Heroin aus der Stube

Seit Ende Januar gibt es in Berlin zwei Drogenkonsumräume. Die Anwohner des Druckraums in Moabit sind skeptisch. von daniél kretschmar

Volker Liepelt, der stellvertretende Vorsitzende des CDU-Kreisverbandes Berlin-Mitte, und sein Kollege Thorsten Reschke aus der Bezirksverordnetenversammlung machen sich Sorgen. Und zwar um den Kiez rund um den Drogenkonsumraum in der Birkenstraße in Moabit. Auf einer von ihnen einberufenen Diskussionsveranstaltung in der Arminiushalle, einer klassischen Berliner Kneipe mit röhrenden Hirschen an den Wänden, geben sie vor den laufenden Kameras des Lokalfernsehens ihre Bedenken zu Protokoll. Eine Fixerstube helfe den Abhängigen nicht, Kriminalität werde angezogen, das Wohnumfeld verliere an Attraktivität, und außerdem seien die Öffnungszeiten viel zu kurz, um eine angemessene Betreuung der Süchtigen zu gewährleisten.

Die Anwohner, die in die Arminiushalle gekommen sind, machen sich auch Sorgen. Aber eher um die Immobilienpreise und die allgemeine Qualität des Wohnumfeldes, als um das Wohl der »Kranken«. Obwohl für die Dauer der Veranstaltung kein Alkohol ausgeschenkt wird, wird die Stimmung erregter. Einer der vielen Zwischenrufe trifft die allgemeine Stimmung ziemlich genau: »Das sind doch keine richtigen Menschen.«

Rolf Bergmann von Boa e.V., dem Träger des Druckraums, der mit dem Gesundheitsstadtrat von Mitte, Christian Hanke (SPD), auf dem Podium sitzt, versucht, die Anwohner zu besänftigen. »Sucht ist gesellschaftliche Realität. Damit müssen wir umgehen«, erläutert er. »Wir wollen ihnen doch nichts Böses.« Der Raum sei sowohl im Sinne der betreffenden Klientel als auch für die Anwohner eine Erleichterung. Die Hinweise, dass es eine sehr intensive Zusammenarbeit mit der Polizei gäbe, ehrenamtliche »Kiezläufer« die Umgebung beobachteten und gegebenenfalls Spritzbestecke einsammelten und dass der offene Drogenkonsum ja gerade von der Straße genommen würde, prallen jedoch an den Ängsten und Vorurteilen der Versammelten ab. Die Diskussion verliert sich schließlich in Schuldzuweisungen, die vor allem die Unkenntnis der Funktionsweise von Suchthilfe offenbart.

Jahrelang versuchten Sozialhilfeträger, Einzelpersonen und Interessengruppen wie »Druckräume jetzt« den Berliner Senat von der Notwendigkeit der Drogenkonsumräume, auch Druckräume oder Fixerstuben genannt, zu überzeugen. Mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages zwischen SPD und PDS im Jahr 2001 war eine Chance eröffnet. Damals wurde auch das Betäubungsmittelgesetz novelliert, das nun einen juristisch abgesicherten Betrieb von Druckräumen ermöglicht. Die in anderen Großstädten betriebenen Einrichtungen hatten bis dahin in einer rechtlichen Grauzone gearbeitet.

Die beiden Jugend- und Suchthilfeträger Fixpunkt und Boa e.V. waren seitdem auf der Suche nach geeigneten Räumen, die sie schließlich in der Dresdener Straße in Kreuzberg und in der Birkenstraße in Moabit fanden. Gleichzeitig erklärten die Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) ihr prinzipielles Einverständnis mit den Projekten. Lediglich die CDU protestierte vehement gegen die Einrichtung von Fixerstuben.

