Alles wird gut

Wie Matthias Horx den Weg vom Trendpapst zum Nostradamus unserer Zeit bewältigt hat. von francis müller

Der 1955 geborene Matthias Horx ist ein Gratwanderer zwischen Empirie und Esoterik. Ein Zaunreiter zwischen Auf- und Verklärung. Eine Mischung aus verbalartistischem Intellektuellen und postmodernem Nostradamus. Ein Mann, der viele Fragen beantwortet – darunter solche, die nie gestellt worden sind.

Anfangs der Achtziger widmete Horx sich zunehmend einem Feindbild der Kritischen Theorie: dem Konsum. Mit dieser Fokussierung auf die Oberfläche wollte er nicht nur die urdeutsche Idealisierung der Tiefe überwinden, sondern auch hermeneutische Fragen stellen: Was Menschen konsumieren und kaufen und durch welche ästhetische Codes sie soziale Zugehörigkeit und Abgrenzung regeln, sind aussagekräftige Indizien über ihre Wertvorstellungen. Markenfetischismus und Hedonismus ärgerten Alt-68er. Entsprechend erfreuten sie Horx.

Amerikanische Gesellschaftsforscher wie John Naisbitt oder die Trendforscherin Faith Popcorn, die sich ohne Ideologien an die Konsumkultur herantasteten, faszinierten Horx. Faith Popcorn muss auf ihn besonderen Eindruck gemacht haben, als er sie 1992 auf einer Pressekonferenz in München sah. So beschreibt er Jahre später in einem Buch, wie eine deutsche Journalistin damals empört fragte, wie denn die Erkenntnisse der Trendforschung dazu dienen könnten, die Probleme der Dritten Welt zu lösen. »Wie wollen Sie denn diese Probleme lösen?«, soll Popcorn zurückgefragt haben. Horx beschreibt den Weitergang der Presseveranstaltung wie folgt: »Die gestrengte Anwältin der Dritten Welt brach in ein heilloses Gestammel aus, und dann versackte die Veranstaltung blitzschnell in jenem ideologischen Debattieren, das alle zur Genüge kennen, die in studentischen Hörsaalveranstaltungen groß geworden sind.«

Der Mann hat also ein Generationstrauma. Als Reaktion auf die deutsche Tendenz, alles auf eine Metaebene zu projizieren und dort in einem rhetorisch gewandten, aber endlosen Diskurs ad absurdum zu führen, ist Horx zum Optimisten geworden.

1992 gründete Horx mit dem Designprofessor Peter Wippermann das Trendbüro in Hamburg, den ersten Think Tank im deutschsprachigen Raum. Im Auftrag von Großunternehmen wurden und werden – heute ohne Horx – gesellschaftliche Strömungen beobachtet und in Marketing-Strategien kanalisiert.

Zur Trendbüro-Zeit publizierte Horx die »Trendbücher«, die noch heute unterhaltsam sind, weil darin noch etwas enthalten war, was man in seinen neueren Büchern ziemlich selten findet: Humor. Zweifellos inspiriert durch Douglas Couplands Buch »Generation X« beschrieb er Stichworte wie »Rezessionskultur«, »Teddybärenwelt« und »Rückkehr der Spießer«, wodurch ein Stimmungsbild des jeweiligen Zeitgeistes entstand.

Heute beschreibt Horx nicht mehr vor allem Marken, er ist selbst eine geworden – eine mit medialer Omnipräsenz. Wer in eine Buchhandlung geht, sieht den prägnanten Namen »Horx« mal auf grün-orange-, dann auf gelb-pink-farbenen Büchern. Und zwischen den kunterbunten Buchumschlägen befinden sich auch kunterbunte Thesen.

In einem Buch beschreibt er, wie die acht Sphären der Zukunft aussehen werden. »Wandlungsprozesse können sporadisch von verschiedenen Sphären aus initiiert werden – manchmal können kleine Auslöser gewaltige Wellen im gesamten Sphärensystem schlagen.« Dabei scheut er den Blick in ein bisschen sehr ferne Zukünfte nicht: Mit »extropianischer« Technologie wird die Menschheit »entropische« Gesetze aufheben, die besagen, dass alle Materie zerfällt. Dann stehe der »Transhumanismus« bevor, die Symbiose zwischen Mensch und Maschine. Und spätestens in tausend Jahren soll das »siderale« Zeitalter losbrechen: »Transport im Weltraum erfolgt dann mitteln Verschiebungen der Raum-Zeit-Konstanten, und Kriege werden mit der Erzeugung von Singularitäten – schwarzen Löchern – entschieden.« Damit ist zumindest klar geworden, dass Horx die Bücher von Stanislaw Lem verschlungen haben muss.

