Projekt der Projektionen

Benjamin Geissler verstrickt sich in seinem Dokumentarfilm über einen jüdischen Künstler in die deutsche Vergangenheit. von thomas käpernick

Wenn es gilt, die Trümmer der osteuropäischen jüdischen Kultur zu bergen und daraus etwas Neues zu bauen, sind die Deutschen gern dabei. Dass dies ein heikles, unweigerlich in neue Verwicklungen führendes Engagement ist, zeigt der Dokumentarfilm »Bilder finden«. Und zwar auf völlig unfreiwillige Weise.

Der Filmemacher Benjamin Geissler dokumentierte die Suche nach verschollenen Wandbildern des Künstlers Bruno Schulz, die er gemeinsam mit seinem Vater, dem Schriftsteller Christian Geissler, unternommen hat.

Der polnisch-jüdische Autor und Maler Bruno Schulz wurde in Drohobycz in der heutigen Ukraine im November 1942 von dem deutschen SS-Mann Karl Günther auf offener Straße erschossen. Bruno Schulz gilt als einer der wichtigsten polnischen Schriftsteller der Zwischenkriegszeit. Sein Erstlingswerk, »Die Zimtläden«, eine Sammlung phantastischer Geschichten, erschien 1933.

Bruno Schulz arbeitete als Lehrer, und die Geisslers sind in Drohobycz und in Israel auf zwei seiner ehemaligen Schüler getroffen, die ihnen erzählten, wie Schulz manches Mal Märchen improvisierte, anstatt regulären Unterricht zu erteilen. Mit Hilfe dieser Überlebenden und jüngerer Drohobyczer, mit denen sich das Filmteam auf Deutsch, Jiddisch und Polnisch verständigt hat, entdeckten Christian und Benjamin Geissler 2001 die gesuchten Fresken. Bruno Schulz hatte kurz vor seinem Tod in der Villa, die der örtliche SS-Kommandant Felix Landau bewohnte, die Wände eines Kinderzimmers mit bunten Figuren bemalt – wohl in der Hoffnung, damit sein Leben retten zu können. Doch als die SS im November 1942 im Ghetto seiner Heimatstadt Jagd auf Juden macht, wurde der Künstler kaltblütig erschossen. Die Pläne der Geisslers, die Wandbilder in einem Bruno-Schulz-Gedächtniszentrum in der Villa des Gestapo-Offiziers zu zeigen, scheiterten allerdings. Mitarbeiter der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem brachten die Fresken nach Israel, wo sie ab Herbst 2004 ausgestellt werden sollen. Benjamin Geissler versteht seinen Film als »diplomatischen« Protest gegen diese Maßnahme Yad Vashems.

Über weite Strecken ist »Bilder finden« ein charmanter Film, der sich nicht um die Standards für Dokumentarfilme kümmert: Es werden surrealistisch anmutende Bilder wie die eines Tierkadavers eingefügt; eine Stimme aus dem Off liest aus dem Werk des Schriftstellers vor. Die Montagen bewirken, dass der Film einen sehr poetischen Charakter hat. Im Mittelteil geht die Doku ganz verschiedenen Fragen nach. Da gibt es den einen Sohn des SS-Kommandeurs Felix Landau, der noch immer ein von Bruno Schulz gefertigtes Schmuckkästchen besitzt. Da gibt es den zweiten Sohn von Landau, der mit der Frage konfrontiert wird, ob er die frühen Erinnerungen an die Bilder aus seinem Kinderzimmer bewahrt hat. Und eine Interpretation der Malereien als Darstellung des Judenmordes in der Umgebung von Drohobycz scheint möglich, denn eine Figurengruppe läuft in Richtung eines Waldes.

Der offene Charakter des Filmes geht gegen Ende jedoch völlig verloren. Benjamin Geissler sammelt nur noch Argumente gegen den Transfer der Bilder nach Israel durch die Mitarbeiter von Yad Vashem und ist sich nicht zu schade, seine Interviewpartner zu Aussagen gegen die Gedenkstätte zu bewegen.

