»Ich liebe Ali«

george foreman über Amerika, den Rumble in the Jungle, Bob Dylan und Malcolm X

Sie sind 1949 in den Südstaaten geboren. Welche Rolle spielte da die Bürgerrechtsbewegung?

Ich wusste gar nichts darüber, bis ich 1965 zum Job Corps ging. Erst da ging mir auf, was tatsächlich los war, denn ein junger Weißer aus Takoma, Washington, erklärte mir sehr viel. Dieser Mann, er hieß Richard Kibble, spielte mir dann auch seine Bob-Dylan-Platten vor. Mich hauten die Texte um: »Well, they’ll stone ya when you’re walkin’ ’long the street. They’ll stone ya when you’re tryin’ to keep your seat. They’ll stone ya when you’re walkin’ on the floor. They’ll stone ya when you’re walkin’ to the door.« Ich habe wirklich viel gelernt in dieser Zeit.

Im Jahr 1965 war Malcolm X der prominenteste Führer der Bürgerrechtsbewegung. Was wussten Sie damals über ihn?

Gar nichts, ich wusste gar nichts über die Welt da draußen. 1966 oder Anfang 1967 gab mir jemand seine Autobiografie. Ich war hingerissen. Vor allem von seinem ersten Leben, als er sich als Zuhälter und Kleinkrimineller versuchte, bis er seinen Frieden fand. Dass er sein Leben einfach änderte, gefiel mir. Es war das erste Buch, das ich wirklich von vorne bis hinten durchgelesen habe.

Eine weitere politische Ikone dieser Zeit war Muhammad Ali. Was dachten Sie als junger Mann im Jahr 1966 von ihm?

1962, vor seinem ersten Kampf gegen Sonny Liston, war er im Rundfunk zu hören. Gemeinsam mit meinem Bruder und einigen Freunden machte ich mich auf die Suche nach jemandem, der ein Radio besaß. Ich wollte Ali unbedingt einmal reden hören.

Wir mochten ihn vor allem deswegen gern, weil er sich für schön hielt. Wir fanden uns bis dahin nicht schön, und plötzlich merkten wir dann auch, dass wir eigentlich auch gut aussehen.

Wie fanden Sie es, dass er seinen Namen nach diesem Liston-Kampf von Cassius Clay in Muhammad Ali änderte?

In unserem Viertel bestand die einzige Reaktion darin: »Wie konnte der Junge das nur tun?« Als man dann hörte, dass Ali ein Black Muslim sei, bekamen die Leute Angst. Sie fürchteten sich vor diesem Wort.

Vor dem Wort Muslim?

Nein, vor dem Wort Black. Niemand in Texas hatte bis dato davon gehört, dass man anstelle des Wortes Neger Schwarzer sagte. Und so dachte eben am Anfang jeder, dass Ali verrückt geworden sein müsse.

Bis die Ersten erklärten, sie würden ihn gern mal treffen und hören, was er zu dem Thema zu sagen habe.

Sahen Sie denn Ali auch als Kämpfer gegen den Rassismus?

Nein, was sollte das sein, »sich für eine Sache zu engagieren«? Wie sollte das gehen? Politik existierte für mich einfach nicht. Ich lebte in einer Welt, in der ich täglich darum kämpfen musste, genug zu essen zu haben. Und die Zeitungen berichteten nicht so viel über Ali, wie man heute glauben könnte. Nicht einmal in den Zeitungen für die Schwarzen kam er vor.

1968 gewannen Sie die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen. Nur wenige Tage zuvor hatten die 200-Meter-Sprinter Tommie Smith und John Carlos auf dem Siegerpodest den Black-Panther-Gruß gezeigt. Aber Sie schwenkten damals stolz eine kleine amerikanische Flagge.

