Haste mal ’ne Kippe?

Über acht Jahre nach einem versuchten Anschlag auf den Abschiebeknast in Berlin lud die Polizei mehrere Personen zur DNA-Probe. Der Anwalt eines Betroffenen legte Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. von christoph villinger

Gut acht Jahre alter Müll wird demnächst das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Genauer gesagt, geht es um vier Zigarettenkippen, sichergestellt von der Polizei am 10. April 1995 im Aschenbecher eines gestohlenen Ford Transit auf einem Waldparkplatz in Berlin-Grünau. In dem Kleinbus einer Autovermietung fand die Polizei außerdem vier Bomben und mehrere Schilder mit der Aufschrift »Vorsicht Knastsprengung«, unterzeichnet mit »K.O.M.I.T.E.E.«

In einem zweiten Fahrzeug, einem in der Nähe geparkten Passat, entdeckten die Ermittler die Personalausweise von drei Personen sowie diverse andere Papiere. Die Fahnder gehen davon aus, dass hier Mitglieder der Gruppe durch eine zufällig vorbeikommende Polizeistreife bei den letzten Vorbereitungen für einen Anschlag auf den Abschiebeknast in Berlin-Grünau gestört wurden, der sich zu diesem Zeitpunkt noch im Umbau befand.

Seitdem stehen drei Männer aus der Berliner Autonomenszene auf der Liste der »meistgesuchten Personen« des Bundeskriminalamts (BKA). Trotz diverser Hausdurchsuchungen und Zeugenvorladungen blieb die Fahndung der Polizei erfolglos. Deshalb ist sie dankbar für jede Spur, und ist sie noch so klein. Eine Analyse der Zigarettenkippen ergab, dass drei eine identische DNA aufweisen, die vierte nicht. Da die Polizei aber nicht über DNA-Proben der gesuchten Männer verfügt, kann nicht festgestellt werden, ob sie die Zigaretten rauchten. Ausgeschlossen wurde lediglich, dass die Kippen von den VormieterInnen des Kleinbusses stammen. Sie mussten nämlich DNA-Proben abgeben.

Fast acht Jahre später beginnt nun die eigentliche Geschichte. »Im Februar 2003 will das BKA auf einmal von drei weiteren Personen, einer Frau und zwei Männern, eine DNA-Probe haben und beantragt beim Bundesgerichtshof (BGH) einen entsprechenden Beschluss«, berichtet der Berliner Rechtsanwalt Stephan Schrage, der einen der Betroffenen vertritt. Alle drei führte die Polizei ursprünglich als »Zeugen«, obwohl bei ihnen im Frühjahr 1995 Durchsuchungen stattfanden. Deshalb konnten sie wegen Gefahr der Selbstbelastung nach Paragraf 55 StPO eine Aussage verweigern. Daraufhin erklärte sie die Bundesanwaltschaft (BAW) im August 1999 zu »Beschuldigten«, und seither wird auch gegen sie offiziell wegen Mitgliedschaft im K.O.M.I.T.E.E. ermittelt. Mehr passierte allerdings seitdem nicht.

So beantragte der Anwalt Schrage im Februar 2003 Akteneinsicht und bekam von Bundesanwalt Volker Homann 85 Aktenordner zugeschickt. In einer ersten Stellungnahme kritisierte Schrage die geforderte Abgabe von DNA-Proben als »unverhältnismäßig«. Die Polizei solle doch erst einmal mitteilen, ob es sich bei den RaucherInnen um Männer oder Frauen handelte, damit »nur eine Teilmenge der drei« ihre Proben abgeben müsste. Außerdem legte er beim BGH Widerspruch ein.

Die Geschlechtsbestimmung bei DNA-Spuren sei eine gängige Praxis der Polizei, »obwohl dies nach geltendem Recht nicht zulässig ist«, sagt Schrage. Dem Spiegel bestätigten das im Sommer dieses Jahres sowohl der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Münster, Bernd Brinkmann, als auch Edwin Kube, der ehemalige Leiter des Kriminaltechnischen Instituts des BKA. Brinkmann sagte dort, dass sehr wohl Geschlecht, »Rasse« und sogar bestimmte Krankheiten bei einer DNA-Analyse festgestellt würden. Auch Kube bestätigte, das Geschlecht der Testpersonen werde seit Jahren regelmäßig bestimmt. Die Rechtfertigung der Polizei lautet, von der Industrie würden nur so genannte DNA-Analyse-Kits zur Verfügung gestellt, bei denen die Bestimmung des Geschlechts automatisch stattfinde. Das eine ließe sich nicht ohne das andere machen.

