Sleeper Cell

Hauptquartier, Meldung 3 262

Reise ans Ende der Nacht: Weihnachtsfeier mit Marine-Infanteristen, in einer Turnhalle von 29 Palms. Kinderchor singt Lieder wie »Huste Schleim« und »Schartige Broken«. Es sind junge Irak-Heimkehrer und ihre Familien, die mitsingen, Verwandte und zivile Monster, gut gelaunte Offiziere und Freunde für eine letzte stille Nacht.

Wir hören Zeichen vom Jenseits des Todes: Wie die Schallplatte, die immer in derselben Rille kreist – weil die Zauberformel verloren gegangen ist, die alles zum Stehen bringen könnte. Unsere Tarnung ist perfekt. Hannah grinst junge Marines an, als ob sie ihnen signalisieren würde: He, du Kampfsack, du kneifst doch gerne in Titten. Wenn du so verrückt danach bist, warum kriegst du deine Alte nicht dazu, dass sie sich zu Weihnachten ein paar ordentliche Dinger wachsen lässt, für dich, du Kampfsau, die hat ja bloss zwei Erbsen auf dem Plättbrett, die weiß überhaupt nicht, was eine Titte ist, ha, ha, ha. So ein Hannah-Blick ist das jetzt.

Jetzt packen Marineinfanteristen Weihnachtsgeschenke aus – ein ergreifendes Schauspiel. Hannah hat sich dieses Jahr was richtig Teures gewünscht: Langsamkeit. Sie wünschte sich ein Auseinandernehmen des Bewegungszusammenhangs, das Ende des Realitätsproblems, keine Gucci-Tasche, sondern eine Präzision, die alles im Standbild einrahmt, wie Essen mit Essstäbchen, alles wird zum Szenephoto. Wir haben das auch mal mit Spike Jonze diskutiert, lange vor »Adaptation«, als er wirklich noch der Weltmeister im supereleganten high-speed Schwenken und Kamerafahren war – aber eigentlich mochte er es schon damals mehr japanisch. Das hat jetzt nichts mit seiner Ex, Sofia Coppola, zu tun. Der entspannte Mensch ist einfach so, situationistisch: der braucht auf Dauer kein Speed, sondern einen Realismus wie die Präzision in der Pinselführung.

So setzt man Gefühle zusammen. Fertige, bloß reproduzierte gibt es nie, das glauben bloß die Kampfsäue, mit denen wir hier gerade Weihnachten feiern, in einem Wüstenbunker, den sie »Gym« nennen, ein Haus aus Fleisch und Blut gebildet, mit Frauen und Kindern, die vor ihren Männern zucken, wie geköpfte Hühner (oder krümmen sie sich vor Freude)?

Hannah deutet jetzt auf Frauen, deren schlaffe Körper in den Armen ihrer Elitesoldaten hängen, und je heftiger die Kampfsäue auspacken, zustoßen und singen, desto mehr zerren sie an Haaren und Kehlen.

Draußen alles normal. Reine Geologie. Brutaler Sternenhimmel über der Mojave-Wüste. Zurück in der Zelle: Stiller Schlaf, heilige Nacht, Amerika ist immer noch die Herrscherin über die Visual Effects. Doch die Anmut und der Totalmythos sind erleidgt, die Orgien (Krieg, Sex, Weltall, TV, Hollywood) haben sich totgelaufen. Weltmacht darstellen bedeutet nichts mehr, und wir sind überzeugt, wenn wir die Boys&Girls erst mal vom Schlafen, dieser größten aller Mächte, überzeugt haben, wird alles gut auf der Welt. Ganz gleich, was sonst geschieht. Das Bett ist unser Raumschiff, das Dunkel des Weltraums umgibt uns, von hier ertönen unsere letzten Worte.

»Sleeper Cell« erscheint als anonymer Kolumnenroman