In einem Gespräch nach der Vorführung seines Filmes in Hamburg verteidigte er seinen Plan, die Wandmalereien im Haus des SS-Mannes zu zeigen: »Es in Drohobycz zu machen, ist viel sinnvoller, als es in Israel zu machen, dort (gemeint ist Drohobycz) hätte es viel genützt, dort gibt es ein Wissen über die Shoah.« Damit unterstellt er den »jungen«, nachgeborenen Mitarbeitern von Yad Vashem ein unzureichendes Wissen über die Shoah. Vater Christian Geissler beschreibt im Film das Vorgehen der Yad-Vashem-Mitarbeiter lapidar mit den Worten: »Sie hatten Geld und ein Papier.«

Es ist die manipulative Art der Montage, die an »Bilder finden« stört. Zwischen die traurig-hilflose Aussage eines Überlebenden aus Drohobycz und die visionären Zeilen von Bruno Schulz (»Kein Traum geht im Universum verloren«) schneidet Geissler lärmende Baumaschinen in Yad Vashem, und ein Ausstellungsguide erklärt zum Neubau des Museumstraktes, in dem die Bilder Bruno Schulz’ gezeigt werden sollen: »The museum cuts the mountain, it cuts across it like a knife.« Zwar wird die Begründung für diese Architektur – der Holocaust sei eine offene Wunde in der Menschheitsgeschichte – nicht unterschlagen, aber der Kontext stellt klar, dass es die israelische Gedenksymbolik sei, die sich nicht einfüge, die ihrer Umgebung Gewalt antue.

Der Film wurde in der vergangenen Woche auf Arte gesendet und in Hamburg vorgestellt. Einen Verleih gibt es bisher nicht.

Bei der Filmvorführung hatte Geissler die Sympathien fast aller Zuschauer auf seiner Seite. Man wollte wissen, was er denn gegen Yad Vashem unternehme, und eine Zuschauerin interessierte sich für den jüdischen Halbbruder des SS-Kommandanten Landau. Ob Felix Landaus Verwandtschaft mit einem Juden ein Motiv für seine Verbrechen sei, wollte sie wissen, während es Benjamin Geissler passender fand, auf die Gelder hinzuweisen, die von Felix Landau aus der Ukraine an den jüdischen Halbbruder gelangten, wofür ihm dieser bei der Entnazifizierung geholfen habe.

Die Suche nach den Bildern unternahmen Christian und Benjamin Geissler als generationenübergreifendes Projekt. Der Vater hatte die Idee zu dieser Spurensuche, der Sohn dokumentierte sie filmisch. Christian Geissler schrieb darüber außerdem ein Hörspiel, das in der Zeitschrift Die Aktion veröffentlicht wurde. Im Anhang der Aktion veröffentlichte er Gedanken zu seiner »jüdischen Frage«, eine Sammlung antiimperialistischer Ressentiments gegen Israel, gipfelnd in ihn ängstigende »horrorbilder von einer israelischen junta«, »enkel und enkelinnen aus sobibór ketten den andersdenkenden (...) in ›schutzhaftlager‹«. Es ist die NS-Vergangenheit, die in Christian Geissler arbeitet und ihn zu wilden Projektionen führt, die aber auch den moralischen Anspruch zur Folge hat, als Linker die Überlebenden nicht ignorieren zu können. Den jüdischen Überlebenden spricht er die »unvergleichliche autorität« zu, ihn, Christian Geissler, zum Schweigen zu bringen.

Dem Sohn Benjamin Geissler ist dieser Bruch in der Ideologie nicht anzumerken. Er realisiert nicht, dass in Israel ein anderes als ein versöhnendes Gedenken an den Holocaust möglich ist und dass es Gründe dafür gibt, dass die Bilder von Bruno Schulz nicht zwangsläufig in der Ukraine bleiben müssen. Der Vater Christian Geissler registriert noch, dass heute in Sichtweite der Mordstätte des Bruno Schulz ein Denkmal für Stepan Bandera steht, einen ukrainischen Nationalisten, der sich als zeitweiliger Nazikollaborateur am Judenmord beteiligte. In Benjamin Geisslers »Bilder finden« ist diese Reflektionsebene zugunsten der schlichten Polemik kassiert.

Bruno Schulz hat seinen Vater in seinen Erzählungen als leidenden, besessenen Phantasten geschildert. Für die Geisslers war das Vater-Bild des Bruno Schulz ein Motiv für ihren Film. Ein Motiv, das vielleicht noch eine andere Bedeutung hat: Die Generation, die heute in Deutschland das Erbe des Gedenkens antritt, benutzt die Vergangenheit nur noch, statt sie als zu Bearbeitendes zu sehen. Wenn nötig, instrumentalisiert sie auch die Überlebenden, und vor allem wirft sie das über Bord, was die Alten noch quälte.