Teile nicht, herrsche!

Syriens Präsident besucht die Türkei von jörn schulz

»Das Militär erwartet Befehle, um in Aktion zu treten«, drohte der damalige türkische Premierminister Mesut Yilmaz, Generalstabschef Hüseiyin Kivrikoglu sprach von einem »unerklärten Krieg«. Die Panzer, die im Oktober 1998 an der Grenze zu Syrien bereits aufgefahren waren, rollten dann doch nicht. Syrien erfüllte die türkischen Forderungen, wies Abdullah Öcalan, den Parteichef der türkisch-kurdischen PKK, aus, und schloss die Lager der Guerillaorganisation.

Kaum mehr als fünf Jahre später ist der Streit vergessen. Heute ist es nicht mehr möglich, kurdische Gruppen für den Kampf gegen ungeliebte Nachbarstaaten zu instrumentalisieren. Die nach dem Sturz Saddam Husseins entstandene neue Lage könnte nun sogar zu einem Bündnis zwischen Syrien und der Türkei führen. »Wir sind nicht nur gegen einen kurdischen Staat, sondern gleichermaßen gegen jede Handlung, die gegen die territoriale Integrität des Irak gerichtet ist«, erklärte der syrische Präsident Bashar al-Assad bei seinem Türkei-Besuch in der vergangenen Woche. Die Desintegration des Irak sei »eine rote Linie« für »alle Länder der Region«.

Die türkische Regierung hielt sich mit Kommentaren zurück, doch dürfte Assads Position tatsächlich von seinen Gastgebern und den anderen Regierungen der Region geteilt werden. Sie alle sind besorgt über die potenziell destabilisierenden Folgen einer Demokratisierung des Irak und der geplanten föderalen Verfassung, die bislang benachteiligten Bevölkerungsgruppen Autonomie garantieren soll.

Das Regime Saddam Husseins hatte fast zwei Drittel der Investitionsmittel dem »sunnitischen Dreieck« zugeteilt, in dem sich seine Klientel konzentrierte. Die Autonomieregelungen sollen auch für eine gerechtere Verteilung der ökonomischen Ressourcen sorgen. Das föderalistische Prinzip birgt zwar die Gefahr, dass regionale Machthaber die Verteilung der von ihnen verwalteten Ressourcen für den Aufbau einer autoritären Klientelherrschaft nutzen. Im Rahmen des Kapitalismus und des Übergangs zur bürgerlichen Demokratie gibt es jedoch keinen besseren Weg, die von nationalistischen Oligarchien produzierte regionale Ungleichheit zu überwinden.

Eine Diktatur wie das syrische Regime, die 200 000 ihrer kurdischen Bürger sogar die Staatsbürgerschaft vorenthält, muss das Beispiel kurdischer Autonomie fürchten. Die Benachteiligung verschwindet jedoch nicht mit der Liberalisierung der Wirtschaft und der Legalisierung kurdischer Sprache und Folklore, zu der sich die Türkei mittlerweile durchgerungen hat. Solange die Oligarchie unter »territorialer Integrität« den ungehinderten Zugriff auf die gesellschaftlichen Ressourcen versteht und die durch den Normalbetrieb des Kapitalismus produzierte ungleiche Entwicklung nicht durch staatliche Maßnahmen kompensiert wird, vergrößert sich die soziale Kluft zwischen den Regionen weiter.

Obwohl benachteiligte Minderheiten meist ethnisch oder religiös definiert werden, betrifft die regionale Ungleichheit fast die gesamte Landbevölkerung des Nahen Ostens, die für die ehrgeizigen Pläne ihrer Regimes bezahlen muss. Dementsprechend groß sind die Befürchtungen der Oligarchien in der Region, und Assads Handeln könnte sie ermuntern, ihre Interessen gemeinsam und offensiver als bisher zu vertreten.

Jedoch stimmten die wichtigsten politischen Parteien im irakischen Regierungsrat in der vergangenen Woche den von den kurdischen Parteien vorgelegten Autonomieplänen zu.