Zwar hat der Bundestag am 3. Juli 2003 eine Novelle beschlossen, um das Gesetz »der illegalen Praxis der Geschlechtsbestimmung bei DNA-Analysen anzupassen«, wie Schrage es ausdrückt. Da das Inkrafttreten des Gesetzes unmittelbar bevorstehe, schrieb er deshalb ans BKA, wer acht Jahre warten kann, solle sich noch weitere sechs Monate gedulden.

Doch das BKA hat es eilig. Am 21. Oktober 2003 tauchten zwei Polizisten bei Schrages Mandanten auf und überreichten ihm eine Vorladung »für nächsten Montag« zur Abgabe einer DNA-Probe. Aus der Vorladung ging hervor, dass es inzwischen offenbar einen Beschluss des Bundesgerichtshofs in dieser Angelegenheit gibt, von dem bis zu diesem Zeitpunkt weder Schrage noch sein Mandant Kenntnis erhalten hatten. Ein Anruf beim Bundesgerichtshof ergab, dass er die Bundesanwaltschaft, also eine der beiden Prozessparteien, mit der Weitergabe der Post an Schrage beauftragt hatte. Die Bundesanwaltschaft fungierte also als Postbotin des Bundesgerichtshofs.

Der Brief mit dem sofort nach einem weiteren Anruf bei der BAW von Bundesanwalt Homann zugestellten Beschluss des Bundesgerichtshofs enthielt auch eine Stellungnahme der BAW zum Widerspruch des Anwalts. Darin heißt es, die Untersuchungsergebnisse zum Geschlecht der RaucherInnen der vier Kippen befänden sich bei der Polizeitechnischen Untersuchungsanstalt (PTU) des Landeskriminalamts (LKA) Berlin. Und bei der von der PTU verwendeten Untersuchungsmethode erfolge die Bestimmung des Geschlechts »automatisch durch die Verwendung industriemäßiger Untersuchungssysteme«.

Schrage staunte nicht schlecht, was die BAW in ihrer Stellungnahme offen zugab. Der Datenschutzbeauftragte des Landes Berlin bestätigte Schrages Befürchtung. »Das wissen wir schon seit Jahren«, sagte er. Die Datenschutzbeauftragten aller Länder hätten die unrechtmäßige Geschlechtsbestimmung schon beanstandet.

Nach weiterem juristischen Hin und Her und dem zeitweilig außer Vollzug gesetzten Zwang gegen seinen Mandanten, eine DNA-Probe abzugeben, legte Schrage nun für ihn Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVG) ein. Die Geschlechtsbestimmung der RaucherInnen durch die sich an den vier Zigarettenkippen befindenden DNA-Spuren sei illegal, und die Proben seien daher nicht verwertbar. Außerdem verstoße der versuchte Zwang gegen seinen Mandanten gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

In einer Stellungnahme der Bundesanwaltschaft zu Schrages Verfassungsbeschwerde hieß es plötzlich, Untersuchungen zum Geschlecht der RaucherInnen seien nicht erfolgt und die Gestaltung der DNA-Kits habe auch keine automatische Geschlechtsbestimmung zur Folge. Das habe eine neue Anfrage bei der Polizeitechnischen Untersuchungsanstalt des LKA Berlin ergeben.

Dem Anwalt fällt es schwer, der neuen Information Glauben zu schenken. »Was haben denn dann die Datenschutzbeauftragten eigentlich beanstandet?« Die weiter gehende Frage ergibt sich, wie die unterschiedlichen Informationen der BAW in geeigneter Form überprüft werden können. Und davon abgesehen, sind Schrage und sein Mandant sehr gespannt darauf, was das BVG demnächst zu den vier Zigarettenkippen sagen wird.