Da kommt noch was

Zum 10. Todestag von Charles Bukowski. von horst schmidt

Ich bin kein lyrischer Entertainer, und ich habe nicht vor, mich auf die goldenen Scheißhäuser der Kultur zu abonnieren.« Mit diesem markigen Spruch charakterisierte sich Charles Bukowski Ende der sechziger Jahre in einem Brief an seinen deutschen Übersetzer und literarischen Agenten, Carl Weissner. Der selbst ernannte »schmutzige alte Mann« der amerikanischen Literatur und »Glöckner von East Hollywood« – so der Titel einer soeben in Großbritannien erschienenen neuen Bukowski-Biografie – war und ist das unerreichte Vorbild ganzer Heerscharen von Autoren und auch zehn Jahre nach seinem Tod einer der weltweit auflagenstärksten Schriftsteller der Gegenwart.

Schon zu Lebzeiten war der am 16. August 1920 in Andernach am Rhein geborene und am 9. März 1994 in Los Angeles verstorbene Lyriker, Erzähler und Romancier ein Mythos. Vor allem im Land seiner Geburt erlangten Person und Werk Bukowskis seit den siebziger Jahren Kultstatus. Als dreijähriges Kind bereits hatte Bukowski mit seinen Eltern Deutschland in Richtung des angeblichen Landes der unbegrenzten Möglichkeiten verlassen. Erst 1978 sah er sein Geburtsland wieder, als er in Hamburg eine Lesung gab, bei der er wie ein Popstar gefeiert wurde. »Buk« war chic. Wer up to date sein wollte, kam um Bukowski nicht herum. Der in den USA bis weit in die achtziger Jahre nur in Insiderkreisen bekannte Autor wurde zunächst in Deutschland ein Bestseller-Autor.

In den Anthologien »Fuck you«, »Acid« und »Silverscreen« – die beiden letztgenannten wurden von Rolf-Dieter Brinkmann herausgegeben – tauchten um 1968 im Rahmen der Rezeption zeitgenössischer US-Underground-Kultur auch Gedichte Bukowskis auf dem deutschsprachigen Buchmarkt auf. Als 1970 mit den »Aufzeichnungen eines Außenseiters« erstmals ein ganzes Buch von ihm in deutscher Übersetzung erschien, weckte es das Interesse der Literaturkritik, die den Band als eminent politisches Werk bewertete. Kommerziell wurden die »Notes of a Dirty old Man«, so der Originaltitel des Buches, das Kolumnen für ein US-Underground-Magazin versammelte, jedoch zunächst zu einem Misserfolg. Erst mit dem Erscheinen des Romans »Der Mann mit der Ledertasche« und dem Lyrikband »Gedichte, die einer schrieb, bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang« im Jahre 1974 fand Bukowski in deutschen Landen eine Leserschaft, die in die Hunderttausende ging.

Insbesondere von Literaturkritikern aus den Reihen der Alternativszene wurde er nun enthusiastisch gefeiert als Gegenpol zu einer als kraftlos empfundenen deutschen Gegenwartsliteratur. Auch viele deutschsprachige Schriftsteller lobten ihren amerikanischen Kollegen, der sich das Image des dichtenden »tough guy«, Frauenhelden und trinkfesten Rabauken gerne anhaften ließ, über den grünen Klee. Karl Krolow zum Beispiel sprach von »Gedichten wie Handkantenschläge«, Ludwig Fels lobte Bukowskis »Kraft des Obszönen«, und Jörg Fauser empfahl die Lektüre Bukowskis, da dessen Werke »Informationen für das tägliche Überleben« lieferten. Mit dem zunehmenden Erfolg Bukowskis bei der Käuferschaft und der Literaturkritik einher ging seine Vereinnahmung durch etliche Nachwuchsautoren. Bewusst lehnten sie sich in ihren Texten an ihr großes Idol und Vorbild an, gelangten dabei jedoch nur in den seltensten Fällen über das Stadium der Epigonalität hinaus.

Ein solcher Fall war Jörg Fauser. Der auf tragische Weise ums Leben gekommene Journalist und Schriftsteller traf von allen deutschen Autoren, die in den literarischen Fußstapfen Bukowskis wandeln, wohl noch am ehesten den spezifischen »Bukowski-Ton«. Jene Mischung aus Schnodderigkeit, Lakonie, Sex und Humor also, die sich durch das gesamte Werk Bukowskis zieht. Fauser sei »mehr Bukowski als ich selbst« gewesen, soll der »alte Drecksack« (so Fauser über Bukowski) im Rückblick auf seine Begegnung mit dem Autor von Romanen wie »Rohstoff« oder »Das Schlangenmaul« ironisch geäußert haben.

Natürlich hat Bukowski nicht nur Bewunderer und Fans gehabt. Was den einen lieb war, galt den anderen als Untergang des Abendlandes. Immer wieder wurde Bukowski eine Fäkalsprache vorgeworfen, seine Texte wurden als trivial bewertet, und vor allem von Kritikerinnen wurde ihm vorgeworfen, er huldige dem Sexismus und sei ein »männliches Chauvischwein«.