»Ein Plädoyer gegen den allgegenwärtigen Pessimismus und die Jammerkultur der Deutschen« soll das 1997 erschienene »Zukunfts-Manifest« sein. Darin rechnet Horx nicht nur zum x-ten Mal mit den Alt-68ern ab, sondern auch mit dem damals populären »Endismus«. Weder Jeremy Rifkins Ende der Arbeit, noch Francis Fukuyamas Ende der Geschichte oder Dinesh D’Souzas Ende des Rassismus und auch nicht John Leslies Ende der Welt haben sich durchgesetzt, meint Horx. Ein interessanter Gedanke. Wer jetzt glaubt, dass es mit den Enden zu Ende sei, täuscht sich.

»Das Ende der Ausbeutung« lautete der Subtitel seines 2001 erschienenen Buches namens »Smart Capitalism«. Dieses Loblied auf die uns von allen Übeln erlösenden neuen Märkte ist ausgerechnet dann erschienen, als diese wie ein Kartenhaus in sich zusammengeklappt sind, was Horx nicht dazu bewegte, moderatere Töne anzuschlagen. In der Einführung wird der Markt als Ort des Austausches beschrieben, der Sprache und der Kultur. Ein archaisches, schönes Sinnbild – das Horx eins zu eins in den globalen Kontext überträgt. Aus Kapitalismus würde »Talentismus«, schwärmt Horx, der einen zukünftigen »War for Talents« beschreibt. Heimat entstehe im Transit, neue Technologien würden den Menschen mit seinesgleichen vernetzen, Toleranz und Bildung seien die eigentlichen Zukunftswerte und Kapital sei in Wissensökonomien sowieso allgegenwärtig. Schließlich würde der globale Kapitalfluss mehr Wohlstand für alle bringen. Globalisierungsängste würden wie ein Virus von der Hamburger Spiegel-Redaktion in den deutschsprachigen Raum verbreitet, meint Horx, bis dann das apokalyptische Bild der Welt entstehe. Obwohl die echte Welt da draußen – jenseits der Spiegel-Redaktion – doch viel besser sei als früher.

Während im Mittelalter noch gerädert und gestreckt wurde, so schlachten wir uns allenfalls noch in den virtuellen Playstation-Welten ab – zumindest in den privilegierten Netzwerkgesellschaften. Und da hat der Berufsoptimist Horx natürlich Recht: Wer möchte schon den Zivilisationsprozess missen? Es ist zweifellos beruhigend, dass Ampeln den Verkehrsfluss regeln und man als Fußgänger den Vortritt nicht mit einer Keule erkämpfen muss. Auch wenn letzteres ab und zu angebracht wäre.

1996 löste sich Horx vom Trendbüro, weil er das Spekulative suchte. Er wollte gesellschaftlich forschen, prospektiv, visionär – ohne Marketingbezug. Er gründete sein Zukunftsinstitut in Wien – mit Ableger in Frankfurt –, wo ein interdisziplinäres Team von Journalisten und Experten für ihn arbeitet. Horx ist heute allerdings wieder bei der Marketingberatung gelandet, die er 1996 verlassen wollte, denn dort lässt sich letzten Endes auch richtig Kohle verdienen – was mit gesellschaftlicher Zukunftsforschung kaum möglich ist.

Der Wertewandel sorgt in Marketingabteilungen seit längerer Zeit für Kopfzerbrechen. Schließich sind soziodemographische Merkmale wie »Alter, Geschlecht, Bildung« heute nur noch bedingt aussagekräftig. Vierzigjährige kommen in eine zweite Pubertät und auf Rollschuhen daher, während Zwanzigjährige auf altklug machen. Schlaue Ratschläge sind gefragt – auch wenn sie sich nur schlau anhören.

Bleibt also die Frage, was die Kundschaft hören will. Eines sicher nicht: schlechte Nachrichten. Also kommt Matthias Horx daher und verkündet: Keine Angst, Leute, alles wird gut. Diese Aussage fällt ihm sichtlich leicht, zumal sie ein Tritt ans Schienbein Mitglieder der Schwarzmaler-Fraktion ist.

