Ein Sender nur für uns

Das freie Berliner Radio reboot.fm bringt gute Musik und arbeitet an der Vernetzung lokaler Kulturproduzenten. von martin kröger

Bis Ende April werden wir eine Riesenfangemeinde haben.« Julia Lazarus, Redaktions- und Pressesprecherin des neuen Berliner Radios reboot.fm, ist sich sicher, dass das Radioprojekt ein großer Erfolg wird. Seit 1. Februar sendet reboot.fm auf der Frequenz 104,1 Mhz – zwar nicht rund um die Uhr, aber immerhin 18 Stunden, von 12 Uhr mittags bis sechs Uhr morgens. Der Medienrat hat die Frequenz zunächst bis Ende April zugewiesen.

Der Name ist Programm. Reboot, aus der Computersprache unter anderem als Begriff für den Neustart von nicht funktionierenden Systemen bekannt, soll die Radiowelt der Hauptstadt rebooten. Das, was die Berliner Radiolandschaft hergibt, »ist extrem traurig«, sagt Lazarus. Außer dem üblichen Mainstreamgedudel gibt es kaum professionelle und zugleich spannende Radioprogramme. »Programme, die das darstellen, was Berlin interessant macht und was wir selber an Berlin interessant finden, sucht man vergebens«, beschreibt Lazarus die Motivation für die Kreierung eines eigenen Radioprojekts.

Reboot.fm will das ändern: »Hier sollen Leute zu Wort kommen, die woanders keine Gelegenheit haben, sich zu Wort zu melden«, erläutert Lazarus das Konzept. Das heißt allerdings nicht, dass bei reboot.fm Anspruchslosigkeit herrschen wird. Die Sendungen sollen hörbar produziert werden und »nicht wahnsinnig nach Experimentierradio« klingen, wie Lazarus den Spagat zwischen relativer Freiheit und Kontrolle des Programms und anvisierten Qualitätskriterien beschreibt. Dabei ist reboot.fm nur eine neue Phase in der Etablierung eines permanenten Radiosenders in Berlin, der nach Juniradio und Radioriff, die auf derselben Veranstaltungsfrequenz in ähnlicher Weise für kurze Zeit auf Sendung waren, die Vision eines freien Radiosenders vorantreibt.

Reboot.fm versucht einen Sender zu konzipieren, der »Formate erlaubt, die im heutigen Formatradio nicht vorkommen, dessen Nachrichtenprogramm sich nicht auf das Verlesen von Agenturmeldungen beschränkt, dessen Musikprogramm mehr bietet als bloß die größten Hits vergangener Dekaden, und dessen Vorstellung von Partizipation über die Veranstaltung von Gewinnspielen hinausgeht«.

Gesendet wird zumeist aus dem Bootlab in Berlin-Mitte. Die Location in der Nähe des Monbijouparks ist ursprünglich ein Softwarelaboratorium und Produktionsort für lokale und internationale Medienkultur, der vom gemeinnützigen Trägerverein Bootlab e.V. zur Verfügung gestellt wird. Gleichzeitig trägt der Verein das Radioprojekt und stellt die vorhandenen Aufnahme- und Tonstudios als Produktionsstätten für die Sendungen zur Verfügung. In einem der hinteren Räume befindet sich auch das Sendestudio von reboot. Unkonventionell wie die Zielvorgaben für das Radio, gestaltet sich auch das Ambiente am Sendeplatz: Neben gemütlichen Sesseln und Sofaecken, dominiert das lang gezogene Pult mit den technischen Equipment für die Radioproduktion die Szenerie. Keine Trennscheiben, keine roten Warnlampen, die vor Betreten des Aufnahmebereichs warnen. Gäste sind hier nicht nur theoretisch herzlich willkommen. Während der Livesendung zur Berlinale – der Schwerpunkt der Sendung liegt selbstverständlich auf den Beiträgen des Internationalen Forums des Jungen Films der Berliner Filmfestspiele und nicht auf den Hauptfilmen – gehen ständig Leute ein und aus. In einer der Sofaecken wird gerade der Filmemacher Michael Brynntrup zu seinem Langspielbeitrag »Ekg Expositus« interviewt.

