Feind der Keime

Er habe schreiben können, sagen noch immer viele Deutsche über Ernst Jünger. Der beliebte Dichter war leidenschaftlicher Antisemit. Führers Bettlektüre, Teil VII. von thomas blum

Schon als der Schüler Ernst Jünger 18 Jahre alt war, kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs, bescheinigte ihm sein Lehrer eine »überladene Ausdrucksweise«. Dass der Schriftsteller aber nicht nur bereits in seiner Schulzeit die manierierte Gebrauchsprosa mit Goldrand verfasste, die ihm später seine Popularität einbrachte, sondern auch immer schon ein unverbesserlicher Kommisskopf war, wird in einem Gedicht deutlich, das er als junger Mann verfasste und seiner Mutter zueignete. Darin fallen bereits die entscheidenden Worte »Schicksal«, »Kampf« und »Stahlhärte«, die ihn in seinem weiteren Leben noch begleiten sollten. Am Ende des Gedichts heißt es: »Mich reizt die wilde Schönheit der Gefahr / Hier wirst Du lesen, wie ich mich geschlagen / Und wenn ich fiel, dass es in Ehren war.«

Berauscht von derlei Vorstellungen verbringt Jünger zunächst einige Zeit in der Fremdenlegion, und als der Krieg ausbricht, meldet er sich wie viele andere »in einer trunkenen Stimmung« freiwillig. Von der im Krieg erlebten Atmosphäre ist er so angetan, dass er fortan von der vermeintlichen Schönheit des Soldatischen und des Fronterlebens predigt und die »heroische Tat« und das angeblich besonders »Authentische« und »Ursprüngliche« daran rühmt. Seine Erektionen hat er bevorzugt im Kampf Mann gegen Mann: »Unter allen erregenden Momenten des Krieges ist keiner so stark wie die Begegnung zweier Stoßtruppführer zwischen den engen Lehmwänden der Kampfstellung.«

Nach dem Krieg wird er mit militärischen Auszeichnungen überhäuft. Die »ehrenvolle Erinnerung an die herrlichste Armee, die je existierte (…) hochzuhalten«, sei die »stolzeste Pflicht eines jeden«, der »mit lebendigem Herzen für Deutschlands Sache focht«, notiert er in eines der Schreibhefte, die er mit sich führt.

Im Jahr 1920 erscheint »In Stahlgewittern«, ein Buch über seine Erfahrungen an der Front. »Dahinter steckt ein ganzer Kerl«, vermerkt Joseph Goebbels nach der Lektüre in seinem Tagebuch. Erst 1923, als 28jähriger, verlässt der junge Offizier Jünger die Reichswehr, wird Student, schließt sich einem Freicorps an und beginnt, Artikel für diverse Zeitschriften der äußersten Rechten zu schreiben. Auf das Vaterland ist er ganz versessen, weswegen der Satz, »dass es ein Vaterland gibt, das Deutschland heißt«, der »erste deutsche Grundsatz« sei, »den zu leugnen der Jude immer bestrebt sein wird«.

Jünger verachtet die »Zivilisationsjuden« und »Assimilationsjuden«, die er mit »Ameisen«, »Keimen« und »Bakterien« vergleicht und als »Geschmeiß« bezeichnet. Weil die Juden mit ihrem »endlosen Feuilletongeschwätz der Zivilisation« das vermeintlich spezifisch Deutsche intellektuell zersetzten, gelte es, sie zu separieren und auszuschalten. Und zwar nicht nach Art der Antisemiten, die »Bakterienjägern« glichen, sondern mittels einer »besseren Medizin«, nach deren Anwendung ein Prozess einsetze, den »auch der feinste, verborgenste Keim nicht mehr zu ertragen vermag«.

Überhaupt werde der »Stoß gegen die Juden (…) immer viel zu flach angesetzt, um wirksam zu sein«. Jünger will eine radikale Lösung, einen »Angriff«, der nicht bloß »einer äußerlichen Desinfektion« gleichkommt: »Man darf von diesem Lande schon hoffen, dass es einer eigenen und strengeren Lösung fähig ist.«

Die Juden, die mit »feinster und geschicktester Wirksamkeit« Verwirrung stifteten und stets versuchten, sich selbst unsichtbar zu machen und zu verbergen, müssten erkannt und enttarnt werden: »Die Erkenntnis und Verwirklichung der eigentümlichen deutschen Gestalt scheidet die Gestalt des Juden ebenso sichtbar und deutlich von sich ab, wie das klare und unbewegte Wasser das Öl als eine besondere Schicht sichtbar macht (…) Die wirksamste Waffe gegen ihn, den Meister aller Masken, ist: ihn zu sehen.« Anschließend soll er ausgesondert werden: »Im gleichen Maße jedoch, in dem der deutsche Wille an Schärfe und Gestalt gewinnt, wird für den Juden auch der leiseste Wahn, in Deutschland Deutscher sein zu können, unvollziehbarer werden, und er wird sich vor seiner letzten Alternative sehen, die lautet: in Deutschland entweder Jude zu sein oder nicht zu sein.«

Jünger verabscheut das Parlament als Quasselbude, in der nur Phrasen gedroschen würden. Nur wenige Wochen vor dem gescheiterten Hitler-Putsch im Jahr 1923 schreibt er im Völkischen Beobachter über die zu erwartende »wirkliche Revolution«, die er herbeisehnt: »Ihre Idee ist die völkische, (…) ihr Banner das Hakenkreuz, ihre Ausdrucksform (…) die Diktatur! Sie wird ersetzen das Wort durch die Tat, die Tinte durch das Blut, die Phrase durch das Opfer, die Feder durch das Schwert.«

Schon 1925 sieht er in Hitler »unzweifelhaft (…) die Vorahnung eines ganz neuen Führertypus«, in dessen Bewegung »Feuer und Blut« stecke. In der Folge korrespondiert er mit ihm und tauscht bis in die dreißiger Jahre hinein Bücher und Schriften mit ihm aus.

Dass Jünger Ende der zwanziger Jahre Distanz zum Nationalsozialismus gewonnen habe, wie gelegentlich behauptet wird, ist ein Mythos. Das zeigt sich auch daran, dass sich sein aggressiver Antisemitismus in seinen Texten dieser Jahre am deutlichsten niederschlägt. 1929 schreibt er: »Wir wünschen dem Nationalsozialismus von Herzen den Sieg; wir kennen seine besten Kräfte, deren Begeisterung ihn trägt, und deren Wille zum Opfer über jeden Zweifel erhaben ist.«

Noch 1946, ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in dem er gehorsam seine Pflicht als Wehrmachtsoffizier erfüllte, schwärmt er von einer frühen Rede Hitlers, die er miterlebte und während der er meinte, sich »in einem Schmelztiegel, an einem Ort der nationalen Einigung zu befinden«.

Auf dem Feld der Ehre gefallen, wie er es sich immer gewünscht hat, ist der Dichter allerdings nicht. Über hundert Jahre alt geworden, entschlief er 1998 sanft im kleinen Städtchen Wilflingen in Baden-Württemberg. Zu seinem 100. Geburtstag gratulierte ihm der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl persönlich, noch 1982 erhielt Jünger den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main. Er gilt als einer der wichtigsten deutschsprachigen Schriftsteller des 20.Jahrhunderts.