Der Stoiber vom Rhein

Wolfgang Clement gilt als »Modernisierer«. Er will, dass alle mehr arbeiten und an unser Land denken. Böhse Enkelz II. von jeanette hagelmann

Um ein paar Zeilen über den amtierenden Wirtschaftsminister gebeten, finde ich mich vor der unüberwindlichen Schwierigkeit, diesen Herrn Clement unter allen anderen Figuren seines Schlages überhaupt zu identifizieren. Ich verwechsle ihn, der unentwegt öffentlich den Eindruck zu erwecken sich bemüht, er sei er selbst und kein anderer, für gewöhnlich mit dem Müntefering, diesen aber mit Frau Merkel oder Christiansen und sie wiederum mit einem vierten oder fünften, dessen Name mir entfallen ist.

Der Merz aber, das weiß ich ganz sicher, ist Clement nicht. Denn Merz sagte neulich im Radio, es sei unerträglich oder wenigstens unvernünftig, dass ein Sozialhilfeempfänger, wenn er drei Kinder habe, über ebenso viel Geld verfüge wie manch ein Angestellter mit einer ungünstigen Steuerklasse. Seitdem weiß ich, dass ein Politiker hoffen darf, sich mit der Behauptung beliebt zu machen, den Kindern von Sozialhilfeempfängern gehe es viel zu gut.

Und obwohl ich, wenn diese Gemeinsamkeit der Demokraten erscheint, die davon überzeugt sind, mit ihnen stünden und fielen die Humanität und der gesellschaftliche Fortschritt, schnellstens hinüberschalte zu den Tieren oder zum Fußball, wo ich es aber auch nur so lange aushalte, bis der Kaiser sein Gesicht zeigt oder die Werbung kommt, schaue ich mir den Merz doch jedes Mal bis zum Ende an, also bis zum Bombenattentat in Bagdad oder bis zum Wetter, damit mir so richtig schön schlecht wird. Man mag von Politikverdruss sprechen, ich lasse mir aber nicht einreden, es handele sich dabei um einen Charakterfehler, den ich mir persönlich übel nehmen muss.

Clement soll im Unterschied zu seinen Kabinettskollegen Schröder und Fischer seit Jahrzehnten mit derselben Frau verheiratet sein, mit der er angeblich fünf Töchter hat, und früher war er, so steht es zu lesen, Journalist oder Ministerpräsident in irgendeinem abgelegenen Bundesland. Im Alter von zehn Jahren trat er der SPD bei – nein. Er trat der SPD bei, wurde aber erst zehn Jahre später zum Sprecher des Bundesvorstands ernannt. Schon bald gab er auf, weil der Vorstand, in dessen Namen er zu sprechen hatte, den Kandidaten Rau nicht ausreichend unterstützte, und verkaufte, wenn ich die Informationen jetzt nicht durcheinander bringe, Würstchen auf der Grünen Woche in Berlin.

Er habe damals ungefähr zwanzig Mark am Tag verdient, erzählt er. In jener Zeit muss ihm die Idee mit den Minijobs gekommen sein. Und als Rau dann zwar nicht Bundeskanzler, aber Bundespräsident wurde, sah man Clement als Ministerpräsidenten Hessens oder des Saarlandes wieder. Da oder dort erwarb er sich den Ruf eines »Machers« und »Modernisierers«, eines »eigenwilligen Quertreibers«, ja eines »Stoiber vom Rhein«. Sein Bundesland, merke ich gerade, muss also Nordrhein-Westfalen geheißen haben, und hier steht es ja auch schon: »›Vorstandsvorsitzender der Nordrhein-Westfalen AG‹ ist ein Etikett, das ihm immer wieder angehängt wurde.«

