Kap der alten Hoffnung

Bei den Wahlen in Südafrika baut der ANC seine Mehrheit aus, aber er erntet nicht mehr nur Zustimmung. von romin khan, kapstadt

Im Sektor Side C von Khayalitsha, der größten Township Kapstadts, gibt es keine Schule und kein öffentliches Gebäude, das als Wahllokal benutzt werden könnte. Die Gegend ist geprägt von Holz- und Blechhütten, daher hat die unabhängige Wahlkommission ein Wahlzelt aufgestellt.

Etwa 30 Menschen warten am Nachmittag darauf, ihr Kreuzchen machen zu können. Andiswa Msinla wohnt in einer Hütte ohne Strom, fließendes Wasser und Toilette. Dennoch hat sie gerade den ANC gewählt. »Natürlich hoffe ich, dass ich bald ein vernünftiges Haus kriege. Aber hinsichtlich meines Jobs hat sich vieles verbessert. Ich habe jetzt Rechte und bekomme bessere Bezahlung«, erzählt die 34jährige Hausangestellte, die in den weißen Vierteln Camps Bay und Seapoint arbeitet, circa eineinhalb Autostunden von ihrem Wohnort entfernt.

Der 20jährige Fundile Mabanda wohnt unter den gleichen Bedingungen. Er beklagt auch den Mangel an Cricketplätzen vor Ort. »Und wenn wir gegen weiße Teams spielen, werden wir häufig rassistisch beschimpft, das ist besonders in Kapstadt der Fall.« Trotz aller Probleme gibt er dem ANC eine zweite Chance, aber er hofft, dass die Regierung sich besser um an Aids erkrankte Menschen kümmert.

Erst wenige Wochen vor den Wahlen begann die Regierung nach monatelangen Querelen mit der Ausgabe von Antiretrovirals an HIV-Infizierte. Diese Medikamente werden zur Stärkung des Immunsystem eingesetzt, und ihre Ausgabe ist eine der Hauptforderungen der einflussreichen Treatment Action Campaign (Tac). Aids war dennoch, trotz der hohen Infektionsrate in Südafrika, kaum ein Thema im Wahlkampf.

Die Armut und die weit verbreitete Arbeitslosigkeit waren die am heftigsten diskutierten Themen. Doch obwohl die Reformen und Sozialprogramme nur schleppend vorankommen und die ökonomische Situation sich verschlechtert, konnte der regierende ANC seine Hegemonie wahren. Auch zehn Jahre nach dem Ende der Apartheid sehen die meisten Südafrikaner im ANC, der den Kampf um die Gleichberechtigung der Nichtweißen anführte, die Partei, die am ehesten ihre soziale Lage verbessern kann.

Die Bilder der Wahlen vom 14. April ähneln jenen von den ersten freien Wahlen nach dem Ende der Apartheid am 26. April 1994. Auch diesmal bildeten sich vor allem in den Townships wieder lange Schlangen vor den Wahllokalen. Doch die Beteiligung ist gegenüber den Vorjahren zurückgegangen. Nur 20 von 27 Millionen Menschen leißen sich ins Wahlregister eintragen, und letztendlich haben nur 77 Prozent der registrierten Wähler ihre beiden Stimmen für das nationale Parlament und die Provinzvertretung abgegeben. Bei den letzten Wahlen hatten 1999 noch 89 Prozent von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht.

Der von den sozialen Bewegungen geäußerte Aufruf zum aktiven und passiven Wahlboykott scheint geringfügig Widerhall gefunden zu haben, denn mehr als ein Prozent der abgegebenen Stimmen war ungültig. Dennoch haben Gruppen wie das Antiprivatisationforum und das Landless Peoples Movement nicht das Grundvertrauen der Bevölkerungsmehrheit auf den ANC erschüttern können. Linke und liberale ANC-Kritiker errangen bei den Wahlen nur einen Achtungserfolg.

»Mein Leben hat sich mit dem Ende der Apartheid deutlich verbessert«, sagt der 53jährige Donald Julie. Der selbstständige Tischler lebt in Mitchells Plain, dem größten Stadtteil für Coloureds weit außerhalb des Stadtzentrums von Kapstadt. »Wir haben mehr Freiheiten, und ich glaube, dass die Regierung in die richtige Richtung geht.« Dennoch geht seine Stimme an diesem Tag nicht an den ANC, sondern an die Independent Democrats (ID), eine Parteineugründung der charismatischen Patricia de Lille, die vormals Abgeordnete für den Pan Africanist Congress war. Die ID greift Themen auf, die von den anderen Parteien ignoriert werden, wie die bessere Behandlung von Aids-Infizierten, freie Bildung und die Rechte von Schwulen und Lesben. Das brachte der Partei immerhin zwei Prozent der Stimmen.

