Ende einer Dienstzeit

Die italienische EU-Präsidentschaft geht zu Ende. Eine Bilanz. von wibke bergemann

Zeichen der Schwäche ist man von dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi nicht gewöhnt. Umso erstaunlicher, dass ein müde und erschöpft wirkender Berlusconi vor dem Brüsseler Ratsgipfel am zweiten Dezember-Wochenende der versammelten Presse mitteilte, ihm falle »ein Stein vom Herzen«, wenn er in Kürze die Präsidentschaft abgebe. »Ich habe noch nie in meinem Leben so viel gearbeitet wie in den letzten vier Monaten.« Die italienische EU-Ratspräsidentschaft, die für Berlusconi zu einem Triumph werden sollte, endete im Fiasko, besiegelt durch das Scheitern der Verhandlungen über eine EU-Verfassung. Wer ein Unternehmen oder einen Fußballclub führen kann, ist eben nicht automatisch dazu befähigt, der EU vorzusitzen.

Schon der Auftakt der italienischen Ratspräsidentschaft im Juli verhieß nichts Gutes. Mit viel Selbstherrlichkeit trat Berlusconi den Posten an. Bei seinem ersten Auftritt vor dem EU-Parlament in Straßburg bezeichnete er die Abgeordneten als »Touristen der Demokratie«. Schließlich ließ er sich dazu hinreißen, den deutschen Abgeordneten Martin Schulz, der ihm ein paar kritische Fragen stellte, mit einem KZ-Kapo zu vergleichen. Berlusconi spielte sich als enfant terrible auf, entschuldigte sich – Italiener scherzten nun einmal gerne über dieses Thema – und nahm vor italienischen Medien die Entschuldigung wieder zurück. Vor allem zeigte sich, dass der Politunternehmer mit den diplomatischen Gepflogenheiten in der EU völlig überfordert war.

Doch die italienische Ratspräsidentschaft war nicht nur gekennzeichnet durch eine Kette von Peinlichkeiten. Dass im Europäischen Ministerrat vor allem die nationalen Interessen der Mitgliedsländer im Vordergrund stehen, ist kein Geheimnis. Doch kaum ein Regierungschef vertrat als Vorsitzender des Gremiums so offensichtlich die Interessen des eigenen Landes wie Berlusconi – etwa in Fragen einer gemeinsamen Einwanderungspolitik. Seine Ratspräsidentschaft nutzte er, um die Zusammenarbeit bei der Sicherung der EU-Außengrenze auszubauen. Dabei geht es Berlusconi vor allem darum, die Kosten für die Abschottung des auf drei Seiten vom Meer umgebenen Landes an andere Mitgliedsländer abzugeben. Ein anderes Beispiel ist die Verzögerung bei der Einführung eines europäischen Haftbefehls, der in Zukunft die Auslieferung von Inhaftierten innerhalb der EU in einem Zeitraum von drei Monaten ermöglichen soll. Die italienische Regierung zeigte bisher keine Bereitschaft, die nationalen Gesetze entsprechend zu ändern, und versucht, eine engere Zusammenarbeit der Justiz in der EU zu verhindern. Dabei dürfte sie weniger von der Sorge um die Rechtssicherheit der EU-Bürger getrieben sein, denn gegen Berlusconi selbst laufen Verfahren im europäischen Ausland.

Ähnlich wie Berlusconi als Ministerpräsident versucht, den italienischen Staat nach seinen eigenen Interessen umzuformen, scheint er auch das Amt des Ratspräsidenten als eine persönliche Angelegenheit betrachtet zu haben. Die Rolle des Repräsentanten ist dem Politunternehmer fremd. So empfing Berlusconi den russischen Präsidenten Wladimir Putin, wie man eben einen alten Duzfreund empfängt, von Kritik an der Yukos-Affäre oder am russischen Vorgehen in Tschetschenien keine Spur. Er verteidigte Putin sogar als ein Opfer der Medien, die Lügen über Tschetschenien verbreiteten. Damit ging er eine Spur zu weit. »Schande für Europa«, titelte die französische Tageszeitung Le Monde, und die EU-Kommission distanzierte sich mit ungewöhnlich scharfen Tönen.

