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Sie leben

Gewerkschaften. Wer glaubt, die Gewerkschaften hätten sich nach ihren zögerlichen Protesten gegen die Agenda 2010 im Mai dieses Jahres in die Sommerpause geflüchtet, seien dort direkt in den Winterschlaf gefallen und verspürten bereits eine vorauseilende Frühjahrsmüdigkeit, irrt sich gewaltig. Die Gewerkschaften leben! Verdi etwa heckt etwas Hinterlistiges, ja geradezu Bösartiges aus am noblen Stammsitz am Potsdamer Platz zu Berlin. Der Vorsitzende Frank Bsirske verriet es in einem unbedachten Moment dem Tagesspiegel. »Wir werden zu einem europaweiten Aktionstag der Gewerkschaften Anfang April aufrufen. Und voraussichtlich im Mai veranstalten wir mit der IG Metall und Attac einen Perspektivenkongress.« Ein Aktionstag im April? Ein Perspektivenkongress mit Attac schon im Mai? Schröder kann einpacken.

Blöd wie Bertelsmann

Studentenstreiks. Sie haben Parteizentralen besetzt, in Berlin in der vorigen Woche sogar eine Bankfiliale, sie streiken, demonstrieren und wollen auch im neuen Jahr nicht nachlassen: die Studierenden. Derweil arbeiten ihre Feinde mit ausgefeilten Methoden an der Niederschlagung des Aufstandes. Bevorzugtes Mittel: Desinformation. Das von der Bertelsmann-Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz getragene Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) stellte in der vorigen Woche die Ergebnisse einer Umfrage vor, wonach die Studierenden sich mehrheitlich für Studiengebühren aussprächen.

Der Freie Zusammenschluss von StudentInnenschaften (FZS) nannte die Ergebnisse »eine glatte Lüge«. Er schlug die Umbenennung des CHE in »Centrum für Hochschulbetrug« vor. Tatsächlich bot der Fragebogen nicht die Möglichkeit, sich generell gegen Studiengebühren auszusprechen. Es konnte nur aus drei verschiedenen Formen von Studiengebühren die bevorzugte ausgewählt werden. Doch so dumm sind die Studierenden trotz der Bildungsmisere noch lange nicht.

Plakat vor Gericht

Autonome. Jeder Mensch sei ein Künstler, meinte einst Joseph Beuys. Das sieht die Berliner Staatsanwaltschaft allerdings anders. Sie versteht auch keinen Spaß, wenn es um die Kritik an fragwürdigen Fahndungsmethoden der Polizei geht. Mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung eines Plakats der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) stand am 18. Dezember der damalige Pressesprecher der Gruppe, Michael Kronawitter, vor dem Berliner Amtsgericht.

Nach den Ausschreitungen am 1. Mai 2002 hatte die Polizei erstmals in ganz Deutschland Plakate aushängen lassen, auf denen Fotos vermeintlicher Steinewerfer zu sehen waren. Als Antwort brachte die AAB ein Plakat mit Fotos von Polizisten heraus und bat um Hilfe bei der »Identifizierung von Straftätern aus den Reihen der Polizei«. Doch was der Polizei erlaubt ist, schickt sich für den gemeinen Autonomen noch lange nicht. Kronawitter wird ein Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz vorgeworfen. Zwei Polizeibeamte, die sich auf den Plakaten wiedererkannt haben wollen, fühlen sich in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Kronawitter hingegen sieht das Plakat als Reaktion auf die »öffentliche Zurschaustellung ohne gerichtliche Verurteilung und pauschale Missachtung der Persönlichkeitsrechte der auf den Polizeiplakaten abgebildeten Personen«. Die Richterin ließ das unbeeindruckt und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe in der Höhe von 2 400 Euro.

Wasser marschiert

Nazi-Demonstration. Kürzlich demonstrierten in Cottbus Rechtsextreme unter der Leitung Christian Worchs gegen die Ost-Erweiterung der EU. (Jungle World, 51/03) Dabei ging die Polizei hart gegen linke Gegendemonstranten vor. Nach Angaben der Zeitung Neues Deutschland forderten die Nazis »Wasser marsch!«, und dann setzte die Polizei den Wasserwerfer ein. Die Jungle World befragte hierzu Sven Hoffmann, den Pressesprecher der Cottbusser Polizei.

Warum setzten Sie Wasserwerfer gegen die Antifas ein?

Das war kein Wasserwerfereinsatz, das war nur eine Androhung. Es gab nur einen Sprühnebel. Das war wie ein kurzer Regen.

Die Fotos vom Polizeieinsatz wirken etwas anders, man sieht auf Demonstranten knieende Beamte.

Das mag so wirken, in Wirklichkeit war es anders. Es war eine genehmigte Demonstration, die galt es zu schützen. Das hätten wir auch bei einer linken Demo gemacht.

Christian Worch bedankte sich bei den »Kameraden der Polizei für ihre vorbildliche Begleitung«. Ist das nicht unangenehm?

Wieso? Wir wurden doch für unsere Arbeit gelobt. Das hat mit dem Inhalt der Demonstration nichts zu tun.

Der wahre Grund

Weihnachten. Wann gibt es endlich die Geschenke? Wildschwein oder Gans, Karpfen oder Sauerbraten? Verwandtenbesuche oder Urlaub, Festboykott oder Party? In welche Kneipe geht es am Heiligen Abend?

Das sind die Fragen, die jeden vernünftigen Menschen kurz vor Jahresende bewegen. Doch mit der Vernunft ist es nicht weit her in diesem Lande. Entsprechend niederschmetternd sind die Antworten auf die Frage: »Weshalb feiern wir eigentlich Weihnachten?« Nach einer Emnid-Umfrage im Auftrag der Zeitschrift Lisa haben lediglich 15 Prozent der »repräsentativ ausgewählten Männer und Frauen zwischen 20 und 49 Jahren« erfolgreich verdrängt, dass da vor verdammt langer Zeit irgendetwas gewesen sein soll mit den Schikanen eines Monarchen gegen seine Untertanen, die von Datenschutzbeauftragten heftig kritisiert wurden, einer sozial schwachen Familie, einer hoch schwangeren Frau, katastrophaler medizinischer Versorgung und der Geburt eines Knaben, der später auf unnatürlichem Wege zu Tode kam. Was diese Geschichte mit Kerzen, Tannen und bunten Kugeln zu tun hat, bleibt zwar unklar, doch diese Dinge sind den Befragten offenbar wichtiger als Geschenke, gutes Essen und Entspannung.