Nachrichten

Ansichten aus der Talsohle

Arbeitslosigkeit. Jeder Mensch lebt in seiner eigenen Realität. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) in dieser: Die »Talsohle am Arbeitsmarkt« sei »durchschritten«, sagte er in der vorigen Woche nach der Veröffentlichung der neuesten Arbeitslosenzahlen durch die Bundesagentur für Arbeit (BA). 4,376 Millionen Menschen waren im Jahr 2003 offiziell arbeitslos, das ist die höchste Zahl seit 1997. Clement sprach von »positiven Signalen«. Was mag er damit gemeint haben?

Das Stichwort lautet »saisonbereinigt«. Die Arbeitslosigkeit sei nämlich deutlicher zurückgegangen als in den Vormonaten, hieß es, obwohl sie im Dezember 2003 im Vergleich zum November um 0,4 Prozent auf 10,4 Prozent angestiegen ist. Oder wie Florian Gerster, der Leiter der Bundesagentur es ausdrückt, die Arbeitslosigkeit sei im Dezember weniger stark gestiegen als zu erwarten war. Im Jahresdurchschnitt stieg sie von 9,8 auf 10,5 Prozent.

Von solcher Propaganda hätte die Führung der DDR noch lernen können.

Total abschaffen

Kriegsdienste. Die Abschaffung der Wehrpflicht in naher Zukunft scheint realistischer denn je, überlegt sich doch die Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) bereits, welche Konsequenzen dies für den Zivildienst haben könnte. Ihr Ergebnis ist eindeutig: Wenn das eine wegfällt, muss auch das andere weg, bloß nicht »über Nacht«. Der Übergang müsse mindestens fünf Jahre dauern.

Das Stichwort, das in diesem Zusammenhang stets fällt, ist »Wehrgerechtigkeit«. Gerecht ist danach, wenn alle jungen Männer durch den Matsch robben und sich darauf vorbereiten, das Vaterland zu verteidigen. Alternativ müssen sie mittels sozialer Tätigkeiten üben, »die Staats- und Regierungsfunktion zu erhalten, die Zivilbevölkerung und die Streitkräfte zu versorgen« (Weißbuch des Bundesverteidigungsministeriums 1994). Ungerechtigkeit entsteht dadurch, dass immer mehr Jungs das Glück haben, keinen der Zwangsdienste leisten zu müssen.

Wer allerdings auf eigene Faust beschließt, die Gerechtigkeit wieder herzustellen, indem er jeglichen »militärisch verplanten Dienst« ablehnt, bekommt immer noch Ärger mit der Staatsgewalt. Diese Woche stehen in Hamburg und Dresden wieder zwei Totalverweigerer vor Gericht. Sie müssen mit Bewährungsstrafen von einigen Monaten rechnen. Die Totalverweigerer-Initative Dresden ist der Ansicht, dass sich »eine strafrechtliche Sanktion« in einem solchen Falle grundsätzlich verbietet, da die »Freiheit des Gewissens« Verfassungsrang besitze.

Was beim Gau hilft

Jodtabletten. Warum sind eigentlich so viele Leute böse auf Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), dass sie ihr sogar Drohbriefe schicken? Zugegeben, manche Kosten im Gesundheitsbereich sind zum neuen Jahr gestiegen. Aber die wichtigsten Medikamente bekommt man doch in Deutschland immer noch frei Haus, in manchen Bundesländern sogar prophylaktisch.

Wie der Spiegel berichtete, haben die Energieversorgungsunternehmen »unter Federführung des Bundesumweltministeriums« 137 Millionen Kaliumjodidtabletten im Wert von 2,8 Millionen Euro bestellt, die die Bevölkerung vor Radioaktivität schützen sollen. Im Falle eines so genannten Gau oder eines Anschlages auf ein Atomkraftwerk versorgen die Pillen die Schilddrüsen der Menschen mit Jod und behindern so eine Aufnahme des Stoffes aus den radioaktiven Wolken. Nach Angaben des Spiegel wollen Schleswig-Holstein und Hessen alle Haushalte in der Nachbarschaft von Atomkraftwerken mit dem Medikament ausstatten. In anderen Bundesländern sollen die Tabletten zentral gelagert werden.

Honda röhrt

Party für Egon Krenz. Die Entlassung eines alten Genossen aus mehrjähriger Haft kräftig zu begießen, ist nur zu verständlich. Der Rostocker Ulrich Peck lud Anfang des Monats zur Party für Egon Krenz, den früheren Staatsratsvorsitzenden der DDR, der kürzlich aus dem Gefängnis kam. Und weil so viele mitfeiern wollten und die 80 Gäste wohl nicht in Pecks Wohnung gepasst hätten, fand das Fest an seinem Arbeitsplatz statt, einer Filiale des Honda-Konzerns. Dort tummelten sich ehemalige DDR- und heutige PDS-Größen.

Nun hat der Konzern seinem Händler den Vertrag gekündigt. Peck habe mit der Party »die berechtigten Interessen von Honda gröblich verletzt«, erklärte ein Sprecher des Unternehmens. Beim Widerspruch gegen die Kündigung erhält Peck immerhin rechtlichen Beistand vom ehemaligen Innenminister der DDR und Anwalt Peter-Michael Diestel (CDU).

Speicheltauschgesellschaft

DNA-Analyse. Die Erde dreht sich um die Sonne, DNA-Tests sind hundertprozentig sicher. Will da etwa jemand widersprechen?

Während die Umkreisung der Sonne durch unseren Planeten wie von selbst vonstatten geht, hat der Mensch bei der Untersuchung von Speichelproben seine Finger mit im Spiel, und sei es nur als Instanz, die die Zellen der Artgenossen von A nach B trägt. Doch dabei kann so allerhand Missgeschick passieren, denn der Mensch ist ja nun mal menschlich.

Im Zusammenhang mit den Ermittlungen zum Fund eines toten Säuglings auf einem Trance-Festival im vergangenen Sommer musste die Berliner Polizei eine peinliche Panne eingestehen. Eine Reinigungskraft habe aus Versehen eine Handvoll Speichelproben durcheinandergebracht, erklärte der Berliner Polizeisprecher. Dass die Ungeschickte überhaupt Zugang zu den Proben hatte, sei ein Versäumnis der Polizei gewesen. Fünf Frauen wurden aufgefordert, erneut eine Speichelprobe abzugeben. Weil die Putzfrau so ehrlich war, ihren Lapsus einzugestehen.