen waren und habe mich auch dementsprechend engagiert und folgerichtig verschiedene Funktionen in der Staatsjugendorganisation FDJ (Freie Deutsche Jugend) wahrgenommen. ›Natürlich‹ hatte ich vor, mit 18 Jahren in die SED einzutreten« usw.

Nachdem der Kapitalismus in seiner Heimat Einzug gehalten hatte, studierte er folgerichtig Betriebswirtschaftslehre und arbeitete bei IBM. »Ich bin an meinem 18.Geburtstag Mitglied der PDS geworden.« Seither leistet er brav an dem Platz, an den ihn seine Partei stellt, mit den ihm zur Verfügung stehenden, bescheidenen Mitteln feurig seinen Beitrag für die sozialistische Weltrevolution.

Hm. Also gut: feurig nicht gerade. Und mit der sozialistischen Weltrevolution wird es, wenn es nach ihm geht, wohl auch nichts werden. Aber der Rest des Satzes stimmt.

Jedenfalls kämpft er als Sozialist im Abgeordnetenhaus dafür, »dass die PDS-Riege diszipliniert den Regierungskurs mitträgt« (Welt am Sonntag), und das ist ja auch schon mal was. Schließlich hat jede Revolution einmal klein angefangen, das weiß auch Stefan Liebich. Dass man sich nicht einfach nur gegen etwas aussprechen kann, ohne für etwas zu sein, sondern bis zur völligen Aufgabe jeden Grundsatzes jederzeit konstruktiv, anpassungsfähig und kompromissbereit zu sein hat, hat er vom Bundesvorsitzenden Lothar Bisky gelernt. Das Prinzip einer solchen Politik heißt: Um dagegen zu sein, muss man erst einmal mitmachen, dann ist man früher oder später auch nicht mehr dagegen.

Bisky sagte, die Partei müsse »aushalten, dass wir in Regierungsbeteiligungen und auch in außerparlamentarischen Aktionen Opposition sind«. Die PDS ist demzufolge die einzige Regierungspartei, die ihre eigene Opposition ist bzw. andersherum. Sie muss nicht nur unentwegt ihre eigene Regierungsarbeit bekämpfen, sondern auch ihren eigenen Widerstand dagegen. Das ist nicht immer ganz einfach und will gelernt sein. Schließlich muss man gleichzeitig für und gegen dieselbe Sache sein können, erst indem man sie durchsetzt und dagegen rebelliert, und danach, indem man sie rechtfertigt und kritisiert. Das ist so kompliziert, wie es klingt, und das kann auch nicht jeder, das kann fast nur die PDS, die erste vollautomatische Demokratiepartei Deutschlands. Denn sie hat einen Kampf zu führen für eine bessere Welt, in der es keine Widersprüche mehr gibt, auch nicht den zwischen Befürworten und Ablehnen.

Dass man, wenn man eine solche Politik praktiziert, eigentlich plemplem werden müsste, ist ein Vorurteil. In der PDS funktioniert sie nämlich ganz wunderbar, deshalb hat Stefan Liebich auch erneut für seine beiden Ämter kandidiert: »Wir sind jetzt in einer Situation, in der die PDS wieder zu funktionieren beginnt.« Und damit auch alles weiter funktioniert wie geschmiert, ist er auch in seinen Ämtern bestätigt worden. Seine beängstigende Persilmannhaftigkeit und Stromlinienförmigkeit prädestinieren ihn geradezu dafür, einer Partei vorzustehen, die sich in den letzten zehn Jahren darauf dressiert hat, jederzeit fügsam und artig zu sein, und sich so lange reformiert hat, bis sie zur totalen Erkennbarkeit mutiert ist.

Kaum einer könnte deshalb die PDS wohl besser repräsentieren als eben dieser radikale sozialdemokratische Verwaltungsbürokrat, der bis in die Haarspitzen von der Idee eines gewissenlosen Pragmatismus durchdrungen ist. »Mal setzt sich die eine Partei mehr durch, mal die andere. Das gehört dazu.« Und meistens ist man sich einig. Und so soll es auch sein. Überdies sei eine »Gegenposition auch dann sinnvoll, wenn man sie nicht durchsetzen könne« (Neues Deutschland), glaubt Liebich. Er sei »für den dauernden Zank mit der SPD nicht zu haben« (Die Welt). Auch ist ihm »nicht an publikumswirksamen Aufmuckereien gegen den Koalitionspartner SPD gelegen« (FAZ). Warum auch? Locker bleiben, eher dafür als dagegen sein, lautet die Devise.

Seine beliebteste Strategie ist es zu sagen: Wir tun das Schlechte, weil andere noch Schlechteres täten, und deshalb tun wir das Schlechte gern.

Auf dem Parteitag im Sommer dieses Jahres sprach er »ausschließlich über Kürzungen im Sozialetat« bzw. »uneinsichtige Gewerkschaften« (Freitag). Und obwohl die PDS damals Einschnitte versprochen hat, sind die Wähler enttäuscht: »Unser Wahlprogramm hat keine Wolkenkuckucksheime, sondern unter anderem Einschnitte (…) versprochen. Dass Wählerinnen und Wähler trotzdem enttäuscht sein würden, war abzusehen.«

Der Sozialabbau in Berlin ist links, denn wenn andere ihn betrieben, würde alles noch viel schlimmer. Die rot-rote Regierung sei also »immer noch besser als jede andere Koalition«. Berlin habe »mehr Lehrer, mehr Opern, mehr Universitäten, mehr Jugendeinrichtungen« als andere Städte und Bundesländer. »Ist es sozialistisch, das alles gleichermaßen zu verteidigen, in dem Wissen, dass man es auf Pump finanziert? (…) Ich finde das ganz und gar nicht sozialistisch.«

Sparpolitik sei hingegen gewissermaßen revolutionär, ja sogar »Bedingung für soziale Gerechtigkeit«, es könne »nicht sozial sein, wenn wir immer mehr Steuermillionen an die Banken verlieren«.

Was versteht er unter Kritik? »Ich verstehe Kritik auch als Solidarität, wenn es darum geht, ein gemeinsames Ziel besser zu erreichen.« Was versteht er unter Gerechtigkeit? »Soziale Gerechtigkeit, das heißt in Berlin gegenwärtig die möglichst gerechte Verteilung von Lasten.« Er ist noch ein junger sozialdemokratischer Politiker, aber er hat schon denken und sprechen gelernt wie der Herr Arbeitgeberpräsident. Dafür wird er von der FAZ gelobt. Schön »positiv und werbend« könne er reden, der Herr Liebich.

Beeindruckend ist bisweilen auch seine offen zur Schau gestellte explizite Meinungslosigkeit. Ist er für ein Kopftuchverbot oder dagegen? »Bei dieser Frage gibt es keine einfache Antwort.« Ist er für Studienkonten? Ist er gegen Studienkonten? Hopp oder Topp? Hü oder Hott? »Ich habe mir noch keine endgültige Meinung gebildet.« Klar, endgültige Meinungen sind bekanntermaßen nicht gerade die Spezialität von Politikern der PDS.

Wenn wir Glück haben, wird der Mann früher oder später noch Bundesvorsitzender. Er hat das Format dazu.