Was Smith’ und Carlos’ Geste für Debatten auslöste, haben wir daher zuerst gar nicht mitbekommen. Als sie aus dem Team geworfen wurden und ihre Koffer packten, konnten wir es nicht fassen. Ich dachte darüber nach, ebenfalls abzureisen, wie viele andere auch. Das Bild, wie John Carlos das Mannschaftsquartier verließ, verfolgt von Kameraleuten und Fotografen, werde ich nie vergessen. Er hatte den traurigsten Gesichtsausdruck, den man sich vorstellen kann. Der ehemals stolze Mann mit dem erhobenen Haupt sah plötzlich nur noch völlig zerstört aus. Aber auch wir anderen waren wütend und verletzt. Vergessen Sie die Flagge, dieser Mann war unser Teamkollege...

Dass Sie die Stars and Stripes schwenkten und sich dazu verbeugten, wurde als Reaktion auf Smith und Carlos gedeutet.

Quatsch. Es war ganz spontan und hatte nichts mit den beiden zu tun. Ich hatte immer eine US-Fahne dabei, damit jeder gleich wusste, dass ich Amerikaner bin. Und es war eben auch Tradition, sich nach einem Kampf bei jeder Punktewertung vor dem entsprechenden Kampfrichter zu verbeugen. Ich war ganz einfach nur ein überglücklicher 19jähriger Junge.

Später kamen einige Leute aus der Nachbarschaft und sagten, ich hätte Carlos und Smith verraten. Das hat mir sehr wehgetan.

Würden Sie so etwas wiederholen?

Ich würde mit drei Flaggen winken! Ich bin schließlich von Amerika aus der Gosse gerettet worden. An dem einen Tag lag ich dort noch, gejagt von der Polizei und von Spürhunden, und am nächsten stand ich auf dem olympischen Siegerpodest und hörte die Nationalhymne. Ich war so stolz.

Dank des Job Corps, eines Arbeitsbeschaffungsprogramms, war ich aus der Armut rausgekommen und hatte plötzlich drei Mahlzeiten am Tag und eine Chance. Lyndon B. Johnson hatte diese Job Corps als Bestandteil seines Kampfs gegen die Armut im Jahr 1964 gegründet. Allein deswegen würde ich diese drei Flaggen schwenken.

Aber den Kampf von Smith und Carlos finden Sie gut?

Es gab ja 1968 Bestrebungen, uns schwarze Athleten zum Boykott der Olympischen Spiele zu überreden. Wussten Sie, dass aber nur die College-Sportler einbezogen wurden? Keiner von uns Highschool-Abbrechern wurde jemals gefragt, ob wir vielleicht auch mitmachen wollten. Die Armen spielten keine Rolle. Ich mag es bis heute einfach nicht, als »schwarzer Sportler« separiert zu werden oder auch nur so genannt zu werden.

Wenn ich ins Ausland reise, nach Afrika oder Deutschland oder sonstwohin, dann sieht mich dort niemand als Schwarzen, sondern als Amerikaner! (Er lacht.) Obwohl das natürlich auch nicht immer positiv ist.

Brauchen wir eine neue Bürgerrechtsbewegung?

Es reicht, wenn wir die Rechte, die wir bereits haben, neu zu würdigen lernen. Es gibt so viele Freiheiten, aber die Leute scheinen nichts damit anfangen zu können. Für diese Rechte haben Menschen immerhin ihr Leben geopfert, und darauf sollten wir die jüngeren Generationen immer wieder aufmerksam machen. Mehr Rechte? Wir sollten erst einmal die nutzen, die wir haben. Sie verteidigen, schätzen und nutzen.

Zum Schluss eine Frage zum Rumble in the Jungle 1974 in Kinshasa: Warum reagierten die Menschen so stark auf Ali?

Er wollte, dass sie ihn lieben. Wenn man es wirklich möchte, lieben die Menschen einen. Und Ali brachte sie dazu. Deswegen konnte ich ihn nicht schlagen. Er hörte, wie sie seinen Namen sangen, und sagte sich, dass er nicht verlieren würde. So konnte er meine Schläge wegstecken. Sie liebten ihn, und ich liebe ihn auch. Er ist der größte Mensch, den ich jemals kennen gelernt habe. Nicht nur der größte Boxer, das wäre viel zu wenig. Er hatte diese Gabe. Er ist nicht hübsch, sondern schön. Muhammad Ali verkörpert alles, was die USA sein sollten.

interview: david zirin

Aus dem Amerikanischen von Elke Wittich.