Rocky Mountains

Eine Liebe zu Ted Nugent und Anton Bruckner. stefan ripplinger bilanziert sein Rockerleben

Wer sein Leben Revue passieren lässt und feststellt, dass seine erste Liebe Ted Nugent und seine vorerst letzte Anton Bruckner zugefallen ist, sieht ein, dass sich nichts geändert hat. Ted Nugent und Anton Bruckner – den üblichen Kennern, Spex-Lesern und Mozartliebhabern gelten sie, vielleicht nicht zu Unrecht, als größenwahnsinnige, nicht selten »faschistoide« Holzköpfe. Und ist das nicht die Bilanz einer Rockerexistenz? Es ändert sich dies, es ändert sich das, aber im Grunde bleibt man doch derselbe Idiot und liebt dieselben Idioten.

Auch ziemlich rockig, nämlich felsenhart und steindumm, ist es, sich zu dieser Liebe zu bekennen. Aber die Rücksichtnahme auf das Zartgefühl und den besseren Geschmack der anderen kennen ja nur die mittleren Jahre, wenn man, aus diesem und jenem Grund, um Partnerinnen und Partner buhlt, der pubertäre Desperado kennt sie so wenig wie der gelassene Alte. Der eine wie der andere sehnt sich nach einem oft hässlichen Krach, der die Wände einstürzen und die Felsen zittern lässt.

Da tritt dann beispielsweise Nugent auf, ein Gitarrenmalträtierer, gebürtig zwar aus Detroit, motor city, aber gerade aus den Rocky Mountains zurückgekehrt, wo der begeisterte Jäger Tiere tot gemacht hat (sein Kochbuch heißt »Kill It And Grill It«), angetan mit Stofflappen und einem furchtbaren Fusselbart, den Schwanz eines selbst erlegten Stinktiers an den Gürtel geknüpft, und plärrt ins aufgewühlte Publikum: »Can you hear me?« Er ist seinerzeit, 1977, der lauteste Rocker weit und breit, bei Freiluftkonzerten noch in 30 Kilometern Entfernung zu hören, und das nehme ich durchaus als Qualität.

Oder Bruckner, der aus einem Dorf in Oberösterreich kommt, erstes von elf Kindern eines Lehrers, auch er ein täppischer Schrat, zutiefst konservativ wie Nugent und wie dieser vernarrt in sein Instrument. Bei Nugent sind es Les-Paul-Derivate, während alle anderen längst auf Fender spielen, bei ihm ist es die Orgel, deren Register er noch in seinen Symphonien für großes Orchester zieht. Seiner unbezweifelbaren Fähigkeit wegen zitiert man ihn in die Hauptstadt, wo es bald zu Reibungen kommen muss. Seine Musikschülerinnen beklagen sich, er belästige sie, aber haben vermutlich doch nur seinen Dialekt missverstanden. Ein kleiner Mann mit Vorliebe für Pilsner und G’selchtes, aber fallweise großmannssüchtig; sein letzter Wunsch, als »Leiche I. Classe« beerdigt zu werden, wird ihm immerhin gewährt.

Keine Schande ist es, aus kleinen Verhältnissen zu stammen, solange man sie hinter sich lässt. Bei diesen beiden ist es schwer zu sagen: Wollen sie nicht oder können sie nicht? Sie scheinen irgendwie stecken geblieben, nicht helle genug. Bruckner, berichtet ein Zeitgenosse, spaziert durch Wien und zieht seinen Hut auch noch vor den Kritikern, die sich am Tag zuvor in der Zeitung über ihn ausgeschüttet haben vor Lachen, »Grüß Gott«, nicht aus Noblesse, sondern weil er das in seinem Dorf so gelernt hat. Nugent füllt Mitte der Siebziger die Stadien, aber verliert erst den Überblick und dann sein Geld, und wenn man ihn fragt, waren fag producers schuld, irgendwelche Schwuchteln aus New York.

Das sind Gestalten, die den Kleinbürgersohn anziehen, welchen die feinen Unterschiede der Bourgeoisie durchaus interessieren, aber der nach Einbruch der Dämmerung doch, wenn auch einen Sicherheitsabstand wahrend, sich den Feuern jener Troglodyten nähert, die aus nichts als muscle and mud zu bestehen scheinen. Irgendein mächtiger Zwang hält ihn davon ab, die Wünsche seines Körpers zu missachten, obwohl er sie doch nicht erfüllen kann. Lieber möchte er noch ein wenig Öl ins Feuer gießen.

