Bargeld erzählt

Die Neubauten bleiben auch mit »Perpetuum Mobile« die durchgeknallte Band. von jens thomas

Blixa Bargeld ist wirklich ein komischer Typ. Man weiß nie so recht, was er macht, was er eigentlich will, und schätzungsweise weiß er das manchmal selber nicht. Trotzdem findet man ihn irgendwie cool. Denn eigen ist er ja, der Mann mit dem Dandy-Outfit, dem akkurat gekämmten Mittelscheitel. Und dass Blixa Bargeld wirklich unglaublich ist, stellte er gerade im Berliner Tempodrom unter Beweis. Der 45jährige kann sich gehen lassen, kreischt hin und wieder zwischen seinen sonor basslastigen Gesangseinlagen, als hätte man ihm die Hoden abgeschnürt, und wirkt dabei keinesfalls peinlich. Er kommt einfach nur rüber wie ein richtiger Bekloppter. Will man ja irgendwie auch von den Neubauten sehen und hören.

Zu hören ist jetzt auch ihre neue Scheibe »Perpetuum Mobile«. Und sie ist, den Erwartungen entsprechend, ein Werk, das man wieder mal nicht richtig greifen kann. Zu versuchen, die Neubauten erneut zu kategorisieren, ist schlichtweg unmöglich. Sicher: Sie sind nicht mehr die Alten, haben nicht mehr das primäre Ziel, durch ihre Musik vorrangig zu nerven, und verlangen heute unverschämte Eintrittspreise von 25 Euro an der Abendkasse. Trotzdem klingen sie noch immer durchgeknallt, transportieren Politisches, wenn das auch hin und wieder widersprüchlich klingen mag.

Das neue Album klingt, ja: schön. Der einstige Terror-Klangteppich ist mehr durch frickelnde Geräuschkulissen ersetzt worden, die nun noch mehr Platz lassen für Blixa Bargelds bedeutungsschwangere Worte. Und Bargeld hat eine Menge zu erzählen. Im ersten Lied (»Ich gehe jetzt«) will er gleich wieder weg, obwohl die Platte gerade erst anfängt, sich zu drehen. Denn: »Es wird wie’s war und wahr wird nichts«. Darum: »Nach mir die Flut, nach mir Tornados, nach mir Tsunamis & Säuberungen, nach mir die Härte«. Die Konsequenz: »Es wird Zeit, dass die Erde sich endlich verspinnt, sich verwandelt aus der Hölle sprengt«. Dann geht Bargeld (in Worten). Jeder muss sich seine Logik schon selbst zusammenreimen.

Beim zweiten Stück, dem Titelsong »Perpetuum Mobile«, glaubt man zunächst, die Neubauten wollten eine Reise zurück in die Vergangenheit der achtziger Jahre wagen: Gepolter, Krach, Gestolper. Nach wenigen Sekunden aber mündet dieses Stück in zirpenden elektronischen Klängen, und Bargeld erzählt wieder. Was? Vom Perpetuum Mobile, das sich aus sich selbst heraus bewegt, sich selbst erzeugt, auf keine fremde Hilfe angewiesen ist und immer in Bewegung bleibt. »›Ich bin unterwegs‹, sagt der Herr. ›Von A nach B der Liebe wegen.‹«

Die Einstürzenden Neubauten sind wirklich schwer zu begreifen. Und wer sie auf ihrem neuen Album wieder nicht versteht, hat sie endlich verstanden. Sie sind laut FAZ »die einzige deutsche Band mit internationaler Wirkung«. Sicher nicht ganz richtig, wie ließe sich sonst der internationale Erfolg von Rammstein erklären? Dennoch sind die Neubauten einmalig, mit kaum einer anderen Band zu vergleichen, haben elektronische Bands wie Nine Inch Nails oder Anti-Vivisektionsgruppen wie Skinny Puppy musikalisch mitgeformt. Immer wieder werden sie durch die Interpretations-Maschine gejagt, die Feuilletons stürzen sich auf sie, und sie gelten neben Blumfeld als jene deutsche Formation, der man ständig Intellektuelles abverlangt, auch wenn Phrasen beider Bands hin und wieder einfach nur wirr sind und keinen Sinn ergeben sollten. Im Gegensatz zu Blumfelds Sänger Jochen Distelmeyer erscheint Blixa Bargeld dennoch als der mediale Psycho, weckt im Gegensatz zu ihm keinerlei Schwiegermüttergefühle, und die Neubauten verfolgen keinen musikalischen Kuschelkurs wie Blumfeld, die sich an zukunftslustigen Bands wie der Münchner Freiheit anlehnen (was gerade bei den Linken paranoide Distinktionsreflexe auslöste). Vielmehr schaffen es die Neubauten, sich ständig neu zu konstruieren. Dennoch sind sie auf Anhieb wieder zu erkennen und blenden aktuelle musikalische Trends regelrecht aus. Glaubt man Blixa Bargeld, interessiert er sich nicht mal für das aktuelle Musikgeschehen.

Die genialen Dilettanten, wie sie sich zu Beginn ihrer Karriere 1980 nannten, sind die Neubauten sicher nicht mehr. Selbstzerstörung ist der Selbstinszenierung gewichen. Die Fronten wurden im Laufe der Zeit gewechselt, die Neubauten wollen nicht mehr Hausbesetzer spielen, sondern Volkshelden sein.

Spätestens auf ihrer letzten LP »Silence Is Sexy« (2000) mündete ihr anfänglich schwer verdaulicher Industrielärm, der oftmals im Sinne der »Klang-Terroristen« als Angriff auf die zunehmende Technologisierung interpretiert wurde, in weich-seichten Geräuschkulissen. Tinnitusfördernde Frequenzen, die noch auf »Tabula Rasa« (1993), bei Stücken wie »12 305(te Nacht)« oder »Headcleaner« zu hören waren, werden nun auch auf »Perpetuum Mobile« förmlich durch ausbalanciertes Rascheln und softes Klingelingeling ersetzt.

Die Neubauten haben sich den sozialen Verhältnissen angepasst. Und darum wiederum auch gar nicht. Denn das Auffällige an ihnen ist ja: Sie legen sich keineswegs ins vorgewärmte Achtziger-Retro-Nest, rudern keine zwei Jahrzehnte zurück, wie es ihre Kommilitonen DAF und andere getan haben. Die Zeit muss ja auch für Blixa Bargeld wirklich schlimm gewesen sein: »Eine furchtbare Musik, die damals herrschte«, sagt er.

Neu sind die Neubauten trotzdem: Sie schrecken keineswegs vor neomedialen Strategien zurück, weben gar Corporate-Identity- und »Big Brother«-Methoden in ihr Konzept mit ein. So entstand eine vorläufige Scheibe, »Supporters Album #1«, nur für Subskribenten in Zusammenarbeit mit ihnen. Ihr Berliner Studio ließen sie mit Webcams ausstatten, und die Zuschauer konnten an der Produktion per Internet mitwirken – kostenpflichtig, versteht sich. Dabei durfte man den Neubauten bei den Proben zuschauen und konnte die gesendeten Sessions später im Chat oder in einem Forum diskutieren. Vielleicht kann man die Einstürzenden Neubauten ja auf ihrem nächsten Album gar im Chat rauswählen. Wer dann zum Schluss noch übrig bleibt, das kann man sich ja fast denken.

Einstürzende Neubauten: Perpetuum Mobile (Mute Records/EMI)