Tintin und die Kollaborateure

in die presse

»Manchmal kommen aus Brüssel auch gute Nachrichten«, berichtete Spiegel Online am Wochenende. Und wie sieht sie aus, die so seltene gute Nachricht aus Brüssel? »Mit großem Aufwand haben belgische Zeitungen am Samstag den 75. Geburtstag des wohl berühmtesten Reporters aus dem Königreich gefeiert.«

Der berühmteste Reporter aus dem Königreich, das ist doch ein gelungener Superlativ. Und ein gefundenes Fressen für die Medienwelt. Um wen es sich dabei handelt? Um Tintin alias Tim mitsamt seinem Hund Milou aka Struppi. Am 10. Januar 1929 erblickten sie in der rechten katholischen Wochenzeitung Le XXe Siècle das Licht der Welt, um zunächst das dunkle Reich bärtiger bolschewistischer Finsterlinge, die Sowjetunion, den Lesern nahe zu bringen.

Nun musste also der 75. Geburtstag von Tim und Struppi gebührend gefeiert werden. Entsprechend bebilderten zwei belgische Zeitungen ihre Freitagsausgaben mit Tim-und-Struppi-Comics, der französische Figaro wollte gar eine 114seitige Sonderausgabe mit 250 Illustrationen von Tintin und Milou herausbringen.

Wenn das Spektakel durchdreht, dürfen Staatsdenker nicht zurückstehen. »Es ist wichtig, Tim und Hergé in der ganzen Welt zu feiern«, erklärte folglich der belgische Finanzminister Didier Reynders und verweist damit auf Hergé alias Georges Remi, den Erfinder der beiden Comicgestalten. Entsprechend wurde in Belgien zu Ehren des rasenden Reporters mit seiner struppigen Töle rechtzeitig eine eigene Silbermünze im Wert von zehn Euro in Umlauf gebracht.

Nur schade, dass Hergé das nicht mehr mitkriegt, denn er starb 1983. Dabei wäre die späte Ehrung seines Lebenswerks eine gewisse Entschädigung für früher erlittene Schmach gewesen. Er ließ nämlich seine Comics während der Besatzung in der damals von den Nazis kontrollierten Zeitung Le Soir drucken, und nicht zuletzt deswegen nahm das Résistance-Organ L’Insoumis ihn in die »Galerie der Verräter« auf.

carlos kunze