Roschee, der Radiopirat

Der neue Geschäftsführer von Sat.1 war einst ein Kämpfer gegen das staatliche Radio- und Fernsehmonopol in der Schweiz. von nick luethi

Den Antritt der Stelle als Geschäftsführer von Sat.1 hat sich Roger Schawinski wohl anders vorgestellt. Kaum ist er im Amt, wirft der preisgekrönte Late-Night-Talker Harald Schmidt das Handtuch.

Das Aus der Harald-Schmidt-Show ist nicht das einzige Indiz dafür, dass sich das Klima bei Sat.1 in den letzten Wochen den Außentemperaturen angenähert hat. Als Hauptverantwortlicher für die neue Eiszeit gilt ProSiebenSat.1-Vorstandschef Urs Rohner. Auslöser für die jüngsten Turbulenzen ist der Abgang von Martin Hoffmann als Geschäftsführer von Sat.1. Bereits im Sommer wollte Rohner Hoffmann loswerden und den Eidgenossen Schawinski nach Berlin holen. Die Absetzung scheiterte damals am Veto von Vorstandsmitglied Ludwig Bauer. Am 4. Dezember war es dann doch so weit: Hoffmann wurde abgesetzt und Schawinski eingeflogen. Beim Sender herrschte Konsternation. Von heulenden MitarbeiterInnen auf den Fluren wird berichtet. Sogar Schawinski sprach in diesem Zusammenhang von »Trauerarbeit«, die nun in Berlin zu leisten sei.

Großes soll auch Schawinski leisten. 14 Prozent Marktanteil von Sat.1 ist das erklärte Ziel, das mit reduziertem Budget erreicht werden soll. Was nahezu ein Ding der Unmöglichkeit ist. Sowohl die Sonntagsausgabe der NZZ als auch das Nachrichtenmagazin Facts rechnen nicht zuletzt auch deswegen mit einem kurzen Gastspiel des helvetischen Medienzampanos an der Spree.

In der deutschen Fernsehlandschaft ist Schawinski ein Nobody. Verständlich ist deshalb, dass ihm mit einer gesunden Portion Skepsis begegnet wird. In der Schweiz, zumindest in ihrem deutschsprachigen Landesteil, sorgte der Medienunternehmer während mehr als zwanzig Jahren für Wirbel. Sein journalistisches Rüstzeug hat sich der Doktor der Nationalökonomie in den siebziger Jahren als Leiter einer Konsumentensendung des staatlichen Fernsehens und als Chefredakteur der Zeitung Die Tat geholt. Zu nationaler Berühmtheit gelangte der heute 58jährige allerdings erst dank seines Engagements für die Zulassung privater Radios in der Schweiz. Vier Jahre bevor die Mediengesetzgebung dahingehend angepasst wurde, wollte er es bereits wissen.

Ende November 1979 nahm das von ihm gegründete Radio 24 den Betrieb auf. Die Sendeanlage stand auf dem Pizzo Groppera, einem italienischen Berggipfel an der Schweizer Grenze, die Studios befanden sich nahe der Stadt Como in Italien. Mit dem UKW-Sender – dem damals stärksten der Welt, wie Schawinski heute gerne anmerkt – erreichte das Musik- und Unterhaltungsprogramm von Radio 24 die Stadt Zürich und Umgebung. Sowohl den Schweizer wie auch den italienischen Behörden war der Piratensender von Beginn an ein Dorn im Auge. Weniger als einen Monat nach dem Sendestart unterzeichnete der italienische Postminister auf Drängen der Schweizer Behörden eine erste Stilllegungsverfügung. Am 20. Januar 1980 schritten die Beamten zur Tat. Die Sendeanlage auf dem Pizzo Groppera wurde aufgebrochen, stillgelegt und versiegelt.

Derweil begannen sich die HörerInnen mit Radio 24 zu solidarisieren, Demonstrationen wurden organisiert, gefeierter Held war »Roschee«, wie Schawinskis Vorname auf Schweizerdeutsch ausgesprochen wird. Innerhalb weniger Tage sammelten die HörerInnen von Radio 24 über 200 000 Unterschriften, die sie beim Bundesrat zusammen mit der Forderung nach einer Legalisierung des Senders einreichten. Nach zwei weiteren Schließungen und vier Jahren Sendebetrieb in der Illegalität ging Radio 24 zusammen mit sechs anderen Stationen Ende 1983 als eines der ersten legalen Privatradios auf Sendung.

