Die juristische Aufarbeitung des Genozids in Ruanda

Recht und Rache

Justiz nach dem Völkermord

Die Verbrechen in Ruanda werden derzeit auf drei juristischen Ebenen verhandelt: vor einem UN-Tribunal, den nationalen Gerichten und in lokalen Dorfversammlungen. Vor dem Internationalen Ruanda-Tribunal (ICTR) im tansanischen Arusha müssen sich seit Januar 1997 die Haupttäter vor von der UN-Vollversammlung gewählten Richtern verantworten. 72 Verteidiger stehen den Angeklagten zur Seite. Bis März dieses Jahres wurden hier 20 Urteile verhängt, überwiegend langjährige Haftstrafen bei drei Freisprüchen. Die Verurteilten waren in unterschiedlichen Funktionen am Völkermord beteiligt, als Bürgermeister, Mitglieder der Regierung, Milizenchefs und Journalisten. 42 Personen warten derzeit in Arusha auf ihre Verhandlung oder stehen bereits vor Gericht. Darunter befinden sich hochrangige Militärs, Politiker, Regierungsangestellte und einige Priester. 2008 soll das Tribunal seine Arbeit beenden.

Die nationalen Gerichte Ruandas sehen sich einer überwältigenden Anzahl Verdächtiger gegenüber. Qualifizierte Juristen gibt es auch heute nicht in ausreichender Zahl, da während der Massaker nahezu alle Anwälte und Richter ermordet, außer Landes getrieben oder zu Tätern wurden. 90.000 Verdächtige sitzen derzeit nach Regierungsangaben in ruandischen Gefängnissen und warten auf ihre Verhandlung. Um die Prozesse zu beschleunigen, werden Geständigen Strafnachlässe gewährt. 60.000 Menschen haben nach offiziellen Angaben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Ein Teil von ihnen muss vor der Entlassung Umerziehungslager durchlaufen.

Nach einem im März 2001 erlassenen Gesetz wurde mit den Gacaca-Gerichten ein drittes Instrument der Rechtsprechung aufgebaut. Verdächtige werden Dorfversammlungen vorgeführt, Laienrichter entscheiden über Schuld und Strafmaß. Die an vorkolonialen Schlichtungsinstitutionen orientierten Gacaca-Gerichte sollen die nur langsam voranschreitende juristische Aufarbeitung des Völkermordes beschleunigen und das Schweigen, das in vielen Dörfern über die Geschehnisse von 1994 herrscht, durchbrechen.

Die Kritik an der Strafverfolgung richtet sich vor allem gegen das ICTR und die Gacaca-Gerichte. Einige Beobachter bemängeln, dass in Arusha und vor Dorfversammlungen ausschließlich der Völkermord und nicht die Kriegsverbrechen und Racheakte von Teilen der RPF verhandelt werden. »Wenn der Gacaca-Prozess nicht sowohl Hutu als auch Tutsi einschließt, wird er eher als Rache denn als Aussöhnung angesehen werden«, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Beitrag von African Affairs.

Rache nehmen derzeit andere. Ende letzten Jahres wurden in Gikongoro vier Überlebende des Völkermordes umgebracht, die gegen Verdächtige aussagen wollten. Über neun Angeklagte wurde wegen eines dieser Morde Anfang vergangenen Monats die Todesstrafe verhängt, ein weiterer muss lebenslang ins Gefängnis.

Verbrechen wie diese, meinen Strafverfolger und Menschenrechtsgruppen, gebe es schon seit zehn Jahren, sie würden jedoch von der Regierung heruntergespielt, um keine Panik zu verursachen. Doch das Problem ist real und vielleicht entscheidend für die Stabilität des Landes. Tausende demobilisierte Milizionäre kehren derzeit aus dem Osten der Demokratischen Republik Kongo in die bettelarmen Dörfer zurück. Tutsi ziehen in die besser gestellte Hauptstadt Kigali, auch aus Angst vor den Rückkehrern. So reproduzieren sich einmal mehr Identitätsgruppen, die nach offizieller Rhetorik gar nicht mehr existieren.