»Die Hizbollah ist eine Kraft unter vielen«

Christoph Zöpel

In Beirut fand in der vergangenen Woche eine von der Friedrich-Ebert-Stiftung, dem Orient-Institut der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, dem Zentrum für Christlich-Islamische Beziehungen der Universität Birmingham und der Hizbollah nahe stehenden Think Tank Consultative Center for Studies & Documentation (CCSD) organisierte Konferenz statt. Der Titel lautete: »Die Islamische Welt und Europa – vom Dialog zum Verständnis«. An ihr nahmen auch Vertreter islamistischer Bewegungen wie Azzam al-Tamimi vom Institute of Islamic Political Thought in London und Jamal al-Banna aus Kairo sowie der stellvertretende Hizbollah-Generalsekretär Sheikh Naeem Qasim teil.

Eröffnet wurde die Konferenz von Christoph Zöpel, dem Sprecher des »Gesprächskreises Naher und Mittlerer Osten« der SPD-Bundestagsfraktion. Von 1999 bis 2002 war er Staatsminister im Auswärtigen Amt. Mit ihm sprach Markus Bickel.

Bereits vor der Konferenz in Beirut gab es teils heftige Kritik an der Auswahl der Teilnehmer. Ist die Hizbollah der richtige Partner, wenn man einen Dialog mit Vertretern der islamischen und arabischen Welt führen will?

Es gibt wohl keine Alternative dazu, mit allen Kräften, die in die Gesellschaften und politischen Systeme einzelner arabischer Länder integriert sind, zu reden, wenn man außer mit der Androhung militärischer Gewalt Einfluss nehmen will.

Hizbollah-Generalsekretär Nasrallah hat es erst vor wenigen Tagen als legitimes Recht seiner Organisation bezeichnet, an der Grenze zu Israel Minen zu legen. Ändert das etwas an Ihrer Bereitschaft, die »Partei Gottes« als Gesprächspartner zu akzeptieren?

Wir wissen, dass der Zentralkonflikt im Nahen Osten, der zwischen Israel und seinen Nachbarn, von vielfältigen Gewaltanwendungen geprägt ist. Es wäre eine irreale Einschätzung der Lage, wenn wir hier nicht bei jedem Partner auch auf Überlegungen stießen, wie die Situation durch den Einsatz von Gewalt verändert werden kann. In den von Israel besetzten Gebieten, in Israel selbst wird täglich Gewalt angewendet, die im Einzelfall sicherlich unterschiedlich bewertet werden kann, aber sie ist Gewalt.

Die deutschen Mitveranstalter behaupten, hier Herr des Verfahrens gewesen zu sein. Aber fängt die Instrumentalisierung durch den Hizbollah-Think-Tank CCSD nicht schon bei der Getränkeauswahl an, sprich: beim Alkoholverbot?

Da gibt es sehr einfache Vereinbarungen. Wenn ich bei jemandem zu Gast bin, darf der entscheiden, was ich zu essen und zu trinken bekomme. Wenn ich jemanden einlade, entscheide ich das. In keinem Fall ist jemand gezwungen, das zu essen, was ich ihm anbiete.

Gastgeber waren auch die Friedrich-Ebert-Stiftung und das Orient-Institut.

Das ist richtig. Ich bin dennoch der Auffassung, dass das Forschungsinstitut der Hizbollah als Mitveranstalter sagen kann, was es auf keinen Fall will, und das akzeptiere ich. Das Recht, anschließend an die Bar zu gehen, bleibt davon ja unberührt. In Deutschland halte ich das anders: Dort habe ich die kulturelle Gewohnheit, beim Abendessen auch ein Glas Wein oder ein Glas Bier zu trinken. Wenn jemand das ablehnt, dann treffe ich mich mit ihm nicht zum Abendessen, sondern schlage vor, uns zu einem gemeinsamen Kaffee zu verabreden. Und zum Kaffee pflege ich keinen Alkohol zu trinken.

Zurück zur Kernfrage: Wird die Hizbollah nicht unnötig aufgewertet, wenn die Ebert-Stiftung solche Veranstaltungen ausrichtet und Sie sich als deutscher Parlamentarier daran beteiligen?