Die weit verbreitete Ablehnung der Regierung durch Coloureds bringt die Studentin Monique Pinto vor dem gleichen Wahllokal zum Ausdruck. Sie meint, dass Coloureds im Gegensatz zu Schwarzen nicht von der Affirmative-Action-Politik der Regierung profitieren und es keine Entwicklung in ihren Stadtteilen gibt, und wählt die New National Party (NNP), die Nachfolgerin der National Party, die das Apartheid-Regime trug. Vollkommen anderer Meinung dagegen ist die ebenso in Mitchells Plain wohnende Angestellte Janine Petersen: »Ich kann nicht verstehen, dass Coloureds immer noch meinen, keine schwarze Regierung wählen zu können. Der ANC kümmert sich ernsthaft um die Probleme und hat in den letzten zehn Jahren viel erreicht.«

Die Strukturen der Apartheid sind noch nicht vollständig überwunden, dennoch werden diese Wahlen weithin als ein großer Schritt zur Konsolidierung der Demokratie gewertet. Das hat vor allem damit zu tun, dass der Wahltag in den meisten Provinzen ruhig verlief. Selbst in Kwazulu-Natal, dem Brennpunkt der Kämpfe zwischen dem landesweit regierenden ANC und der regional noch regierenden Inkatha Freedom Party (IFP), kam es zu keinen größeren Störungen.

Der ANC und Präsident Thabo Mbeki gehen erwartungsgemäß als die strahlenden Sieger aus den Wahlen hervor. Nach den letzten Auszählungen hat die Regierungspartei 70 Prozent der Stimmen gewonnen. Damit hat der ANC die ausreichende Anzahl an Parlamentssitzen, um Verfassungsänderungen zu veranlassen.

Als größte Oppositionspartei geht die Democratic Alliance (DA) aus den Wahlen hervor. Sie versuchte, sich im Wahlkampf als populistische Alternative zum ANC zu etablieren, und konnte etwa dreizehn Prozent der Stimmen von hauptsächlich weißen Wählern auf sich vereinigen. Damit hat sie seit 1999 um vier Prozent zugelegt.

Die NNP dagegen scheint vor dem Untergang zu stehen. Ihre Wahlbasis erweiterte sich in der Post-Apartheidszeit um die Gruppe der sogenannten Coloureds. Coloureds waren während der Apartheid gegenüber den Schwarzen besser gestellt, und viele fühlen sich noch immer den ehemaligen Unterdrückern näher als dem ANC und seiner hauptsächlich schwarzen Basis. Bis 2001 stellten DA und NNP eine Koalitionsregierung im Western Cape, der Provinz um Kapstadt, welche neben Kwazulu-Natal die einzige Provinz war, in der der ANC nicht über die absolute Mehrheit verfügte. Doch die NNP scherte aus der Koalition aus und verbündete sich mit ihrem ehemaligen Widersacher, dem ANC.

Diese Kooperationsbereitschaft wurde von den Wählern nicht gewürdigt. Die DA hetzte im Wahlkampf aggressiv gegen den »Verrat« und führt ihren Zugewinn auf die Umorientierung enttäuschter weißer NNP-Wähler zurück. Die NNP, die 1994 noch 20 Prozent der Stimmen errang, kommt landesweit nur noch auf zwei Prozent. Im Western Cape war sie mit zehn Prozent vergleichsweise erfolgreich. Der ANC erreichte hier über 40 Prozent und wird vorraussischtlich den nächsten Ministerpräsidenten der Provinz stellen. In Kwazulu-Natal könnte die geschwächte IFP eine Koalition mit der DA eingehen. Sollte ein solches Bündnis nicht zustande kommen, dürfte der ANC auch hier die politische Führung übernehmen und erstmals alle neun südafrikanischen Provinzen regieren.

Die Wahlen haben die Hegemonie des ANC noch einmal gestärkt. Dies ist weniger darauf zurückzuführen, dass viele Menschen von seiner Politik überzeugt sind. Wahlentscheidend war vielmehr eine politische Gemengelage aus Fatalismus, Loyalität und der Abwesenheit von Alternativen.