Simulieren? Ja bitte!

Die Grünen kämpfen mal wieder. Vor allem um ihren Ruf. Der Export der Hanauer Atomfabrik nach China soll als ein Kapitel des grünen Widerstands in die Geschichte eingehen. von peter bierl

Wenn wir Grüne zum Beispiel von Menschenrechten reden, dann sagen wir: An China verkaufen wir kein Atomkraftwerk«, behauptete Daniel Cohn-Bendit, Europaabgeordneter der Grünen und enger Freund von Außenminister Joschka Fischer, im September 1999. Ein halbes Jahr später hätte sich »Rumpelstilzchen« (Cohn-Bendit über Cohn-Bendit) einen Fuß ausreißen müssen: Der interministerielle Ausschuss des Wirtschafts-, des Finanz- und des Außenministeriums beschloss am 10. März 2000, dem Siemens-Konzern für den Bau des Atomkraftwerks Lianyungang bei Shanghai und für Nachrüstungen an zwei Atomkraftwerken in Litauen und Argentinien Hermes-Bürgschaften zu erteilen.

Demnächst wird die Bundesregierung wohl den Export einer Fabrik zur Herstellung von Brennelementen aus Uran und Plutonium durch die Firma Siemens billigen. Die umstrittene Hanauer Brennelementefabrik soll nach China verkauft werden. Die Grünen, die bemerkten, dass dieses Geschäft bei ihrer Klientel vielleicht auf Unmut stoßen könnte, kaprizieren sich nun in ihrer Kritik vor allem darauf, dass China die Anlage militärisch nutzen könnte.

»Sollte sich herausstellen, dass das der Fall ist, muss die Bundesregierung einen solchen Export natürlich versagen«, fordert der grüne Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei. Seine Stellungnahme verspricht allerdings schon eine Zustimmung für den Fall, dass die Anlage nur zivil genutzt wird. Die Erkenntnis aus besseren Tagen, dass zivile und militärische Nutzung nicht zu trennen sind, spielt für die Grünen keine Rolle mehr.

Zur vorauseilenden Rechtfertigung behauptet Nachtwei, der Handel sei ein kommerzielles Projekt, das der Staat kaum beeinflussen könne, so als wolle Siemens eine Konservendosenfabrik exportieren. Der Parteivorsitzende der Grünen, Reinhard Bütikofer, glaubt, »erhebliche Vorbehalte, die geklärt werden müssen«, erkannt zu haben. Niemand könne aber garantieren, dass das Ergebnis dieser Prüfung bedeute, dass das Geschäft verhindert werde. Seine Kollegin Angelika Beer erhofft sich ausnahmsweise die Rettung von den USA: »Ich glaube nicht, dass die Amerikaner davon begeistert sind.«

Ludger Volmer, der außenpolitische Sprecher der Grünen, sagte im Bundestag, der Handel verstoße gegen die »Philosophie des Atomausstiegs und gegen die Philosophie des Atomwaffensperrvertrages«, deshalb werde seine Fraktion dem Verkauf politisch nicht zustimmen. »Allerdings bedarf es für den Export nicht einer politischen Entscheidung, es gibt vielmehr ein privatwirtschaftliches Verfahren. Die deutsche Firma, die den Exportantrag gestellt hat, hat ein Recht darauf, dass ihr Begehren bewilligt wird, es sei denn, es werden bestimmte Bestimmungen im Außenwirtschaftsgesetz berührt, die den Export ernsthaft verbieten.«

Volmer skizzierte eine Kettenreaktion: Wegen China würde Indien aufrüsten, wegen Indien Pakistan, dann der Iran und zuletzt Israel. Diese Horrorvision soll den Verkauf der Anlage zu zivilen Zwecken am Ende als lässliche Sünde erscheinen lassen. Sollte die militärische Nutzung entfallen, »steht dem Export nicht viel im Weg«, räumte Volmer ein.

