Die Freunde der Hutu Power

Frankreich unterstützte bis zuletzt die Hutu-Extremisten in Ruanda. Andere Staaten legitimierten aus Desinteresse diese Politik. von ruben eberlein

Mehrere Tage wüteten die Mordkommandos bereits in Ruandas Hauptstadt Kigali. In der französischen Botschaft versammelten sich zu dieser Zeit einige der Eminenzen des Habyarimana-Regimes. Ein Teil der Hutu-Power-Fraktion, vor allem die Entourage von Agathe Habyarimana, der Ehefrau des gerade ermordeten Präsidenten, bereitete sich auf ihre über die Botschaft arrangierte Ausreise vor. Joseph Kgarambe war einer der wenigen anwesenden Oppositionellen. »Was macht der denn hier?«, fragte der damalige Gesundheitsminister Casimir Bizimungu ungläubig.

Die Extremisten fühlten sich ganz zu Hause, und sie hatten allen Grund dazu. Auch Belgien, Deutschland und die Schweiz finanzierten und berieten in unterschiedlichem Umfang die Habyarimana-Diktatur. Die USA und Großbritannien ignorierten ihre eigenen geheimdienstlichen Erkenntnisse über die aufziehende Katastrophe und blockierten im UN-Sicherheitsrat jede Initiative, als der Völkermord angelaufen war. Doch als verlässlichster Partner der Hutu-Power, die nach 1990 den ruandischen Staatsapparat zu dominieren begann, erwies sich die Cellule Africaine im Präsidialamt François Mitterands.

Hinter Ruandas Völkermord, der konspirativ geplanten und doch immer wieder angekündigten Tötung von mindestens 800 000 Tutsi und gemäßigten Hutu, stand keine Supermacht, die ihn in Auftrag gegeben hätte. Und doch bleibt er ohne den Blick auf die Kolonialgeschichte und die spätere neokoloniale Bindung an Europa im Nebel des Mythos von der tribalistischen Gewalt.

Die rassistische Identitätspolitik der deutschen und belgischen Kolonialmächte, nach der Hutu-»Revolution« von 1959 unter veränderten Vorzeichen fortgeführt, legte den Grundstein für die faschistische Ideologie der Hutu Power. Das Einparteienregime unter Habyarimana, seit 1973 an der Macht, war der Liebling europäischer Christdemokraten und katholischer Missionare. Bis August 1993 standen dem Diktator europäische Berater, darunter ein Deutscher, zur Seite. Zu diesem Zeitpunkt war die Existenz des Netzwerks Null, des Kommunikationsnetzes der Todesschwadronen, seit zehn Monaten bekannt. Seit der Invasion der RPF im Oktober 1990 hatten sich die detailliert vorbereiteten Massaker an Zivilisten, meist Tutsi, und die politischen Morde an gemäßigten Hutu in allen Landesteilen gehäuft.

Die mörderischen hundert Tage nach dem 6. April, die erst am 18. Juli 1994 mit der Einnahme von Gisenyi durch die RPF ein Ende fanden, wurden auch für die im Land stationierte UN-Truppe Unamir zum Desaster. Zwei Wochen nach dem Beginn der Massaker beschloss der Sicherheitsrat die Reduzierung des Kontingents auf eine symbolische Größe. Als drei Wochen später die Kehrtwende folgte – 5 500 UN-Soldaten sollten jetzt nach Ruanda gesandt werden –, ignorierten die Großmächte diesen Beschluss.

Stattdessen führte Frankreich ab Mitte Mai seine eigene Operation unter dem Namen »Turquoise« durch. 2 500 Soldaten, mit allem ausgerüstet, was den UN-Truppen fehlte, etablierten im Südwesten des Landes eine »Sicherheitszone«. Romeo Dallaire, Kommandeur der 270 verbliebenen Unamir-Soldaten, dem die geheime Aufrüstung der ruandischen Armee durch Frankreich bekannt war, war außer sich über die französischen Waffenlieferanten. »Wenn sie hierher kommen, um ihre verdammten Waffen an die Regierung zu verteilen, werde ich ihre Flugzeuge abschießen lassen«, soll der General in einer privaten Unterhaltung gesagt haben.