Zweifellos haben Schawinski und sein Radio 24 den Fall des staatlichen Radiomonopols in der Schweiz beschleunigt. Bis heute kokettiert der umtriebige Medienunternehmer mit dem Piratenimage, das ihm aus dieser Zeit anhaftet.

Schawinski wäre jedoch nicht Schawinski, hätte er es beim Medium Radio bewenden lassen. Das nächste Monopol, das es zu knacken galt, war das des Fernsehens. Nach Jahren als erfolgloser Filmproduzent und Gründer eines Stadtmagazins und eines Klassikradios ging er 1994 mit dem Regionalsender Tele Züri an den Start. Vier Jahre später erhielt er die Konzession für eine überregionale Station. Aus Tele Züri wurde Tele 24.

Schawinski ist zu diesem Zeitpunkt nicht nur Besitzer der Tele 24-Betreibergesellschaft Belcom AG, sondern auch regelmäßig auf dem Bildschirm zu sehen. In »Talk täglich«, einem Face-to-Face-Format, das als Vorbild für eine allfällige Schmidt-Nachfolgesendung auf Sat.1 gehandelt wird, sieht und hört sich der Medienzampano in erster Linie gerne selbst zu. Legendär sind seine Gespräche mit der Weltuntergangsprophetin Uriella, dem Sprachrohr der Sekte Fiat Lux, aber auch die hart geführten Konversationen mit VertreterInnen aus Politik und Wirtschaft.

Getreu seinem Leitsatz »Da wo’s passiert« versuchte sich Tele 24 auch mit Nachrichtensendungen zu profilieren. Das ist dem Sender phasenweise ganz gut gelungen, insbesondere bei der Katastrophenberichterstattung, wofür es mit Flugzeugabstürzen und Swissair-Grounding im Jahr 2001 auch genügend Anlässe gegeben hat.

Doch auch Tele 24 stand bald das Grounding bevor. Absehbar war das Ende des Senders nach dem Verkauf von Schawinskis Belcom AG an das Züricher Medienhaus Tamedia. Zusammen mit Tele 24 gingen auch Radio 24 und Tele Züri in den Besitz von Tamedia über. Der Pionier Schawinski hatte nach 22 Jahren seine Schuldigkeit getan.

Wer nun meinte, er würde sich nach seinem Rückzug aus dem Fernsehgeschäft erstmal still verhalten, der irrte. Nach ein paar Wochen Urlaub war er wieder zurück, diesmal als Publizist. In den vergangenen zwei Jahren veröffentlichte er drei Bücher. Von der Kritik mit Interesse aufgenommen wurde insbesondere das Sachbuch »Wer wird Milliardär? Der Börsenhype und seine Macher«. Nicht Zahlen und Fakten stehen in diesem Buch im Vordergrund, sondern die schillernden Figuren der New Economy. Befremdlich erscheint die Abrechnung mit seinen Kollegen von den Zeitungen, deren Mitverantwortung am Hype er geißelt, ohne seine eigene Rolle im Fernsehen angemessen zu reflektieren. Wir erinnern uns: Tele 24 war genau während der Jahre des großen Börsenbooms auf Sendung. Professionelle journalistische Neutralität sei Schawinski jedoch einfach fremd, schrieb damals die NZZ.

Dies spielt vorläufig eh keine Rolle mehr. Als Geschäftsführer von Sat.1 zählen eben in erster Linie Quoten und Zahlen. Wie lange der eitle Selbstinszenierer auf dem zweitgrößten Fernsehmarkt der Welt überleben wird, weiß nicht einmal er selbst. Doch allzu optimistisch scheint er nicht zu sein, wenn er als Abschied in seiner Rubrik in der Weltwoche schreibt, er sei nur ein paar Jährchen auf Dienstreise. Jährchen sind bekanntlich kürzer als Jahre, und deshalb darf sich die Schweiz wohl schon bald auf so etwas wie Tele 25 oder Radio 35 freuen.