Es passiert in Wahrheit gar nichts, aber die Hitze steigt. Und wenn Nugent prahlt: »Alright, baby, you see what I got here in my hands? I got it right here in my hands, and it’s for you, baby«, weiß man für einen Moment nicht, ob er seinen meterlangen Schwanz oder seine 62er Gibson Byrdland meint, und das muss den 14jährigen Knaben, der noch über kein nennenswertes phallic attachment verfügt, naturgemäß erregen. So sehen die Exzesse eines orthodoxen Großmauls aus, der, wie schon sein Vater, alle Drogen, Alkohol und Tabak eingeschlossen, meidet. Nugent betitelt seine Autobiografie dann auch »God, Guns, & Rock’n’Roll«; man beachte die Reihenfolge. Bruckner, der seine letzte und größte Symphonie allen Ernstes dem »lieben Gott« widmet, macht zugleich deutlich, dass dieser Gott doch nicht ganz so lieb ist. Im Scherzo trampelt Er mit eisenbeschlagenen Riesenstiefeln über die Menschheit hin, und solche alttestamentarische Gewalt ist keine Ausnahme.

Kent Nagano hat kürzlich in einer kühnen Lektüre der Vierten, deren Urfassung er spielte, die ganze Schroffheit des Mannes vor Augen geführt. Wo die späte Fassung sich wenigstens um Statik bemüht, wenn auch die Blöcke merklich wanken, bietet jene nichts als eine zerklüftete Felsenlandschaft, Rocky Mountains, turmhohe Klangsäulen, dann Sturz in tödliche Pausen, neue Gipfel, neue Abgründe. Das ist zugleich archaisch und verblüffend modern. Schön ist es nicht.

Alle körpernahe Kunst, Rock’n’Roll par excellence, suhlt sich in der Hässlichkeit. Man soll immer hören, wie die Materie ächzt; die Gitarre quiekt, das Orchester schwitzt in vollem brass bombast. Die Musik hebt ab, das schon, aber nicht ohne eine Menge Schlamm mitzureißen. Bruckner gewährt Erlösung, nicht ohne die Gesetze der Gravitation gehörig spüren zu lassen, bei Nugent gibt es keine Erlösung, dafür sind die Stücke kürzer. Sie werden jedenfalls immer kürzer; mit den Amboy Dukes hat er es noch fertig gebracht, denselben Riff hundertmal hintereinander zu bringen. Alle Welt rät Bruckner zu erheblichen Streichungen, aber trotzig geht er immer mehr in die Breite, das grandiose Adagio der Fünften beharrt geradezu manisch auf seinem schlichten Motiv.

Die Wiederholung, das Obsessive scheinen auf Wahnsinn zu deuten. Nugents bestes Stück heißt »Motor City Madhouse«, und er braucht sich nicht viel Mühe zu geben, um vorzustellen, er wäre demselben entsprungen. Bei Bruckner ist Mit- und Nachwelt unentschlossen, wie sie seine Wunderlichkeit nennen soll, aber diese selbst steht außer Zweifel, und unter den maniacs des 19. Jahrhunderts kommt ernsthaft nur er in Betracht; Schumann und Liszt, die hemmungslos genug sein können, erscheinen im Vergleich kurzatmig.

Aber warum Wahnsinn, Ausschweifung, Maßlosigkeit? – Der Knabe spürt mehr Kräfte, als er besitzt, er wärmt sich an der Vorstellung, dass einer, und wenn auch nur aus Plumpheit und Präpotenz, die Türen eintritt, die er nicht gleich öffnen kann. Wenige Jahre danach begegne ich R., der, bevor er Totengräber und Bergmann war, als Roadie gearbeitet hat. Der Verrückteste von allen sei Ted Nugent gewesen, berichtet er. Der ließ es sich nicht nehmen, zu Beginn der Show mitsamt Gitarre eine viele Meter hohe Wand von Lautsprechern zu überspringen. Eine halsbrecherische Übung, für die man entweder schlicht oder beknackt genug sein muss.

Bei Bruckner ist das, was zunächst unförmig erscheint, nur größer gedacht. Wer alles gehört hat, für den schließt es sich am Ende doch zu einem gewaltigen Gebäude. Unbürgerlich bleibt aber diese geradezu mutwillige Missachtung des Wohltemperierten, Ausgewogenen und Zivilisierten. Darin kann, wer will, etwas Unmenschliches sehen, aber unmenschlich ist es auch, die Luft zum Atmen zu kontingentieren. Hier gibt es genug. Wir befinden uns im Gebirge, wo sich Fuchs, Hase und cave men Gute Nacht sagen.