Im von den Franzosen besetzten Südwesten des Landes fanden sich nicht nur Hutus auf der Flucht vor den Vergeltungsmaßnahmen von Teilen der RPF ein. Auch diejenigen, die auf den Dörfern unter Androhung von Gewalt viele zu Mördern gemacht hatten, flüchteten sich hierher – lokale Parteikader, Milizenbosse, Bürgermeister. Viele Flüchtlinge kamen als Geiseln in der Hand der Massenmörder, nicht selten wurden die, die zurückbleiben wollten, erschossen.

Was die französische Regierung und deren Bündnispartner motivierte, ein diktatorisches Regime bis zum Äußersten bedingungslos zu unterstützen, ist möglicherweise für immer mit jenen geschredderten Papieren verloren gegangen, die angeblich in der Botschaft des Landes in Kigali zurückgelassen wurden. Vermutlich vereinten sich eine paranoide Angst vor einer »angelsächsischen Verschwörung« gegen den pré carré genannten Einflussbereich der französischen Afrikapolitik mit den Interessen der auf eigene Rechnung arbeitenden Lobbyisten im Solde des Habyarimana-Regimes und der kaltblütigen Kalkulation, die Beziehungen zu Ruanda nach den Massakern wie gewohnt fortführen zu können.

Die Stärkung des US-amerikanischen Einflusses in Zentralafrika wurde durch das Bündnis zwischen Francafrique und den Hutu-Extremisten zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung. Die USA und Großbritannien als wichtigste Partner der RPF-Regierung duldeten und unterstützten ab 1996 den Einmarsch von Truppen Ruandas und dessen damaligen Verbündeten Uganda in den Osten Zaires. Damit sollte den von dort aus agierenden Hutu-Power-Milizen das Rückzugsgebiet genommen werden. Zaires Diktator Mobutu hatte die neu organisierten Génocidaires mit offenen Armen empfangen. 1997 jagte ihn eine von Ruanda militärisch unterstützte Rebellenallianz aus dem Amt, das Land wurde in Demokratische Republik Kongo (DRC) umbenannt.

Als die legitimen Sicherheitsinteressen Kigalis im Laufe des Krieges den privaten Wirtschaftsinteressen einer militärischen Elite Platz machten (Jungle World, 46/02), verstärkte sich der Druck der Großmächte auf Ruanda und Uganda, ihre Truppen zurückzuziehen. Zumindest offiziell stehen heute keine ruandischen Truppen mehr im Osten der DRC.

Die Beziehungen Ruandas zu Frankreich sind kurz vor dem zehnten Jahrestag des Völkermordes auf einem neuen Tiefstand angelangt. Im März legte der französische Untersuchungsrichter Jean-Louis Bruguière einen Bericht vor, dem zufolge die RPF für den Abschuss des Flugzeuges Habyarimanas am 6. April 1994 verantwortlich sein soll (Jungle World, 13/04). Der ruandische Präsident Paul Kagame wies die Anschuldigungen zurück und behauptete in einem Interview, Videoaufnahmen von französischen Soldaten zu haben, die sich an der Selektion von Tutsi während der Massaker an den Straßensperren beteiligten.

In Wissenschaft und Politik wird die ruandische Katastrophe heute vor allem als Argument für eine verstärkte Militarisierung der Afrikapolitik gebraucht. Die Ziele und Hintergründe der damaligen Interventionspolitik werden dabei ignoriert. »Aus aufgeklärtem Selbstinteresse« müssten »multilaterale Befriedungsinterventionen militärischer Art« zum allgegenwärtigen Instrumentarium von EU und OECD-Staaten gehören, schrieb Rainer Tetzlaff, Politikprofessor an der Universität Hamburg, mit Blick u.a. auf Ruanda kürzlich in der Zeitschrift Parlament. Doch 1994 lag es im »aufgeklärten Selbstinteresse« der USA und Großbritanniens, nicht einzugreifen, in dem Frankreichs, mit den Mördern zu kollaborieren und ihnen nach der Tat, mit Hilfe einer »humanitären Intervention«, den Fluchtweg frei zu halten.