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Libyens Verzicht auf ABC-Waffen von jörn schulz

Von einer »weisen und verantwortungsbewussten Wahl« sprach US-Präsident George W. Bush, der britische Premierminister Tony Blair pries die »mutige Entscheidung«. Die beiden Staatsmänner lobten am Freitag der vergangenen Woche nicht noch einmal ihren Beschluss, das Regime Saddam Husseins zu stürzen. Sie applaudierten dem libyschen Staatschef Oberst Muammar al-Gaddafi.

So viel Lob von den imperialistischen Feinden müsste Gaddafi eigentlich beschämen, doch auch der einst kämpferische Oberst sprach von einer »weisen Entscheidung« und einem »mutigen Schritt«. Nach monatelangen Verhandlungen war Gaddafi dazu bereit, auf den Erwerb von Massenvernichtungswaffen zu verzichten und internationale Inspektionen zu gestatten. Bestehende Produktionsanlagen und vorhandene chemische Waffen waren zuvor amerikanischen und britischen Experten vorgeführt worden.

Nun hat auch der letzte Held des arabischen Nationalismus die Waffen gestreckt. Bereits in den neunziger Jahren wandte sich Gaddafi enttäuscht von den arabischen Brüdern ab. Doch auch sein neues Projekt, die afrikanische Einheit unter seiner Führung, kommt nicht recht voran. Gaddafi hat wachsende Probleme, seine Scheckbuchdiplomatie, mit der er sich politische Gefolgschaft erkaufen will, zu finanzieren.

Seine Bereitschaft zum Verzicht auf ABC-Waffen dürfte weniger eine Folge des Irakkrieges als eine Reaktion auf innenpolitische Probleme sein. Die Ölproduktion ist seit den siebziger Jahren um fast zwei Drittel gesunken, Arbeitslosigkeit und soziale Unzufriedenheit haben für das Regime bedrohliche Ausmaße angenommen. Bereits im Juni kündigte Gaddafi an, dass es Pläne zur Privatisierung der Wirtschaft und zur Erleichterung ausländischer Investitionen gebe.

Die staatskapitalistische Wirtschaftsordnung arabisch-nationalistischer Diktaturen scheitert zwangsläufig an ihren eigenen Widersprüchen. Die Bürokratie muss weder auf ökonomische Effizienz noch auf die Bedürfnisse der Bevölkerung Rücksicht nehmen und entwickelt schnell das Interesse, sich zu bereichern. Wenn die ökonomische Krise ein bedrohliches Ausmaß erreicht hat, gibt es von Seiten der herrschenden Oligarchie nur zwei mögliche Antworten. Sie kann sich für militärische Raubzüge und die Kriegswirtschaft entscheiden, wie es das Regime Saddam Husseins tat, oder für Privatisierung und die Öffnung nach Westen.

Die zweite Option ist tatsächlich eine »mutige Entscheidung«, denn Verarmung und wachsende soziale Ungleichheit führen gerade in der ersten Phase der Privatisierung häufig zu Aufständen wie der ägyptischen Brotrevolte, die 1977 fast zum Sturz Anwar al-Sadats führte. Da Gaddafi nach Bushs Ansicht nun aber »den Interessen seines Volkes dient«, dürfte es wenig Widerspruch geben, wenn der Oberst die ihm verbliebenen konventionellen Waffen gegen eventuelle Aufstände einsetzt.

Konfrontiert mit den Problemen im Irak, scheint die Regierung der USA das Interesse an einem regime change in anderen Diktaturen des Nahen Ostens wieder verloren zu haben und sich anderen Mitteln der Machtpolitik zuzuwenden. Schließlich drängt im Konkurrenzkampf mit der EU um Libyen die Zeit. Gaddafi hat die Pachtverträge mit US-Ölkonzernen nie gebrochen, 2005 aber würde es ihm frei stehen, die Lizenzen an die sehr interessierten europäischen Konzerne zu vergeben. Nun hat die Regierung der USA noch ein gutes Jahr Zeit, die Sanktionen gegen Libyen aufzuheben und in einem Land, das die EU schon als ihren Hinterhof betrachtet, wieder Einfluss zu gewinnen.