»Im Iran wurde schon alles ausprobiert«

Karim Sadjadpour

Sieben Jahre nach dem Wahlsieg Mohammad Khatamis im Iran steht der Versuch der so genannten Reformer, die Islamische Republik von innen zu verändern, vor dem Aus. Einige haben beschlossen, die für den Freitag anberaumten Parlamentswahlen doch nicht zu boykottieren, während knapp hundert Parlamentarier an dem Boykott festhalten.

Karim Sadjadpour ist Iran-Analytiker der International Crisis Group. Zurzeit ist er Visiting Fellow an der American University Beirut. Mit ihm sprach Markus Bickel.

Wahlboykott oder Wahlbeteiligung? Ausgerechnet in dieser Frage sind die so genannten Reformer gespalten. Welche Auswirkungen hat das?

Ich glaube, dass die Spaltung zu einem weiteren Legitimationsverlust der Reformkräfte führen wird. Trotz ihres Versprechens, vereint an einer Veränderung der politischen Landschaft des Landes zu arbeiten, zeigt sich, dass sie dazu nicht in der Lage sind. Der Bevölkerung wird signalisiert, dass ihre Einflussmöglichkeiten, Reformen voran zu bringen, noch aussichtsloser sein werden, als sie in der Vergangenheit ohnehin schon waren.

Könnte das zu einer Radikalisierung von Teilen des so genannten Reformblocks führen?

Nein, das glaube ich nicht, denn das, was man als Reformer bezeichnet, war von Anfang an ein sehr breites Bündnis aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräften. Neben streng säkular ausgerichteten Politikern, die für eine Trennung von staatlichen und religiösen Institutionen eintreten, finden sich auch Leute, die an der Gründung der libanesischen Hisbollah beteiligt waren. Deshalb sind die aktuellen Meinungsunterschiede zwischen den Reformern auch nichts wirklich Neues, selbst wenn es in der Folge noch schwieriger sein wird, die Bewegung zusammenzuhalten.

Die so genannten Konservativen haben durch ihren Ausschluss von mehreren tausend Kandidaten von den Wahlen den Keim zur Spaltung gelegt. Wie werden sie von diesem Erfolg profitieren?

Das hängt davon ab, was man als Erfolg bezeichnet. Man kann davon ausgehen, dass die Konservativen die Wahlen gewinnen werden. Aber nicht wegen ihrer eigenen Stärke, sondern weil die Wahlbeteiligung wahrscheinlich sehr gering ausfallen wird. In der Regel schaffen es die konservativen Kräfte nicht, mehr als zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung an die Wahlurnen zu locken, so wie zuletzt bei den Kommunalwahlen im Februar 2003. Der Großteil der jungen Wählerinnen und Wähler wird sich jedenfalls nicht an den Wahlen beteiligen und auch ältere Schichten, die sich mehr Veränderung wünschen, dürften am Freitag zu Hause bleiben. So gesehen ist ein Erfolg der Konservativen auch nicht geeignet, dem Land Glaubwürdigkeit und Legitimität zu verschaffen.

Können die Konservativen die Wünsche vor allem der jungen Wählerschaft denn auf Dauer ignorieren?

Schon heute sind sie gezwungen, sich sehr pragmatisch zu präsentieren, denn nur so ist der breit artikulierte Protest noch in geregelte Bahnen zu lenken. Man darf nicht vergessen, dass fast zwei Drittel der Bevölkerung unter 30 Jahre alt sind. Sie fordern Arbeitsplätze, soziale und politische Freiheiten sowie mehr Wohlstand – Wünsche also, denen sich kein Regime auf Dauer entgegenstellen kann. Deshalb kann man davon ausgehen, dass das Auseinanderbrechen der Reformkräfte nach den Wahlen zur Bildung einer neuen, etwas progressiver ausgerichteten Plattform führen wird, die vor allem die Ziele der jungen Generation propagiert.

Wird diese Plattform nach den schlechten parlamentarischen Erfahrungen der vergangenen Jahre antiparlamentarisch ausgerichtet sein?

