Ein zerrissenes Leben

Zum 100. Geburtstag des Schriftstellers Bodo Uhse. von birgit schmidt

Wer mit 31 Jahren eine Autobiografie vorlegt, muss anderen etwas mitzuteilen haben oder sich vor ihnen rechtfertigen. Beides gilt für Bodo Uhse, der 1935 im Pariser Exil seine Autobiografie »Söldner und Soldat« veröffentlichte. Der dortigen deutschen Exilgemeinde hatte Uhse wahrlich einiges zu erklären, denn bis 1930 hatte der mittlerweile überzeugte Kommunist in der NSDAP Karriere gemacht. Als so genannter Hauptschriftleiter hatte er die NS-Presse Norddeutschlands mitaufgebaut und unter zahlreichen wechselnden Pseudonymen völkische Propaganda betrieben.

Zehn Jahre später – im Jahre 1945 – heiratete der ehemalige Gefolgsmann Hitlers Alma Agee, eine amerikanische Jüdin, und betrieb seine Rückkehr nach Deutschland. Dazwischen lagen die Exilstationen Frankreich, USA und Mexiko, ein unablässiges Engagement für die jeweilige Politik der Kommunistischen Partei Deutschlands, der er vermutlich seit 1931 angehörte, und die Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, die er gleichfalls literarisch verarbeitete. Doch anders als seine Autobiografie, die Uhse als talentierten Schriftsteller ausweist, ist der 1944 in Mexiko erschienene Roman »Leutnant Bertram« nicht viel mehr als eine Konzession an die von der KPD seit 1935 geforderte Volksfrontstrategie. Diese forderte von ihren Anhängern den stetigen propagandistischen Bezug auf das angeblich existierende »bessere Deutschland«, von dem man im Exil behauptete, dass es stündlich gegen die Hitler-Schmach kämpfe. Die Realität sah anders aus, doch gemäß dem kommunistischen Auftrag und dem eigenen Wunschdenken treten in der KPD-Literatur – auch in Uhses »Leutnant Bertram« – von 1935 an ausschließlich gut gewachsene und tatkräftige kommunistische Helden auf, denen es gelingt, die wahrhaften deutschen Patrioten unter den Nationalsozialisten auf die richtige Seite herüberzuziehen, und die mit vorwärts gewandtem Blick die Ausgestaltung des real existierenden besseren Deutschland vorwegnehmen.

An dessen Materialisierung beteiligte sich auch Uhse. Hoffnungsvoll ging er mit seiner Frau und den zwei Söhnen im September 1948 in Wismar an Land. Er war bis 1952 Vorsitzender des Schriftstellerverbandes der DDR, bis 1954 war er Mitglied der Volkskammer, und der DDR-Öffentlichkeit musste er als anerkannter Autor und Herausgeber der Zeitschrift Aufbau gelten.

Das war jedoch nur die Außenansicht. Denn auch Uhse gehörte zu den so genannten Westemigranten, die bereits ab 1949, also dem Gründungsjahr der DDR, mit Argwohn beobachtet wurden. Ab 1950 wurden – sofern sie Kommunisten waren – alle aus der Westemigration Zurückgekehrten, alle ehemaligen Kriegsgefangenen und alle ehemaligen KZ-Insassen ideologisch überprüft, zum Teil mit fatalen Folgen für die Betroffenen.

