Superpower

Ohne Kenntnis von Muhammad Ali, Joe Frazier und vor allem George Foreman kann kein Mensch Amerika verstehen. Und den Rest der Welt auch nicht. von martin krauss

Als George Foreman 1968 in Mexiko-Stadt Boxolympiasieger im Schwergewicht wurde und seinen Erfolg durch das Schwenken einer Stars-and-Stripes-Flagge feierte, hielt sich gerade eine halbe Million US-Soldaten in Vietnam auf. Im März 1968 hatten die USA ihre Bombardements auf Nordvietnam eingestellt, das im Verlauf des Krieges immer näher an die Seite der Sowjetunion gerückt war. Der Gegner von Foreman im Olympiafinale war der sowjetische Boxer Ionas Chepulis, der durch technischen K.o. unterlag.

Foremans Demonstration mit der US-Fahne stand im Gegensatz zur Black-Power-Demonstration der US-Leichtathleten Tommie Smith, John Carlos und der Mitglieder der 4x400-Meter-Staffel. Foreman wurde dafür in den USA von konservativen Kreisen gelobt, der Kongressabgeordnete Frank Clark aus Pennsylvania pries ihn gar als »Vorbild der schwarzen Rasse«.

Die Forderungen der Black-Power-Sportler galten auch Foremans Box-Kollegen Muhammad Ali. Dem war nämlich sein Weltmeistergürtel 1967 aberkannt worden, nachdem er den Kriegsdienst verweigert hatte; ein US-Gericht hatte ihn auch noch zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt, von der Ali aber nur wenige Wochen absitzen musste.

George Foreman wurde 1969 Profi, und schnell galt der patriotische Fahnenschwenker Foreman mit dem unglaublichen Punch trotz seiner schwarzen Hautfarbe als »white hope«, als Boxer, der den rebellierenden Black Muslim Ali in die Schranken weisen sollte. »Trotz seiner beachtlichen Fähigkeiten«, schrieb Ali in seiner 1975 erschienenen Autobiografie über Foreman, »blieb dieses Image eines gefügigen Onkel Tom an ihm haften.«

Während Henry Kissinger, der Vietnam-Sonderbeauftragte von US-Präsident Richard Nixon, Geheimverhandlungen mit Nordvietnam führte, demonstrierte George Foreman derweil die Unschlagbarkeit der Weltmacht USA, die freilich darauf basierte, dass der beste Gegner, nämlich Ali, schlicht ausgeschlossen war. Foreman gewann, was zu gewinnen war, meist schlug er die Gegner K.o., und am 22. Januar 1973, fünf Tage bevor in Paris das Waffenstillstandsabkommen für Vietnam unterzeichnet werden sollte, demonstrierte Foreman den Anspruch der USA auf Hegemonie mit einem K.o.-Sieg über Joe Frazier, der in den ersten zwei Runden sechs Niederschläge einstecken musste.

Frazier war zu diesem Zeitpunkt der einzige Boxer, der gegen Ali gewonnen hatte: Am 8. März 1971 hatte er in New York in einem WM-Kampf nach 15 Runden einen Punktsieg erreicht. Schon dieser Sieg dokumentierte die neue Zeit: Ali galt als geschlagen, die Großmacht USA hatte sich durchgesetzt. Statt Ali kämpfte nun George Foreman, der Unbezwingbare mit dem harten Punch, gegen Frazier um den WM-Titel.

Mit Foremans Vernichtung des Ali-Bezwingers war die Symbolik klar: Die Hegemonie im Weltboxen konnte jetzt errungen werden, ohne dass Ali dabei eine Rolle spielte. Ab jetzt war es eine westliche Auseinandersetzung. Noch klarer wurde dies, als Ali zwei Monate später gegen den ziemlich unbekannten Ken Norton verlor. Da hatte das offizielle Amerika etwas zu feiern. So hätte man in Vietnam doch noch gewinnen können, so schien der Waffenstillstand doch kein Dokument der Schmach zu sein. Schließlich war ja in Vietnam auch nach dem US-Rückzug noch keine endgültige Entscheidung gefallen. Aber Ali war nicht geschlagen. Er boxte sich zurück, und im Januar 1974 gewann er nach Punkten gegen Joe Frazier.

Dann kam es zur großen Auseinandersetzung zwischen Ali und Foreman in Kinshasa, der Hauptstadt des damaligen Zaire und heutigen Kongo, zum Rumble in the Jungle.

Je mehr sich Ali den Respekt und das Recht auf einen WM-Kampf zurückeroberte, desto mehr mussten sich die USA aus Vietnam zurückziehen. Und so, wie die USA ihre Rolle als Weltmacht nicht zu Hause, sondern jahrelang im vietnamesischen Hinterland verteidigen mussten, so musste Foreman nun ins unabhängige Afrika reisen, um zu zeigen, dass er wirklich der Weltmeister war.

Der Rumble in the Jungle war die Inszenierung eines Showdown zwischen dem US-Imperialismus, also Foreman, und dem aufbegehrenden Trikont, also Ali.

Foreman verlor am 30. Oktober 1974 diesen Kampf, und der Kampfverlauf entsprach der Symbolik: Wie die USA in Vietnam den Gegner mit einem gigantischen Flächenbombardement überzogen, drosch Foreman in den meisten der sieben Runden auf Ali ein. Und wie der Vietkong mit überlegener Taktik und ungeheurer Leidensfähigkeit operierte, hing Ali mit seiner Taktik des »Rope-A-Dope« in den Seilen und zermürbte den an Schlagkraft überlegenen Gegner, dem letztlich die Mittel ausgingen. In der achten Runde setzte Ali die entscheidende rechte Gerade.

