Krieg um die Sterne

Europa rüstet sich für die Militarisierung des Weltraums. von volker macke

Mutter und Kind sind wohlauf. Beagle 2 ist jetzt ein eigenes Raumschiff», verkündete der Sprecher der Europäischen Weltraumorganisation Esa euphorisch. Nach der geglückten Abkoppelung der Sonde von dem Trägerschiff »Marsexpress« war die Begeisterung im Darmstädter Kontrollzentrum am vergangenen Freitag kaum zu bremsen. Tatsächlich gilt die Mission schon jetzt als einer der größten Erfolge der europäischen Raumfahrt. Pünktlich zu Weihnachten soll die Sonde von dem roten Planeten senden – und damit lange vor der fast zeitgleich gestarteten US-Marsexpedition.

Doch die Mission ist nur ein vorläufiger Höhepunkt der ehrgeizigen europäischen Weltraumpläne. Das geht zumindest aus dem »Weißbuch Europäische Raumfahrtpolitik« der EU-Kommission hervor, das im November veröffentlicht wurde. Und darin ist weniger von spektakulären Reisen durch den Weltraum die Rede, sondern von sehr irdischen Zielen.

Die bislang eigenständige Esa soll demanch in eine EU-Weltraumagentur ähnlich der US-amerikanischen Nasa umgewandelt werden. Ihr bisher ausschließlich ziviler Charakter wird eine militärische Komponente erhalten. Die neue Linie wird ergänzt durch die Öffnung des geplanten Navigationssystems Galileo für militärische Nutzer.

Bereits im Jahr 2000 hatten die von der EU-Kommission beauftragten »drei Weisen« Lothar Späth, Jean Peyrelevade und Carl Bildt dem EU-Forschungskommissar Philippe Busquin ihre Visionen zur europäischen Raumfahrt vorgelegt. In ihrem Report empfahlen sie angesichts des Kosovokrieges erstmals, die Esa in Sicherheitsaufgaben einzubinden, etwa zur satellitengestützten Aufklärung. Der Krieg auf dem Balkan hatte den Europäern demonstriert, dass die USA ihre Daten aus dem Weltraum nur nach Gutdünken weitergeben. Diese Abhängigkeit soll es in Zukunft nicht mehr geben.

In dem Weißbuch äußert sich die EU-Kommission nun erstmals offiziell zur mittelfristigen Nutzung der Raumfahrt. Ein Großteil des Textes dreht sich um Ariane-Starts, eingestellte Forschungsmissionen, finanzielle Fragen sowie um die Integration der Esa. Das All soll, so der Report, »in die Werkzeugkiste der Politik« gelegt werden.

Ein Kapitel ist speziell der militärischen Weltraumnutzung gewidmet. Darin werden die geplanten Satellitensysteme, das Navigationssystem Galileo und das Erderkundungs- und Katastrophenschutzsystem GMES, auf ihre militärische Tauglichkeit abgeklopft. Zwar heißt es in dem Weißbuch, beide Systeme seien ausschließlich für zivile Zwecke ausgerichtet, und ein »zweites GPS« sei nicht vorgesehen. Das amerikanische Navigationssystem GPS wird auch vom US-Militär genutzt. Präzisionsbomben und Marschflugkörper finden mit Hilfe dieses Systems ihre Ziele, wie zuletzt im Irak.

Das europäische Galileo kann aber solche Aufgaben, wenn es im Jahr 2008 mit 30 verknüpften Satelliten wie geplant in Betrieb geht, auch meistern. Sogar besser, nämlich auf den Meter genau. Bislang bemüht sich der Esa-Ministerrat, die militärische Option zu relativieren. »Diese Frage stellt sich nicht«, erklärt die deutsche Forschungsministerin Edelgard Bulmahn, die auch Vorsitzende des Esa-Ministerrates ist. Allein Autofahrer, Handynutzer oder Kapitäne sollen von Galileo profitieren.

Intern wird aber längst weiter gedacht. Galileo könne die gemeinsame europäische Schnelle Einsatztruppe unterstützen, meinen Gustav Lindström und Giovanni Gasparini. »Es könnte Truppenbewegungen überwachen und Munitionstransporte planen«, schreiben die beiden Strategen in einem Gutachten für das Institut für Sicherheit der EU.

Und auch der Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Sigmar Wittig, sagt, man müsse dem Militär alle Möglichkeiten in die Hand geben, die die Raumfahrt bietet. Man könne schlecht Soldaten nach Afghanistan schicken »und sie dann allein lassen«.

