»Kroatien ist Serbien voraus«

Miroljub Labus

Miroljub Labus könnte bald Ministerpräsident von Serbien sein. Jedenfalls ist der 56jährige Vorsitzender der Partei G 17 Plus, einem nach dem Sturz Slobodan Milosevics gegründeten neoliberalen Think Tank, der im November 2002 zur Partei umgewandelt wurde. Labus kandidierte vor einem Jahr für das Amt des serbischen Präsidenten, und bis zum vergangenen Frühjahr war er stellvertretender jugoslawischer Ministerpräsident.

Bei den Parlamentswahlen am 28. Dezember geht er nun als Spitzenkandidat von G 17 Plus ins Rennen. Mit ihm sprach Markus Bickel.

Vor einem Jahr wollten Sie serbischer Präsident werden. Im letzten Monat hat Ihre Partei die Präsidentenwahlen boykottiert. Und jetzt wollen Sie Ministerpräsident werden. Erklären Sie uns das bitte.

Das Präsidium meiner Partei G 17 Plus hat mich zum Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten ernannt, weil dieser Posten für unsere Partei Priorität hat vor dem Präsidentenamt. Nur wenn wir diese Schlüsselrolle in der neuen Regierung besetzen, können wir sicher sein, dass die notwendigen Reformen richtig angegangen werden. Damit wird auch der Beitritt Serbiens zur Europäischen Union beschleunigt.

Aber beweist nicht Ihr Boykott der Präsidentenwahl eine gewisse Ignoranz gegenüber den Institutionen des Staates?

Nein, diese Befürchtung teile ich nicht. Schließlich beginnt sich die Situation in Serbien seit dem Beschluss, Parlamentswahlen abzuhalten, zu entspannen. G 17 Plus hat immer versucht, einen demokratischen Ausweg aus der wirtschaftlich und politisch schwierigen Situation zu finden, in der sich unser Land befindet. Die Wahlen am 28. Dezember sind dafür die Lösung, weil so ein vom Wählerwillen legitimiertes Parlament und eine verfassungsgemäße Regierung gebildet werden können.

Aber einen Präsidenten gibt es dann immer noch nicht?

Wir haben diese Wahlen ignoriert, weil wir schon vorher wussten, dass sie unter den gegebenen Umständen keinen Erfolg haben würden. Sie wurden von der jetzigen Regierung nur anberaumt, um den Befürwortern parlamentarischer Neuwahlen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wie sich gezeigt hat, war das nicht der richtige Weg: Mit 50 Prozent Wahlbeteiligung lag die Messlatte zu hoch. Außerdem gab es Unregelmäßigkeiten bei der Registrierung. Wir wollen deshalb den Zensus von 50 auf 40 Prozent Mindestbeteiligung senken, wie in Montenegro. Erst wenn das Parlament ein solches Gesetz verabschiedet hat, können wir sicher sein, dass die Präsidentenwahlen ein Erfolg werden. Dann werden wir uns auch beteiligen.

Wollen Sie nach den Parlamentswahlen mit der Demokratischen Partei von Premier Zoran Zivkovic koalieren?

Diese Entscheidung liegt nicht in unseren Händen, sondern in denen der Wähler. Sie werden über die Zusammensetzung der neuen Regierung bestimmen. G 17 Plus hat sicherlich ähnliche Ansätze im Wirtschaftsteil ihres Programms wie die Demokratische Partei, doch wir sind anderer Ansicht darüber, wie dieses Programm in die Tat umgesetzt werden muss.

Streben Sie eine engere Zusammenarbeit mit Jugoslawiens ehemaligem Präsidenten Vojislav Kostunica an?

Wir stehen im ständigen Dialog mit einer ganzen Reihe demokratischer Parteien in Serbien, darunter auch der DSS Kostunicas.

Wie denken Sie über den Zusammenschluss Serbiens mit Montenegro?

Die Frage, ob Serbien-Montenegro in der jetzigen Form bestehen bleiben soll, wird in zwei Jahren geklärt werden, wenn in beiden Teilstaaten Referenden stattfinden. Bis dahin kann noch viel passieren: Vielleicht werden wir die Verfassung ändern, vielleicht werden wir uns trennen, vielleicht einigen wir uns aber auch auf eine gemeinsame Politik, die Rücksicht auf die unterschiedlichen Standpunkte nimmt.