Foreman ging zu Boden, die Weltmacht war zerstört.

Das Vietnam-Trauma der US-Gesellschaft war das Kinshasa-Trauma des George Foreman. Um wieder ins Geschäft zu kommen, ließ er sich auf einen Schaukampf ein, der ihm zu Popularität und Selbstvertrauen verhelfen sollte. »Das Ereignis wurde hässlich«, schreibt Foremans Biograf Ed McCoyd. »Ali saß am Ring und neckte Foreman die ganze Zeit. George reagierte, indem er dem neuen Champion drohte, doch die Menge skandierte ‘Ali! Ali!’ und brachte Foreman nur noch mehr aus der Fassung.« Der Schaukampf fand übrigens am 26. April 1975 statt, vier Tage später, am 30. April, besetzten nordvietnamesische Truppen Saigon. Die boxerische Botschaft lautete, dass die USA dem Gespött ausgesetzt und zu keiner ernsthaften Intervention mehr fähig waren.

1977 ging George Foreman gegen einen Boxer namens Jimmy Young K.o. Er fasste den Entschluss, sich vom Boxen zurückzuziehen und künftig als Prediger zu arbeiten. Zu dem Zeitpunkt war der Baptist Jimmy Carter gerade US-Präsident geworden, der erste Demokrat seit Lyndon B. Johnson in diesem Amt. Er trat mit der Menschenrechtskampagne an, um das Vietnam-Trauma auf eine Weise zu bewältigen, die sich nicht primär auf militärische Macht zu stützen schien. Carter machte den Bürgerrechtler Andrew Young zum UN-Botschafter der USA, und die frühere Oppositionsbewegung war eingefangen. Und selbst Muhammad Ali wurde als »schwarzer Henry Kissinger«, wie er selbst ironisch sagte, diplomatisch für die Carter-Administration tätig.

Während Ali also für das Establishment arbeitete, das er in den Sechzigern noch bekämpft hatte, ging George Foreman, der es früher repräsentiert hatte, bald das Geld aus. Er begann 1987 ein Comeback. 1991, in dem Jahr, in dem die USA durch ihr militärisches Engagement im Golfkrieg zeigten, dass sie nach dem Verschwinden der Sowjetunion ihre Rolle als Hegemonialmacht wieder intensiv ausüben wollen, wurde Foremans Boxerei wieder seriös, und er stellte sich einem WM-Kampf gegen Evander Holyfield.

Foreman verlor zwar nach Punkten in zwölf Runden, aber die Menschen am Ring jubelten ihm zu. Mit »George, George«-Rufen wurde er nach seiner Punktniederlage in Atlantic City gefeiert, erstmals in seinem Leben. Der Sieger Holyfield analysierte seinen Gegner so: »George war zu mächtig, um ihn aus der Balance zu bringen.« Eine Deutung, die auch zuträfe, wenn man für »George« das Kürzel »USA« einsetzte.

Auf einmal wurde George Foreman national wie international ein Star, und er wusste es auszunutzen. Foreman erklärte, er repräsentiere all die Menschen in Amerika, die schwarz, kahlköpfig, übergewichtig oder über vierzig seien. Damit hatte er die Mehrheit hinter sich, und 1994, als er 45 Jahre alt war, holte er zum ganz großen Punch aus. Er schlug Michael Moorer, den amtierenden Weltmeister der angesehenen Verbände WBA und IBF K.o. und war wieder Weltmeister aller Klassen.

Foreman hatte zusammen mit seinem Trainer Angelo Dundee, einem Weißen, der in Kinshasa noch Alis Coach gewesen war, die Geschichte geschlagen. Im April 1995 verteidigte Foreman diesen Titel erfolgreich gegen den ostdeutschen Schwergewichtler Axel Schulz, geboren am 9. November des Jahres 1968, also einerseits schon auf der Welt, als Foreman bereits Olympiasieger war, andererseits mit einem für die deutsche Geschichte höchst symbolträchtigen Geburtsdatum ausgestattet.

Freiwillig gab er später die Titel zurück, aber er boxte weiter, und auch seine Selbstinszenierung setzte er fort. Er ist Werbeträger der amerikanischen Krebsgesellschaft (»George Foreman wants to knock out prostata cancer«), er unterstützt den HIV-infizierten Boxer Morrisson, gegen den er 1993 verlor, er bewirbt Fleischgerichte (»Ich werde jetzt 16 Hamburger verzehren – und ein Sushi zum Dessert«), er kommentiert Boxkämpfe für den Fernsehsender HBO, er verkauft Auspufftöpfe und Küchengeräte (»Und vergesst nicht, dass ihr alle einen George-Foreman-Grill braucht«) und er freundete sich mit Ali an, über dessen Übertritt zum Islam der christliche Prediger milde urteilt. »Ich glaube nicht, dass Muhammads Konversion eine religiöse Erfahrung war«, sagte er dem amerikanischen Journalisten Thomas Hauser in dessen Ali-Buch. »Ich glaube bis zu dem Tag, an dem ich sterbe, dass es ein soziales Aufwachen war, das ihn zur muslimischen Religion brachte. Es war etwas, das er zu dieser Zeit brauchte. Das ganze Land brauchte das.«