Der Raum in der Birkenstraße ist an vier Tagen in der Woche jeweils nur drei Stunden geöffnet, was vor allem an der unzureichenden Finanzierung durch den Berliner Senat liegt. Die Gesamtsumme von 172 000 Euro für das Projekt müssen sich die beiden Druckräume und eine mobile Station teilen. Thomas Sebastian von Boa bestätigt, dass längere Öffnungszeiten sinnvoll wären. »Wenn wir täglich von 14 bis 22 Uhr öffnen könnten, würde das die Kernzeiten gut abdecken, aber drei Stunden sind erst einmal besser als gar nichts.«

Die Verfechter von Drogenkonsumräumen ordnen den beaufsichtigten Drogenkonsum in das idealtypische Netzwerk aus niedrig- und höherschwelligen Hilfsangeboten ein. Auch eine Fürsorgeabsicht verbinden sie damit, ist doch der Konsum von Heroin häufig mit großen gesundheitlichen Risiken verbunden, die weniger der Droge selbst, als ihrer oft unhygienischen Darreichungsform geschuldet sind.

Suchthilfe funktioniert im Allgemeinen durch das Zusammenspiel verschiedener Angebote zu Krisenintervention, Beratung und Therapie. Die Überwindung der akuten Abhängigkeit gestaltet sich individuell sehr unterschiedlich, beginnt häufig mit Erstkontakten in Beratungsstellen, die vor allem einer Orientierung über Hilfsangebote dienen. Die Unverbindlichkeit und Unkompliziertheit des Zugangs zu Beratungsangeboten soll vor allem die Hemmschwelle für Ausstiegswillige herabsetzen. Mit fortschreitender Einbindung in die Hilfsangebote werden die Bedingungen für die Betroffenen verschärft, mit dem Ziel, schließlich völlige und dauerhafte Abstinenz zu erreichen.

Ob Druckräume letztendlich Abhängige von ihrer Sucht wegbringen können, ist aber auch unter Fachleuten umstritten. Die Frage, ob Abstinenz überhaupt das unbedingte Ziel darstellt, wird genauso intensiv diskutiert. Zudem wird auch eine bürgerrechtliche Kritik an der ständigen Beobachtung der Abhängigen geübt, die bei Verwendung illegaler Drogen schon durch die Beschaffung des Stoffes permanent Gefahr laufen, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.

Druckräume werden von der Polizei besonders beobachtet, zusätzlich unterschreiben die Nutzer einen Vertrag und ihre Daten werden von den Trägern »zur Vermeidung von Doppelbetreuungen« in einer bundesweiten Datenbank gesammelt. Die Sicherheit und Sauberkeit des Konsumraums wird mit einer teilweisen Preisgabe der Anonymität bezahlt, soweit diese etwa bei abhängigen Obdachlosen mit den üblichen Polizeikontakten überhaupt noch gegeben ist.

Das sind Fragen, die in der Arminiushalle keine Rolle spielen. Das Podium bemüht sich, den Schein der Sachlichkeit zu wahren und beklagt die angeblich mangelnde Bürgerbeteiligung vor der Eröffnung der Fixerstube. Zwei weitere mögliche Standorte waren aus technischen Gründen ausgeschlossen worden, worauf der Senat im Herbst 2003 ein zügiges Verfahren zur Nutzung der Räume in der Birkenstraße einleitete.

Sowohl der Betroffenenbeirat und die Vertretung der Anwohner als auch die BVV haben den Standort gebilligt. Die Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit und Soziales, Miriam Scheffler von den Grünen, versteht den Vorwurf nicht, die Bürger seien übergangen worden. Das neuerliche Faible der CDU für Basisdemokratie kommt ihr seltsam vor: »Natürlich würden da einige gern abstimmen, Druckraum ja, aber nicht bei uns. Dann können wir einen Druckraum am Nordpol aufmachen. Dabei sind die Ängste der Anwohner im Wesentlichen unbegründet und fachlich widerlegbar.«

Große Sorgen wegen der Proteste macht sie sich dennoch nicht, genauso wenig wie Thomas Sebastian. Mehr Probleme als der etwa zehnminütige Protest einer Hand voll Stammkunden der Arminiushalle am Eröffnungstag werden nicht erwartet, in Kreuzberg gab es nichts Vergleichbares.

Nun bleiben zwei Jahre Zeit zu beobachten, welche Folgen die Einrichtung von Drogenkonsumräumen tatsächlich für die Nutzer, das Wohnumfeld und die Suchthilfe haben. Dann müsste der Senat zum Weiterbetrieb erneut Geld bereit stellen.