Die Geschichte des Libanon hat gezeigt, dass der Übergang ein und derselben politischen, religiösen oder ethnischen Gruppe von einer militanten zu einer im Staatssystem anerkannten Organisation fließend ist. Und ich glaube, es wäre falsch, diejenigen libanesischen Kräfte – seien es Maroniten, seien es Katholiken, seien es Schiiten oder Sunniten –, die in schreckliche Kämpfe im Bürgerkrieg verwickelt waren, prinzipiell zu unterscheiden von der Hizbollah. Die Bereitschaft der Hizbollah, mit europäischen Institutionen einen Dialog hin zur Verständigung zu führen, zeigt doch, dass sie sich die Frage stellen, ob sie nicht in die libanesische Gesellschaft und mit der libanesischen Gesellschaft in das internationale System integriert werden sollen. Den Versuch ist es immer wert, das zu testen.

Stellt sich für Sie bei bestimmten Gruppierungen nicht doch so etwas wie die Frage, die über Dialogfähigkeit oder -unfähigkeit entscheidet: nach der Verteidigung von Selbstmordattentaten etwa?

Es gibt hier politische und moralische Fragen. Bei der historischen Lösung des Nahostkonflikts lauten die politischen: Wird der Staat Israel anerkannt? Erkennt Israel einen unabhängigen Staat Palästina an? Moralisch gilt: Europäische Demokraten können nicht mit Kräften zusammenarbeiten, die in ihrem politischen oder religiösen Kampf den Tod nicht beteiligter Dritter in Kauf nehmen. Das ist meine Definition von Terrorismus. Unter weltanschaulich-ethischen Gesichtspunkten glaube ich, dass eine Religion über ihre Fundamente nachdenken sollte, die Menschen dazu verleitet, sich umzubringen.

Die Hizbollah-Führung hat Selbstmordattentate nie ausgeschlossen.

Sie hat mit mir gesprochen, wissend, dass ich das verurteile.

Meinen Sie, Hizbollah-Kader lassen sich von Ihren Argumenten beeinflussen?

Das weiß niemand ganz genau. Wann immer ich vor vielen Menschen sprechen kann, werden mir einige zuhören, die neue Argumente aufnehmen. Und da die meisten europäischen Redner hier vorgetragen haben, dass es die Zweistaatenlösung zwischen Israel und seinen Nachbarn geben muss und dass Selbstmordattentate mit der Involvierung unschuldiger Dritter inakzeptabel sind, denke ich schon, dass zumindest ein Teil der Besucher darüber nachdenken wird. Natürlich nicht jeder, aber es gibt manchmal Überraschungen, welche Menschen warum plötzlich anfangen nachzudenken.

Glauben Sie, dass diese Zahl seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 kleiner geworden ist? Im Nahen Osten wie in Europa?

In Deutschland gibt es Reaktionen, nach dem 11. September verstärkt, die Gespräche mit radikalen Islamisten grundsätzlich ablehnen und dafür kein Verständnis haben. Das ist ein Faktum. Unter Arabern gibt es Positionen, die jedes Zugehen auf Israel für falsch halten. Das ist die Wirklichkeit dieser Welt. Aber andererseits wird auch die Notwendigkeit des Gesprächs als Alternative zur Gewalt stärker erkannt.

Ist die durch die Vermittlung des BND entstandene Aufwertung der Hizbollah beim Gefangenenaustausch mit Israel ein Grund, weshalb sich die Bundesregierung nun mit Kritik zurückhält?

Deutschland genießt bei arabischen Staaten wie bei Israel Vertrauen. Das hat sich an den Vermittlungsbemühungen zwischen Hizbollah und Israel gezeigt, das eben auch daran interessiert ist, im Kontakt zu stehen mit Hizbollah. Die simple Grundlage für die deutsche Vermittlung besteht darin, dass von den nordamerikanischen oder westeuropäischen Staaten, die über einen ausreichend großen Geheimdienst verfügen, der deutsche der einzige ist, mit dem derzeit beide Seiten angemessen reden. Dass Deutschland dadurch einen Beitrag zu kleinen Schritten der Verständigung in der Weltpolitik leistet, ist selbstverständlich. Wir müssen uns damit aber nicht rühmen.