Einer DLR-Studie zufolge könnten die Europäer mit Galileo mit »Friedenseinsätzen von europäischen Streitkräften, an denen die Nato nicht beteiligt ist, auch auf sicherheitspolitischem Gebiet eine eigene Identität entwickeln«. In einer Entschließung der EU mit dem Titel »Prioritäten und Schwachstellen der Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur« vom März dieses Jahres heißt es eindeutig: »Wir wollen uns nicht dem Willen eines neuen Reiches unterordnen.« Gemeint sind die USA. Und so planen Europas Sicherheitsstrategen, mindestens einen Galileokanal für das Militär offen zu halten. Organisieren soll das künftig die Esa als EU-Raumfahrtagentur.

Seit 1975 ist der Forschungsverbund Esa in der Grundlagenforschung, der Erd- und Wetterbeobachtung sowie der Telekommunikation tätig. Wenn in Südamerika die Ariane-Raketen starten, steuert sie die Esa. Der zivile Charakter ist in dem Grundlagenvertrag festgelegt. Der soll nun neu geschrieben werden.

Ein Rahmenabkommen zwischen Esa und EU soll bis Anfang 2004 fertig sein. Wie sich die Esa-Mitgliedsländer, vor allem aber neutrale Staaten wie Schweiz und Kanada, dann gegenüber der EU verhalten werden, ist noch unklar.

Die Schweiz beispielsweise, Gründungsmitglied der Esa, setzt zwar auch auf eine stärkere Zusammenarbeit mit der EU und hat erst vor wenigen Tagen deswegen offiziell Gespräche aufgenommen. Die Umwandlung der Weltraumbehörde in eine Agentur der EU aber wird in Bern abgelehnt. »Die Kernfrage im Hinblick auf die Esa-EU-Kooperation ist, welche Technologie wir zu entwickeln helfen«, sagte Daniel Neuenschwander, Leiter der Schweizer Esa-Delegation. Eine »sehr heikle« und noch nicht abschließend geklärte Frage sei die anvisierte militärische Ausrichtung der Esa. »Wir müssen sehen, was kompatibel ist. Wenn wir zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe beitragen können, müssen wir das im Einzelnen prüfen.« Wie genau, ist bislang ungewiss.

In Deutschland aber ist die Richtung bereits klar. Die Strukturen der Esa seien unbedingt an die EU heranzuführen, heißt es aus dem Forschungsministerium. Die Kosten für Weltraumforschung seien schlicht zu hoch für parallele Arbeiten. Allerdings solle von der zu gründenden Agentur »keine Forschung für militärische Anwendungen finanziert« werden, versichert Forschungsministerin Bulmahn.

Genau das aber vermuten Kritiker. Wenn die Esa den politischen Direktiven der EU unterworfen wird, ist die Grauzone zwischen militärischer und ziviler Forschung nicht zu kontrollieren, sagt der forschungspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Hans-Josef Fell. »Ich fürchte die Umgehung gedeckelter Militäretats.«

Regina Hagen, Koordinatorin des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (Inesap), fürchtet vielmehr, dass die europäische Militarisierung des Weltraums zu einem neuen Wettrüsten führen könne. »Die USA begründen mit der Wichtigkeit ihrer Weltraumsysteme die Forderung nach entsprechendem Schutz. Das bedeutet Weltraumwaffen«, sagt die Friedenspolitikerin.

Dazu komme der soeben vereinbarte Einstieg der chinesischen Regierung in das Galileo-Projekt. Mit 200 Millionen Euro will sich Peking einkaufen. Wenig vorstellbar, dass die Esa künftig allein Millionen chinesischer Autos lenken soll. Auch Indien, Israel und Japan haben bereits ihr Interesse angekündigt.

Währenddessen haben die USA im Herbst einen neuen Geheimdienstsatelliten in den Orbit geschossen. Er soll jede Form der elektronischen Kommunikation, andere Satellitensysteme inklusive, überwachen. Deutschland entwickelt derzeit einen eigenständigen Militäraufklärer, den licht- und wetterunabhängigen Radarsatelliten SAR-Lupe. Frankreich bastelt am optischen Helios-Satellitensystem und Großbritannien verfügt bereits heute über militärische Kommunikationssatelliten auf geostationären Umlaufbahnen.

Kein Wunder also, dass die Genfer Abrüstungskonferenz in diesem Jahr ergebnislos endete. Eine Ausweitung der Gespräche auf nukleare Waffensysteme im Weltraum scheiterte am Widerspruch der USA. Beste Voraussetzungen für den kommenden Krieg der Sterne.