Währenddessen steht Julia Lazarus hinterm Pult, spielt Filmausschnitte ein und stellt Zwischenfragen. Alle rauchen. Zwischenzeitlich verkehren sich die Rollen, der Filmemacher beginnt die ModeratorInnen zu ihrem Projekt zu befragen, es entspannt sich mehr ein Dialog als ein klassisch, hierarchisch geführtes Interview. Das ist durchaus gewollt: »Die Auswahl von Nachrichten und Musik wird sich von anderen Sendern unterscheiden, und sie werden nicht nach definierten Regeln voneinander getrennt sein, sondern so aufeinanderfolgen, wie die Verantwortlichen das für notwendig halten. Einige Moderatoren werden zu schnell sprechen, einige Platten werden zerkratzt sein, und mit Sicherheit werden sich viele Dinge ereignen, die normalerweise nicht im Radio passieren. Als Ganzes wird reboot.fm ein Radio sein, das hörbare Ecken und Kanten hat – und das ist nichts, wovon wir glauben, dass wir es dringend beheben müssten«, kündigten die RebooterInnen schon vor Sendestart an.

Initiiert wurde das Projekt von zehn Mitgliedern rund ums Bootlab. Über zehn Monate lang konzipierten sie das Programm und die Sendestruktur.

Die Herstellung und Produktion der Sendungen wird aber größtenteils von externen Gruppen und Einzelpersonen getragen. »Wir haben alle Freunde und Bekannte auf der ganzen Welt gebeten, Beiträge zu produzieren und beizusteuern«, sagt Lazarus. Der Bekanntenkreis ist inzwischen aber eindeutig gesprengt. Schon länger bestehende Berliner Radioinitiativen wie die Radiokampagne, Radioriff und TwenFM sind bei reboot.fm mit eingestiegen und beteiligen sich mit eigenen Formaten. Auch außerhalb Berlins und Deutschlands erhält reboot.fm große Unterstützung, so tragen das Freie Sender Kombinat (FSK) aus Hamburg, Interspace Sofia oder Resident FM aus Kalifornien und viele andere Sender aus aller Welt mit eigenem Material zur Programmvielfalt von reboot.fm bei. Support gibt es auch von Initiativen, wie Kanak Attak und der Gesellschaft für Legalisierung oder Indymedia, die mit genuin politischen Formaten bei reboot.fm vertreten sind.

Neben den verschiedenen unkommerziellen Initiativen und Gruppen gehören ebenso kommerzielle Partner zum Reboot-Club. »Um die Frequenz zu bekommen, mussten wir Veranstaltungspartner vorweisen«, erläutert Lazarus. Neben der Transmediale, der Club Transmediale featurete reboot.fm, die Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst mit eigenen Themen- und Liveübertragungen. Die erste Sendewoche bestand deshalb ausschließlich aus Beiträgen zur Transmediale, in den Abendsendungen wurden live die Clubveranstaltungen aus den Berliner Clubs Maria und WMF übertragen. Wegen dieser Kooperationen wird reboot.fm von der Bundeskulturstiftung gefördert.

Doch reboot.fm ist nicht nur Radio. »Das meiste Geld«, sagt Lazarus, haben wir für die Entwicklung einer neuen Radiosoftware ausgegeben.« Die Software soll dazu dienen, die gängigen Systeme für die Radioproduktion zu ersetzen. Denn die Software ermöglicht es, die selbst produzierten Radiobeiträge einer größeren Öffentlichkeit zugängig zu machen – unter der Prämisse, dass die NutzerInnen damit keinen Gewinn erwirtschaften. Derart will reboot.fm ein Prinzip aus der Open Source Software im Radiobereich etablieren: »Wir sind davon überzeugt, dass weder Radioproduzenten noch Radiohörer so genannte Rechte-Management-Systeme brauchen, die für sie entscheiden, was sie kopieren, downloaden, abspielen oder anhören dürfen – das zu managen sollten sie ganz und gar selbst in der Lage sein.« Das daraus entstehende Audioarchiv soll allen offen stehen und kann einfach per Internet frequentiert werden – das Radio ist selbstverständlich ebenfalls weltweit per Livestream zu empfangen. Eventuell bleibt Reboot.Fm auch nach Ende April on Air. Zur Zeit laufen Verhandlungen, das Radio bis August, zumindest in den Abendstunden, weiter laufen zu lassen.

Jungle World gehört zu den Kooperationspartnern des Radios und sendet dienstags zwischen 19 und 20 Uhr.