Soll Serbien zur selben Zeit wie die anderen früheren jugoslawischen Teilrepubliken in die EU aufgenommen werden?

Die ökonomischen und institutionellen Entwicklungen der einzelnen Länder verlaufen sehr unterschiedlich. Kroatien etwa ist allen anderen Staaten voraus. Da wir die Beitrittsbestrebungen Zagrebs nicht behindern wollen, orientieren wir uns an dem auf dem Westbalkan-Gipfel der EU in Thessaloniki im Juni vereinbarten Prinzip: Jedes Land ist für das Vorantreiben seines eigenen Transformationsprozesses verantwortlich.

Damit ist der Beitritt aber noch lange nicht sicher.

Das nicht. Aber wenn wir die notwendigen Reformschritte richtig angehen, wird Brüssel uns auch die entsprechende Unterstützung zukommen lassen. Deshalb sind wir der Meinung, dass ein früherer Beitritt Kroatiens unsere Chancen auf Aufnahme in die EU sogar erhöhen kann.

Beim ersten Treffen kosovo-albanischer und serbischer Politiker seit Ende des Krieges 1999 wurde der Status des Kosovo ausdrücklich ausgeklammert. Müsste das Thema nicht endlich auf die Tagesordnung der internationalen Gemeinschaft kommen?

Seit dem Sturz Milosevics vor drei Jahren hat sich in Serbien der Standpunkt durchgesetzt, dass eine Lösung nur auf dem Verhandlungsweg erreicht werden kann – und ohne bestehende Grenzen in Frage zu stellen. Das ist schon ein großer Fortschritt. Die Gespräche sind ein guter Ausgangspunkt, um später auf die wichtige Statusfrage zu sprechen zu kommen. Eine Langzeitlösung für das Kosovo allerdings wird es wie für die anderen Staaten des Westbalkan nur im erweiterten Rahmen der EU-Integration geben. Voraussetzung dafür sind harte Reformen auf politischem und institutionellem Gebiet – in allen Ländern der Region, einschließlich des Kosovo.

Kann es für das Kosovo eine andere Lösung als die Unabhängigkeit geben?

Ich gehe davon aus, dass eine wie auch immer geartete Form von Protektorat noch über Jahre bestehen wird. Nur auf diese Weise kann die Einhaltung grundlegender Standards durch die demokratisch gewählten Institutionen im Kosovo gesichert werden. Die EU sollte bei diesem Prozess eine wichtige Rolle einnehmen und sich aktiv für die Aufnahme des Kosovo in ihre Strukturen einsetzen.

Neben der ungeklärten Kosovo-Frage sorgt das verfassungsrechtlich strittige Verhältnis zwischen Serbien und Montenegro immer wieder für Verzögerungen beim Abschluss eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens Belgrads mit der EU, dem ersten Schritt zur Integration in die Union.

Es ist sicherlich richtig, dass die ungelösten Verfassungsfragen den Integrationsprozess Serbiens in die EU-Strukturen verlangsamen. Ziel unserer Politik bleibt dennoch beides: die Rechte der serbischen Minderheit im Kosovo zu schützen sowie die Aufnahme in die EU.

Zur Behebung des Problems werden von serbischer Seite immer wieder territoriale Lösungen angedeutet.

Mein persönlicher wie der Standpunkt meiner Partei sind in dieser Frage unzweideutig: Es darf nicht zur Neuziehung von Grenzen kommen. Gleichzeitig trete ich dafür ein, dass Bosnien so schnell wie möglich in die EU aufgenommen wird, denn dann werden Grenzen von ganz allein keine große Rolle mehr spielen.

Was heißt das für das Kosovo?

Hier geht es uns darum, die Rechte der serbischen Bewohner zu schützen, ihre Rechte als Bürger und nicht nur als Serben. Der Punkt ist aber nicht, dass wir darüber nachdenken, eine wie auch immer geartete Kontrolle über das Kosovo zurückzuerlangen. Diese Zeiten sind vorbei.