Dass er besonders erfolgreich gewesen wäre, vermag ihm noch nicht einmal der WDR in seinem Onlinedienst nachzusagen. »Bei der Landtagswahl am 14. Mai 2000 hat Clement das Ziel, mit einem guten Ergebnis endgültig aus dem Schatten seines politischen Ziehvaters Rau zu treten. Doch die Wahl endet für Clement mit einer Enttäuschung: Die SPD fiel von 46 auf 42,8 Prozent der Stimmen, ihr schlechtestes Ergebnis seit 1958. Auch sachpolitisch musste Clement fortan eine Reihe von Niederlagen einstecken. Eine unglückliche Hand bei der Besetzung einiger Kabinettsposten, Niederlagen vor dem Landesverfassungsgericht und Lähmungen in der Zusammenarbeit mit dem Grünen-Koalitionspartner ließen den ›großen Wurf‹ in seiner Landespolitik vermissen.«

Er widme sich jeder Aufgabe, die er übernommen habe, so sagt Clement, »mit Haut und Haaren«. Deshalb schlafe er täglich nur vier oder fünf Stunden und stehe in der übrigen Zeit dauernd unter Strom. Aber ein Politiker müsse sich doch auch einmal eine Pause gönnen, sagt seine Frau. Meinetwegen sogar bis zur Pensionierung.

Obwohl ich mich weigere, diesen Herrn Clement zu kennen, weiß ich alle seine Sprüche doch schon seit langen Jahren auswendig. Er beobachtet das Sozialprodukt bei seinem Wachstum und sagt dann, es gebe nichts zu verteilen. Und weil auch die Arbeitsproduktivität beständig zunimmt und mit ihr die Arbeitslosigkeit, glaubt er, es müsse mehr gearbeitet werden für weniger Lohn. »Es ist doch keine Wohlstandsminderung, wenn wir ein bisschen länger arbeiten. Ich bin sicher, die meisten Menschen würden gern ein paar Stunden mehr arbeiten, wenn sie die Gewähr hätten, dass das ihren Lebensstandard sichert.«

So sprach der Stoiber vom Rhein. Was aber sagte neulich zum selben Thema sein politischer Gegner, der Clement von der Isar? »Die generelle Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche darf auch für die Tarifpartner nicht länger ein Tabu sein.« Die meisten Menschen seien bereit, für den gleichen Lohn pro Woche ein oder zwei Stunden länger zu arbeiten, wenn der Arbeitsplatz und das Einkommen auf diese Weise gesichert werden könnten.

Und da verlangt man von mir, ich solle zwischen diesen beiden wählen. Weil die Rentner und die arbeitslosen Jugendlichen immer mehr werden, sagt Clement, wir müssten das Rentenalter erhöhen, also die Zahl der Sozialhilfeempfänger vergrößern und die Renten senken, und wir bräuchten mehr Kinder.

Immerhin scheint er ein Mann mit Prinzipien zu sein. Sein erstes Prinzip lautet: »Sozialdemokratisch ist, dafür zu sorgen, dass so viele Menschen wie möglich sich durch ihrer eigenen Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen können. Das ist soziale Freiheit, so habe ich das als Sozialdemokrat gelernt.« Und daraus folgt das zweite Prinzip: »Jeder Job ist zumutbar.«

Die Arbeitslosigkeit wird ein Ende haben, wenn erst die Gewerkschaften, der Flächentarif und die sozialen Sicherungssysteme zerstört und die Löhne niedrig genug sind. Die Politik, die mit diesem Versprechen und dieser Drohung wedelt, mag sich neoliberal oder meinetwegen auch sozialdemokratisch nennen. Weil aber das Versprechen leer und die Drohung sehr real und brutal ist, gilt auf jeden Fall: »Ich kann es nicht besser sagen als Kennedy. Jetzt ist die Zeit, wo man sagen muss: Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern sage, was du für dein Land tun kannst.«

Manchmal zeigt das Fernsehen einen, der in einem Bus sitzt und einen Journalisten anbrüllt: »Was glauben Sie eigentlich, mit wem Sie sprechen!« Weil der Journalist nicht antwortet, weiß ich nicht, ob der Mann mit den schlechten Manieren nun Clement ist oder Müntefering oder ein dritter, den ich auch nicht zu kennen brauche.