Dabei wissen die Grünen, dass die Anlage allein nicht als Waffenschmiede taugt. Die Fabrik wurde im Jahr 1996 für 1,1 Milliarden Mark in Hanau fertiggestellt, aber nie in Betrieb genommen. Ihre Besonderheit ist, dass sie alte Brennelemente wieder aufbereiten, aber auch Uran und Waffenplutonium zu so genannten Mox-Brennelementen verarbeiten kann. Russland wollte die Anlage deshalb im Jahr 2000 für die Waffenplutoniumfabrik Majak im Ural kaufen. Der Vorstandsvorsitzende von Siemens, Heinrich von Pierer, lobt den Verkauf nach China sogar als »Beitrag zur nuklearen Abrüstung«.

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Reinhard Loske, sieht die Sache noch einmal völlig anders. »Atomrechtlich ist da nichts zu machen, weil es sich nicht um eine Atomanlage handelt«, behauptet er. An sich sei das Geschäft für die Partei zwar »nicht zustimmungsfähig«, wenn aber doch, »müssen klare Kautelen bzw. Randbedingungen eingezogen werden«. Er gibt damit zu, dass die Partei auch eine militärisch nutzbare Anlage verkaufen würde, wenn nur die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) die Fabrik kontrolliert.

Das Wort »Randbedingungen« ist treffend. China ist seit 1984 selbst ein Mitglied der IAEO und in diesem und im nächsten Jahr obendrein Mitglied in jenem Gremium der Behörde, das die Programme der IAEO prüft. China würde also die Kontrolleure kontrollieren. Zudem ist das Land längst eine Atommacht.

Der Verkauf der Brennelementefabrik zum Schnäppchenpreis von 50 Millionen Euro ist in Wirklichkeit eine deutsche Gefälligkeit, gespeist aus der Hoffnung auf mehr. China verfügt über acht Atomkraftwerke und plant den Bau von über 30 Reaktoren. Um das Milliardengeschäft konkurrieren die britische BNFL-Westinghouse-Abb-Gruppe, General Electric aus den USA und die deutsch-französische Framatome, an der Siemens zu einem Drittel beteiligt ist.

Die Bundesregierung erklärte, sie wolle China auf eine zivile Nutzung und auf Kontrollen durch die IAEO verpflichten, und die Regierung in Peking scheint einverstanden. Die Grünen werden diese Zusagen als Früchte ihres heroischen Widerstands loben und dem Geschäft zustimmen. Die Partei leistet damit einen weiteren Beitrag zur Modernisierung der Atomenergie. Die Auslandsgeschäfte bescheren Siemens große Gewinne und erlauben es dem Unternehmen, sein Know-how weiterzuentwickeln.

Joschka Fischer schweigt bisher zu dem China-Deal. Pikant ist, dass die Hanauer Anlage schon in seiner Zeit als hessischer Umweltminister eine wichtige Rolle spielte. Allerdings musste er damals zum Jagen erst getragen werden. Der Rechtsanwalt Michael Seipel von der Hanauer Bürgerinitiative musste Fischer damals darauf hinweisen, dass er für das Atomzentrum zuständig sei und rechtliche Möglichkeiten habe, berichtete sogar die Fischer sonst gefällige taz im Februar 1986. Wenig später ermittelte die Staatsanwaltschaft Hanau gegen das Atomzentrum, und Fischer drohte Ungemach wegen »Beihilfe zum illegalen Betrieb einer atomtechnischen Anlage durch Unterlassen«. Während die Staatsanwaltschaft einen Korruptionssumpf aufdeckte, besorgte die rot-grüne Landesregierung in Hessen den Atomfirmen nachträglich eine Betriebserlaubnis.

Auch das Geschäft mit China wird an den Grünen nicht scheitern, und Rumpelstilzchen Cohn-Bendit wird sich kein Bein ausreißen. Es gilt, was Fischer 1978 feststellte: »Wer von uns interessiert sich denn für Atomkraftwerke irgendwo, weil er sich persönlich betroffen fühlt?«