Bei der Lektüre der zahllosen Kritiken und Essays, die seit den siebziger Jahren in nahezu allen deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften über Bukowski, sein Werk und seine Wirkung erschienen sind, fällt auf, dass der Protagonist der Texte Bukowskis fast durchweg mit dem Autor gleichgesetzt wird. Es wird nur selten unterschieden zwischen dem Menschen und Autor Bukowski und seinem literarischen alter ego »Henry Chinaski«, dem Helden und Ich-Erzähler seiner meisten Texte. Das spricht nicht unbedingt für seine Leser, aber sehr wohl für den Schriftsteller Charles Bukowski. Wer es als Autor über Jahrzehnte und über den Tod hinaus schafft, seinen Lesern das Gefühl zu geben, dass hier jemand authentisch und aus eigenem Erleben und Erleiden über seine Sicht der Welt schreibt, und dies in einer schnörkellosen, auf rhetorischen Schnickschnack verzichtenden und stets auf den Punkt kommenden Sprache, kann kein schlechter Schriftsteller sein.

So hat sich denn auch nicht bewahrheitet, was viele nach dem Tod Bukowskis vor zehn Jahren prophezeiten. Sein Werk sei von zweifelhaftem literarischen Wert und werde rasch in Vergessenheit geraten, sein Erfolg sei ein bloßes Zeitphänomen der siebziger und achtziger Jahre gewesen, kurzum: es werde nicht viel von Bukowski bleiben. Das genaue Gegenteil aber ist der Fall.

Zehn Jahre nach Bukowskis Tod erreichen seine über 60 Bücher, die zu einem Großteil erst aus dem umfangreichen Nachlass herausgegeben worden sind, weltweit nach wie vor hohe Auflagen. Person und Werk Bukowskis faszinieren noch immer. Seine Ehrlichkeit, Offenheit und Schonungslosigkeit hebt ihn auch zehn Jahre nach seinem Tod noch deutlich ab vom Geschwätz und der Konturenlosigkeit des heutigen Literaturbetriebs. Der »Dirty Old Man« gilt längst als Klassiker der modernen Weltliteratur. Allerdings als höchst lebendiger Klassiker. Kaum ein anderer zeitgenössischer Autor ist zum Beispiel im Internet so präsent wie Charles Bukowski. Und nur ganz wenige Autoren haben so viele »Schüler« vorzuweisen wie »Buk«, den neuerdings auch die Autoren der »Social Beat«-Bewegung als einen ihrer Ahnherren für sich reklamieren.

Auch die Literaturwissenschaft hat Bukowski seit einigen Jahren als Forschungsobjekt entdeckt. Die Studien und Monographien über Bukowskis Person, sein Werk und seine internationale Wirkung füllen mittlerweile schon mehrere Meter Regal, wobei besonders britische Literaturwissenschaftler sich intensiv mit Bukowski zu beschäftigen scheinen. Gleich mehrere lesenswerte Biographien liegen mittlerweile vor, auch ein penibles Verzeichnis aller Veröffentlichungen Bukowskis. In Deutschland gibt es seit 1996 sogar eine »Charles Bukowski Gesellschaft«, die sich auf rührige Art und Weise um den Nachruhm des einstigen Außenseiters bemüht. Ins Leben gerufen wurde sie seinerzeit vom jungen Berliner Schriftsteller Falko Hennig. Alljährlich veranstaltet die literarische Gesellschaft ein Symposium zu Ehren von Bukowski, gibt ein eigenes Jahrbuch heraus und präsentiert sich im Internet mit einer eigenen Homepage, die zum Besten gehört, was man im Netz über Bukowski finden kann (www.bukowski-gesellschaft.de).

Bislang nur im Original liegen die Briefe Bukowskis vor, von denen in den letzten Jahren gleich mehrere Bände aus dem Nachlass herausgeben worden sind. Dass diese Briefe bislang noch nicht in deutscher Übersetzung vorliegen, ist absolut unverständlich. Bukowski war nämlich einer der ganz großen Briefeschreiber der Weltliteratur, vom Umfang und von der Qualität her ist sein Briefwechsel durchaus zum Beispiel mit dem Henry Millers vergleichbar. Höchste Zeit also, dass sich endlich ein deutscher Verlag der Briefe Bukowskis annimmt und sie auch für deutsche Leser zugänglich macht.

Was wird von Bukowski bleiben? Neben den eben erwähnten, in Deutschland noch zu entdeckenden Briefen gewiss sein Roman »Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend«, in dem er ähnlich wie sein schriftstellerisches Vorbild Louis-Ferdinand Céline in »Tod auf Kredit« eine »education brutale« beschreibt. Und mit Sicherheit einige Gedichte, die eigentlich eher komprimierte, in Zeilen gebrochene Prosa sind, und die auch in 100 Jahren noch in den Lesebüchern stehen dürften. Zehn Jahre nach seinem Tod ist Bukowski, der seine letzten Lebensjahre entgegen einem verbreiteten Image in verdientem Wohlstand verbrachte, dort angekommen, wo er nach eigenem Bekunden niemals landen wollte: auf den »goldenen Scheißhäusern der Kultur«. Der Platz sei ihm gegönnt. Er hat ihn sich redlich verdient. Und im Gegensatz zu vielen anderen hat er sich nie darum gerissen.