Welcher Politiker auch immer an die Spitze einer solchen Bewegung gelangt, wird das Ziel, im Parlament vertreten zu sein, auf Dauer nicht aufgeben. Selbst wenn es den Konservativen nun gelingen sollte, die Mehrheit der Abgeordnetenmandate zu erringen. Denn auch wenn nach den Wahlen die außerparlamentarische Bewegung, die ja Ende der neunziger Jahre sehr viel stärker war als heute, wieder an Zulauf gewinnt, werden ihre Vertreter sich mehr und mehr dem politischen Mainstream annähern, um eines Tages erneut im Parlament vertreten sein zu können.

Dort können sie schöne Gesetze verabschieden, die Macht können sie aber nicht ernsthaft in Frage stellen?

Deshalb werden politische Reformen im Iran auch so lange keine Chance haben, bis es nicht zu einschneidenden institutionellen Änderungen kommt, die den Einfluss der religiösen Kräfte in der Verfassung beschränken.

Die Entwicklungen der vergangenen sieben Jahre zeigen doch, dass Verfassungsänderungen innerhalb des bestehenden Systems nicht möglich sind – selbst mit einer parlamentarischen Mehrheit der Reformer.

Das kann man so nicht sagen. Denn es wurde ja versucht, institutionelle Reformen in die Wege zu leiten. Khatami hat einen Anhang zur Verfassung eingereicht, der Parlament und Präsident mehr Macht einräumt, und dieser wurde vom Parlament auch mit überwältigender Mehrheit angenommen. Aber natürlich haben diejenigen, deren Kompetenzen es beschnitten hätte, ihr Veto gegen die Änderung eingelegt. Das heißt aber nicht, dass die Reformer tot sind – selbst dann nicht, wenn nun die Konservativen die Mehrheit der Sitze erlangen sollten.

Haben die Leute die Herrschaft der Mullahs nicht so satt, dass das Regime früher oder später ohnehin zusammen brechen wird?

Im Iran wird in diesem Monat der 25. Jahrestag der Islamischen Revolution von 1979 gefeiert. Doch die Mehrheit der Iraner ist sich darin einig, dass der Schah nicht gestürzt wurde, um danach Bedingungen zu schaffen, wie sie heute existieren. Selbst unter den Leuten, die damals selbst gegen die Monarchie protestierten, sind nur wenige, die ein derart rigides System im Kopf hatten. Auch wenn das Ende des alten Regimes natürlich begrüßt wurde. Der Vorteil des Iran ist, dass hier inzwischen fast alle Herrschaftssysteme durchprobiert worden: Es gab 2 500 Jahre Monarchie, danach wollte man es mit einem theokratischen System probieren – aber auch das hat sich nach zweieinhalb Jahrzehnten als Fehler herausgestellt.

Wer bleibt da noch übrig, um den Wandel zu einem säkularen System voranzutreiben? Die linken Exilanten, die das Land seit Jahrzehnten nicht mehr besuchen konnten?

Vor 25 Jahren gab es sicherlich noch kommunistische oder sozialistische Politiker, die mit einiger Glaubwürdigkeit für ein anderes System eintreten konnten. Doch diese Alternative hat sich mit dem Fall der Sowjetunion meines Erachtens diskreditiert. So bleibt wirklich nicht viel übrig – außer der Demokratie. Deshalb stimmt für den Iran, was Churchill einmal für den Westen zur Zeit des Kalten Krieges formuliert hat: Demokratie ist die schlechteste Regierungsform – außer allen anderen.

Wie soll man sich die Bewegung denn vorstellen, die eine säkulare Demokratie eines Tages durchsetzt?

Vielleicht kann man es so beschreiben: Vor 25 Jahren haben die Studenten islamische Intellektuelle, Marx oder Khomeini zitiert und sich Bilder von Che Guevara an die Wand gehangt. Heute sind es Bill Gates oder Microsoft-Poster, die die Schlafzimmer in den Studentenwohnheimen zieren. Insgesamt gilt, dass die junge Generation inzwischen sehr viel pragmatischer ausgerichtet ist und nicht so sehr über ideologische Konzepte redet, sondern über soziale Freiheiten und wirtschaftliche Möglichkeiten. Deshalb werden es auch keine demonstrierenden Massen sein, die die Demokratie voran bringen, sondern eher ein Block in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen arbeitender Intellektueller, Journalisten oder Akademiker, denen es durch ihren Einfluss gelingen wird, die Herrschenden weiter herauszufordern.