Operation Bosnia

Ein Jahr nach dem Beginn ihrer ersten Polizeioperation rüstet sich die EU für militärische Aufgaben. von markus bickel, sarajevo

Der Nebel hing dicht über der Sniper-Alley, als Javier Solana morgens um zehn aus dem bosnischen Präsidentenpalast stapfte. Im Anschluss an die politischen Gespräche mit der bosnischen Führung stattete der Vertreter der EU Mitte Januar vergangenen Jahres noch schnell dem Polizeipräsidenten von Sarajevo einen Besuch ab. Das Hauptquartier der lokalen Ordnungshüter lag nur ein paar hundert Meter entfernt von der Präsidentenresidenz und damit ohnehin auf direktem Weg zum Hauptquartier der EU-Polizeimission (EUPM) für Bosnien-Herzegowina.

Auch um den Eindruck zu verwischen, die Europäische Union sei ein gutes Jahrzehnt nach der feierlichen Verkündung ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Gasp) immer noch nicht in der Lage, geopolitisch eigenständig zu agieren, war Solana damals in die bosnische Hauptstadt gekommen. Auf dem Programm stand die offizielle Einweihung der ersten unter dem Dach von Gasp durchgeführten Operation außerhalb der Grenzen der Union.

Für Solana als früherem Nato-Generalsekretär war der Trip entlang den zerschossenen Häuserfassaden auch ein Blick in die eigene Vergangenheit. Schließlich schaffte es die EU während des Bosnien-Krieges nie, ihre angeblich an gewaltfreier Konfliktschlichtung orientierte Verhandlungsdiplomatie durchzusetzen. Stattdessen sorgten 1995 Nato-Luftanschläge für einen Stopp des dreieinhalbjährigen Krieges. Und die Verhandlungserfolge erzielten mit US-Präsident Bill Clinton und dessen damaligem Sondervermittler Richard Holbrooke Nichteuropäer.

Nach der Stippvisite bei den lokalen Ordnungshütern fuhr Solana weiter zum Hauptquartier der Uno-Mission für Bosnien-Herzegowina (Unmibh). Das Sagen hat hier seit Anfang 2003 die Europäische Union, oder besser: der dänische EUPM-Kommissar Sven Frederiksen. Und mehr noch als das: Nur einen Monat vor dem feierlichem Wechsel von der Uno- zur EU-Mission, im Dezember 2002, hatten die EU-Staats- und Regierungschefs bereits beschlossen, nach dem Führungswechsel bei der internationalen Bosnien-Polizei auch militärisch zu expandieren. Ziel sei es, der Union das Kommando über die bislang von der Nato geführte Schutztruppe Sfor zu übergeben.

»Wenn Sie mich nach dem Zeitpunkt des Kommandowechsels fragen«, erklärte Solana schon vor einem Jahr der Jungle World, »dann muss dieser Augenblick so gewählt werden, dass er mit den Plänen der Nato zur weiteren Reduzierung von Sfor zusammenfällt.« Der ebenfalls angereiste, damalige EU-Ratspräsident, der griechische Außenminister Georgios Papandreou, äußerte sich bezüglich der militärischen Pläne weniger deutlich. »Ich glaube, dass es zu früh ist, einen genauen Zeitpunkt festzulegen«, erklärte er.

Papandreous deutsche und französische Kollegen sahen das von Beginn an anders. Das ganze vergangene Jahr über drängten Hubert Vedrine und Joseph Fischer gegen den Widerstand Großbritanniens und der USA auf einen Stabwechsel in Sarajevo – Ende 2004 soll es nun endlich so weit sein. Der von Solana im Juni vergangenen Jahres vorgelegte Entwurf für eine eigene EU-Sicherheitsstrategie wird hier nur müde belächelt. Praxis statt Papiere, lautet die Devise in Berlin und Paris.

Mehr als 60 000 Soldaten zur Sicherung des Dayton-Waffenstillstandes hatte die Nato Anfang 1996 nach Bosnien entsandt. Die Sfor-Oberbefehlshaber waren seit dem Friedensschluss auf dem US-Luftwaffenstützpunkt im Bundesstaat Ohio im November 1995 immer US-Generäle. Heute befehligt der in Bosnien derzeit amtierende Oberkommandierende Virgil Packet 12 000 Mann. Ab Mitte dieses Jahres sollen es nur noch 7 000 sein. Das beschlossen die Nato-Außenminister auf ihrem Treffen im vergangenen Dezember in Brüssel.

In Bosnien, wo seit einem Jahr 500 Polizisten aus den 15 EU- sowie aus 18 weiteren Staaten stationiert sind, finden die Brüsseler Strategen offenbar ideale Bedingungen vor, um ihre Pläne einer abgestimmten Außenpolitik endlich zu verwirklichen. Bis 2005 sind die EU-Polizisten zwar lediglich beauftragt, die bosnische Polizei beim Aufbau demokratischer und professioneller Strukturen zu beaufsichtigen. Der Uno-Polizeimission IPTF (International Police Task Force) war in Dayton zumindest noch die Verantwortung über die Ausbildung und personelle Ausdünnung des seit Kriegsende von 44 000 auf 18 000 Beamten reduzierten Apparates übergeben worden. Weil das Mandat der EUPM so schwach ist, dürfen die Polizisten nicht einmal Pistolen an den Gürteln tragen.

So verwundert es nicht, dass ein Jahr nach ihrer Entsendung das Urteil über die erste eigenständige EU-Polizeimission vernichtend ausfällt. »Das erste Drittel des Mandats ging zu Ende, ohne dass irgendetwas Relevantes passiert ist«, klagt die International Crisis Group (ICG), ein in Brüssel ansässiger, prowestlicher Think Tank. Der von Frederiksen geleiteten Einheit sei es zu keinem Zeitpunkt gelungen, an die Arbeit der Uno-Einheit anzuknüpfen.

Ein schlechtes Omen für die EUPM-Schwesterorganisation in Mazedonien, die im vergangenen Monat ihre Arbeit aufnahm: Bis Ende 2004 sollen rund 400 EU-Polizisten in Polizeistationen in Skopje, Tetovo und Ohrid die Aufgabe ihrer Kollegen in Bosnien kopieren. Das bedeutet vor allem, die lokalen Kräfte beim Aufbau eines nach westlichen Standards organisierten Polizeiapparats zu unterstützen. »Proxima« heißt die Mission, die nach nur neun Monaten die erste EU-Operation im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) ablöst. Eigentlich waren die Soldaten der Operation »Concordia« abgestellt, die militärische Konkurrenzfähigkeit einer unabhängig von Nato und USA operierenden Einheit unter Beweis zu stellen.

Dieses Experiment bleibt nun den Kollegen in Bosnien überlassen. Im Laufe der zweiten Jahreshälfte soll ein britischer General das Sfor-Kommando übernehmen und damit auch den Auftakt setzen für eine neue europäische Arbeitsteilung. Großbritannien, Deutschland, Österreich und Italien, so heißt es in Nato-Kreisen in Sarajevo und Brüssel, sollen künftig für die militärische Federführung auf dem Balkan zuständig sein. Frankreich, Portugal und Spanien hingegen obliegt die Obhut über weitere Missionen in Afrika, die nach der Kongo-Operation »Artemis« noch folgen könnten.

Kein schlechter Zwischenstand für die Union. Zwar steht das Datum für die europäische Übernahme des Sfor-Kommandos noch nicht fest. Doch Gedanken über den Namen für die erste EU-Militärmission von nennenswertem Umfang macht man sich in europäischen Militärkreisen bereits. »Bosnia«- oder »Transition-Force« gelten derzeit als Favoriten.