Nicht zuletzt nutzte Berlusconi die europäische Plattform, um sich für die europäischen Wahlen im Juni 2004 warm zu laufen. Erst mehr oder weniger verdeckt, schließlich ganz unverhohlen versuchte der amtierende Ratspräsident den voraussichtlichen Kandidaten der italienischen Opposition, Romano Prodi, derzeit noch Kommissionspräsident, zu diskreditieren. Prodi hatte im Juli die italienischen Mitte-Links-Parteien zu mehr Zusammenhalt für die EU-Wahlen aufgerufen, und sich damit erstmals auch als möglicher Oppositionskandidat im Falle vorgezogener Neuwahlen im Frühjahr in Italien ins Spiel gebracht. Verschiedene Abgeordnete von Berlusconis Partei Forza Italia forderten daraufhin Prodis Rücktritt, ausgerechnet mit dem Argument, der Kommissionsvorsitzende müsse sich zwischen EU-Kommission und italienischer Innenpolitik entscheiden. Der Machtkampf zwischen dem Rats- und dem Kommissionspräsidenten reichte von kleineren Missachtungen der Etikette bis zum offenen Affront, als sich Berlusconi im Streit um den Stabilitätspakt offen auf die Seite Frankreichs und Deutschlands schlug. Statt über den Parteien zu stehen, verteidigte er die beiden großen EU-Staaten, deren Haushaltsdefizit in diesem Jahr erneut die Dreiprozentgrenze überschreiten und die sich dennoch gegen die Kommission durchsetzen konnten und nun vorerst keine Sanktionen befürchten müssen. Die drei Prozent seien nicht als ein absoluter Wert zu sehen, mischte sich Berlusconi ein.

Der Brüsseler Gipfel Mitte Dezember hätte eine Art krönender Abschluss der italienischen Ratspräsidentschaft werden sollen. Stattdessen scheiterte er. Daran war nicht allein Berlusconi schuld, doch dass die Verhandlungen um eine gemeinsame europäische Verfassung so zielstrebig scheiterten, ist nicht zuletzt auf seine chaotische Verhandlungsführung zurückzuführen. In seiner Selbstherrlichkeit wollte er offenbar alle Fäden in den Händen behalten. Statt die Verhandlungen im Plenum zu führen, empfing er von Anfang an die Regierungschefs zu Einzelgesprächen, bei denen ganz unterschiedliche Vermittlungsvorschläge gemacht wurden. Dabei fehlte Berlusconi eine klare Kompromissstrategie, ganz abgesehen von verbindlichen schriftlichen Vorschlägen.

Dafür brillierte Berlusconi vor allem mit schlechten Witzen. Denn auch in Brüssel war ihm sein berühmter Sinn für Humor nicht vergangen. Die Plenarsitzung eröffnete er mit dem Versuch, auf seine Weise »die Stimmung zu verbessern«. Doch seine Aufforderung, »reden wir über Frauen und Fußball«, stieß nicht nur bei den sechs anwesenden Außenministerinnen auf Unverständnis. Den deutschen Bundeskanzler bat er um gute Tipps: »Gerhard, du hast doch viele Erfahrungen mit Ehefrauen, was empfiehlst du uns für den Umgang mit Frauen?« Peinlich auch ein Witz über einen Sprung aus dem Helikopter, denn der polnische Premierminister Leszek Miller war wegen eines Hubschrauberunfalls dazu gezwungen, im Rollstuhl am Brüssler Treffen teilzunehmen.

Es schien, als sei Berlusconi von vornherein nicht viel an einer europäischen Verfassung gelegen. Es sei noch nie eine Regierungskonferenz unter dem Vorsitz eines Landes eröffnet und abgeschlossen worden, sagte Berlusconi schon bei seiner Ankunft in Brüssel. Überhaupt stellt sich die Frage, wie viel Interesse jemand an einer europäischen Verfassung haben mag, der gerade drauf und dran ist, die Verfassung in seinem eigenen Land auszuhöhlen.