In unserer Nazikommune

Rund um das Anwesen des deutschen Rechtsextremisten Jürgen Rieger in Westschweden entsteht eine Hochburg der Naziszene. von bernd parusel, stockholm

Sie werden mehr, sie werden aggressiver, sie vernetzen sich, veranstalten Waffenübungen und Trainingslager, und sie planen einen »nationalen Freiheitskampf«. Nach Auffassung der Stiftung Expo, aber auch nach Polizeiangaben ist die schwedische Naziszene nach einigen Jahren scheinbarer Ruhe heute wieder besonders aktiv. In jüngster Zeit zeigte sich, dass Alt- und Neonazis, White-Power-Anhänger und Antisemiten in Schweden mehr Anhänger haben als in früheren Jahren.

Ein Zeichen dafür lieferte eine landesweite Razzia der schwedischen Sicherheitspolizei Säpo am 25. November. Nach den Worten des Staatsanwaltes Ronnie Jacobsson gaben nicht zuletzt offene Drohungen der Szene, »die Macht zu übernehmen«, den Ausschlag dafür, dass die Polizei handelte. Bei Hausdurchsuchungen stellte die Säpo Computer, Schriften, Versammlungsprotokolle und Flugblätter neonazistischer Gruppen sicher. Sie hofft jetzt, unter dem Material Mitgliederlisten zu finden und neue Erkenntnisse über die Pläne der als besonders gefährlich geltenden Organisationen Nationalsozialistische Front (NSF) und Schwedische Widerstandsbewegung (SMR) zu gewinnen.

Sechs Anführer der beiden Gruppen wurden vorübergehend festgenommen. Der 35jährige Klas Lund, ein Anführer der SMR, musste ein paar Tage im Gefängnis verbringen. Bei ihm hatte die Polizei eine Schusswaffe gefunden. Außerdem wird ihm vorgeworfen, zusammen mit den anderen Verdächtigen bewaffnete Einheiten aufzubauen. Lund wurde 1986 wegen der Beteiligung an einem Mord schon einmal verhaftet und zu vier Jahren Haft verurteilt. Er gehörte damals einer rechtsextremen Gruppe an, die sich mit Banküberfällen und Einbrüchen mit Geld und Waffen versorgte.

Die Stiftung Expo betrachtet unterdessen mit Sorge, dass sich in der südschwedischen Region Västergötland, einem Schwerpunkt der Razzia im November, eine Hochburg der rechtsextremen Bewegung etabliert. Dort, unweit der Kleinstadt Skövde, hat Klas Lund seinen Wohnsitz. In der Nähe liegt auch das Anwesen des deutschen Rechtsextremisten Jürgen Rieger, dem aus Hamburg stammenden Anwalt und Millionär, der unter anderem Märsche zum Gedenken an Rudolf Hess im bayerischen Wunsiedel organisierte und Mitglied der NPD, der Wiking-Jugend und der inzwischen verbotenen Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP) war.

Mitte der neunziger Jahre erwarb er das Gut Sveneby, in dem er sich nach eigenen Angaben wenigstens einmal im Monat aufhalte, Landwirtschaft betreibe und sich mit Gleichgesinnten treffe. Indirekt wurde seine »Existenzgründung« in Schweden sogar von der EU unterstützt. Wie die taz bereits im Jahr 2001 berichtete, zahlte die EU für seine ökologische Schweinezucht umfangreiche Agrarbeihilfen an ihn.

Ursprünglich lagen ihm freilich weniger seine Schweine als vielmehr »nordisch-blonde« Menschen am Herzen. Sein Plan war zunächst, in Sveneby ein »germanisches Landkollektiv« ins Leben zu rufen. Nachdem das Projekt gescheitert war, weil deutsche Gleichgesinnte nicht die Mittel aufbrachten, nach Schweden zu ziehen, änderte er seine Pläne. Auf seinem 650 Hektar umfassenden Grundstück befinden sich weitere, teilweise noch unbewohnte Häuser, die er jetzt nach und nach an schwedische Neonazis vermietet. Erst kürzlich zog nach Polizeiinformationen ein Anführer der SMR in eines der Häuser ein. Örtliche Politiker und kritisch eingestellte Nachbarn sehen sich bislang nicht in der Lage, den Aktivitäten des Deutschen Einhalt zu gebieten.

Zu einem weiteren Brennpunkt nicht nur schwedischer Naziaktivitäten hat sich der so genannte Salemmarsch entwickelt. Seit vor drei Jahren der 17jährige Skinhead Daniel Wretström an einer Bushaltestelle im Stockholmer Vorort Salem ermordet wurde, pilgern fast alle Rechtsextremen an jedem ersten Samstag im Dezember dorthin. Nachdem an dem Marsch im vergangenen Jahr bereits 1 400 Rechtsextreme teilgenommen hatten, waren es dieses Jahr rund 2 000. Expo sprach von der größten Nazidemonstration in Schweden seit den vierziger Jahren. Besorgt ist der Verein vor allem über die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremisten.

Auf der Kundgebung riefen mehrere Redner zum Sturz der schwedischen Regierung und zur »Bestrafung« der für die Entstehung einer multikulturellen Gesellschaft verantwortlichen Politiker auf. »Die Zeit des totalen Widerstands ist gekommen«, erklärte etwa Magnus Södermalm von der SMR. »Eines Tages werden wir es den Kosmopoliten, Liberalen, Humanisten oder wie man dieses Verräterpack sonst nennen will, zeigen. Eines Tages müssen sie sich für ihre Verbrechen dem Volk gegenüber verantworten.«

Tor Paulsson von den Nationaldemokraten, einer Partei, die auch an Wahlen teilnimmt, erwähnte sogar, wer ganz oben auf der Liste der »Landesverräter« stehe: der sozialdemokratische Ministerpräsident Göran Persson und die ehemalige Vorsitzende der Linkspartei, Gudrun Schyman. »Nazianführer bedroht Persson« lautete am Tag darauf die Schlagzeile der Abendzeitung Expressen.

Die anderen großen schwedischen Zeitungen machten dagegen mit Meldungen über die Zwischenfälle bei der linken Gegendemonstration auf, worüber sich die Expo empörte. Natürlich sei es die Pflicht der Journalisten, über Ausschreitungen und Gewalt zu berichten. Dies dürfe jedoch nicht dazu führen, dass sich ein Marsch von 2 000 Nazis an den Reportern vorbeibewege, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, meinte ein Mitarbeiter der Stiftung. Es gebe in Schweden eine Tendenz, Nazis als verwirrte junge Leute zu beschreiben. Die Gruppen, die sich am Salemmarsch beteiligen, seien jedoch erfahrene Propagandisten, die der rechtsextremen Bewegung schon seit langer Zeit angehörten.

Tatsächlich schenkt ein großer Teil der Medien und der Politik der erstarkenden Naziszene wenig Beachtung. Auf der Gegendemonstration ließen sich außer einigen Mitgliedern der Linkspartei und der Grünen keine ranghohen Politiker blicken.