Die zentralen Eckdaten des Formierungsprozesses der Staaten im Stalinschen Einflussbereich sind bekannt: Uhse musste den so genannten Rajk-Prozess in Budapest im Jahre 1949 zur Kenntnis nehmen, 1952 die so genannten Slansky-Prozesse in Prag, in deren Verlauf auch sein Freund Otto Katz zum Tod durch den Strang verurteilt wurde; dann die sich daran anschließende Repressionswelle in der DDR, die Verbannung, Verhaftung und Verurteilung Paul Merkers, des früheren Leiters der KPD-Gruppierung in Mexiko, 1956 dann die Verhaftung und Verurteilung eines weiteren Freundes, nämlich Walter Jankas, des ehemaligen Leiters des Exilverlags El Libro Libre in Mexiko. Uhse selbst wurde keinen direkten repressiven Maßnahmen unterworfen, doch seine Tagebücher sprechen eine deutliche Sprache. So notierte er im Jahre 1952 verzweifelt: »Der Gedanke an den Tod taucht oft als tröstende Hoffnung auf, ist tief vertraut geworden, sehnsüchtiger Traum. Nur ein Mittel dagegen, das Buch. Aber in all diesen schwarzen Wochen nicht eine Zeile geschrieben.«

»Das Buch« war das als Trilogie angelegte Romanprojekt »Die Patrioten«, in dem Uhse ein Loblied auf den – vorgeblichen – antifaschistischen Widerstand innerhalb Deutschlands und auf die leitende Rolle der Sowjetunion in diesem Kampf singen wollte. 1954 erschien der erste Teil »Abschied und Heimkehr«. Doch dann kam das Jahr 1956. Und mit ihm der XX. Parteitag der KPdSU, auf dem die Verbrechen des Stalinschen Systems zum ersten Mal dezent angedeutet wurden. Die Konzeption des Romans konnte nun nicht mehr aufrechterhalten werden, und dennoch musste Uhse, dessen Weltbild endgültig ins Wanken geraten war, seine Bringschuld an den Aufbau-Verlag leisten. Damit quälte er sich die nächsten zehn Jahre herum, trotzdem konnten postum nur einige Fragmente des zweiten Bandes erscheinen, denn immer wenn der Autor an den »Patrioten« zu schreiben sich vorgenommen hatte, begann ein schmerzhaftes Ekzem seine Hände zu überziehen. In den Tagebüchern heißt es: »Die Hände machen mir viel zu schaffen. Morgens habe ich Hoffnung, dass es besser geht, abends schmerzen sie und sehen wie Krötenfüße aus. Ich ekele mich vor meinen Händen.«

Offensichtlich ekelte Uhse sich nicht allein vor seinen Händen. Dass er verzweifelt war, hat unter anderem sein Stiefsohn Joel Agee bezeugt, der Ende der siebziger Jahre in den USA mit »Zwölf Jahre in Ostdeutschland« einen autobiografischen Bericht vorlegte, in dem er auch auf Uhses Gemütszustand nach 1956 einging. Er schreibt darin: »Ich weiß noch, wie Bodo eines Abends beim achten oder zehnten Bier, stöhnend und gekrümmt vor Reue, jammerte, sein Leben sei verpfuscht, er habe sein Talent vergeudet, er habe diesem Schweinehund Stalin seine Seele verkauft. Natürlich war er betrunken und wurde wieder nüchtern.« Doch Uhse vermied es zusehends, wieder richtig nüchtern zu werden. Sein ungesunder Lebensstil – er war Kettenraucher und wurde zum Alkoholiker – trug dazu bei, dass er in der Nacht zum 2. Juli 1963 mit nur 59 Jahren an einem Gehirnschlag starb.

Heute wird Bodo Uhse auf diversen Internet-Seiten als Querfrontstratege dargestellt, als deutscher Patriot, der sowohl in der NSDAP als auch in der KPD nach einer Möglichkeit gesucht habe, seinem Land zu dienen. Tatsächlich jedoch dürften die Gründe für Uhses Engagement auf Seiten der Nationalsozialisten und seine darauf folgende Bindung an die KPD eher im psychischen Bereich zu suchen sein, im Bedürfnis danach, einer großen sinnstiftenden Gemeinschaft anzugehören, die das Individuum von Freiheit und eigenen Entscheidungen entlastet.

Bodo Uhse wäre am 12. März 2004 hundert Jahre alt geworden.