Horx versteht es bestens, nach Orientierung hungernde Marketingbäuche zu stopfen und die Runde gelegentlich mit einer Lachnummer aufzulockern, bis die Teilnehmer am Abend satt aus seinen Seminaren kugeln. Er referiert mal in München, mal in Baden-Baden, mal in Salzburg. Ja, er soll sogar schon einmal gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten aufgetreten sein, hört man.

Das führt zur Frage: Wie medienpräsent darf einer sein, der zu unserer Welt zweifellos mehr beizutragen hat, als in eine TV-Kamera zu grölen, wie das heute üblich ist? Ist es Hochverrat, wenn intellektuelle Menschen die Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomien nicht nur verstehen, sondern auch nutzen? Ist Selbstvermarktung ausschließlich für triviale Gestalten wie Dieter Bohlen oder Stefan Effenberg gepachtet?

Die Antwort: Selbstverständlich sollen intellektuelle Menschen medial präsent sein.

Das Problem liegt woanders: Der einstmals ernst zu nehmende Intellektuelle kommt immer öfter als Lebensberater im wehenden Esoterikgewand daher. Das ist der Horx, der in seinen Büchern Spielchen auflistet, mit denen man seinen Zukunftstypen bestimmen kann. Das ist der Hilfe-zur-Selbsthilfe-Horx, der matte Manager und gelangweilte Hausfrauen darin unterstützt, »den inneren Apokalypse-Angsthasen zu überwinden«.

Die Welt ist eine Bühne und jeder muss seine Rolle spielen. Und diese Welt – Verlage, Leser, potenzielle oder reale Auftraggeber – zieht den kunterbunten Guru einem spröden Intellektuellen vor. Horx könnte sich diesem Mechanismus widersetzen und bei einem Kleinverlag Bücher schreiben. Darin befänden sich dann schlaue Thesen, die aber allenfalls ein paar Soziologen lesen würden.

Um auf jene vorderen Ränge der Bestsellerliste zu kommen, ist es notwendig, ein Sachbuch esoterisch zu würzen und reißerische Zwischentitel anstatt logisch-rationale Argumente aufzutischen. So gibt es im genannten Buch den »Megatrend-Schnellkurs« und Lebenshilfe à la »Finden Sie Ihren individuellen Zukunftsdreh«. Und schließlich liest man da Weisheiten, die genauso gut vom Dalai Lama stammen könnten: »Nutzen Sie immer Ihr eigenes Urteilsvermögen. Weitere Regeln gibt es nicht!«

Der Hang zur Esoterik kann so weit gehen, dass Matthias Horx – wie kürzlich in einem österreichischen Marketingmagazin – sagt, er könne mehr als tausend Jahre in wahrscheinliche Zukünfte blicken. Anders gesagt: Gelegentlich verliert er auch mal den Verstand. Aber tun wir das nicht alle?

Und wenn die Zukunft doch nicht so rosig geworden ist, wie kürzlich prophezeit, dann kommt Horx zurück in die Gegenwart und verwandelt sich vom Zukunfts- in den Trendforscher. Dann entzaubert er die Zukunft wieder, die er vor kurzer Zeit noch verzaubert hat, bis er – wie kürzlich in der Schweizer Weltwoche – ernüchternd feststellt: »Die futurologischen Heilsversprecher der Neunziger haben ausgedient.«

Mit dieser wohl wahren Aussage sägt Horx eigentlich am Ast, auf dem er selbst sitzt. Doch das ist egal. Was auch passiert, Horx wird es immer wieder schaffen, sich wie ein Chamäleon an den Zeitgeist anzupassen. »Die New Economy ist tot, es lebe die Next Economy!«, verrät er im Buch »Future Fitness«. Die Medien sind ja geradezu dankbar für solche plakativen Aussagen und fressen ihm bereitwillig aus der Hand.

Sein zwanghafter Optimismus und seine verbalen Prügelattacken gegen pädagogische Gutmenschen offenbaren sein Generationstrauma. Der Baby-Boomer rächt sich an der Kritischen Theorie. Der Geschlagene schlägt zurück, indem er Optimist wird, was sich – kleiner positiver Nebeneffekt! – auch ganz gut verkauft.