Die Wahl der Waffen

Vor zehn Jahren erfolgte in Südafrika der Übergang von der Apartheid zur Demokratie. Von Alex Veit
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An den Übergang von der Apartheid zur Demokratie in Südafrika erinnert man sich heute als ein Wunder, als eine friedliche Lösung eines unlösbar erscheinenden Konflikts. Denn entgegen allen Befürchtungen und Vorhersagen kam es nicht zum apokalyptischen Showdown zwischen weißen und schwarzen Südafrikanern, sondern zu Verhandlungen, die die Machtübergabe des Apartheidsregimes an eine frei gewählte Regierung ermöglichten. Die ersten freien Wahlen fanden Ende April des Jahres 1994 statt.

Doch die Apartheid wurde nicht einfach von den Politikern der südafrikanischen Parteien weggeredet. Das Ende der institutionalisierten rassistischen Unterdrückung musste in gewaltsamen Auseinandersetzungen erkämpft werden, in denen 20 000 Menschen starben. In diesem Krieg, der gleichzeitig zu den Verhandlungen über eine neue staatliche Ordnung von 1990 bis 1994 stattfand, kamen mehr Menschen gewaltsam ums Leben als während jeder anderen Zeitspanne der Apartheidsgeschichte. Dass diese Opfer des Rassismus heute in den südafrikanischen und internationalen Medien kaum Erwähnung finden, hängt damit zusammen, dass sie fast ausschließlich schwarze Südafrikaner waren.

In diesem Krieg entstanden auf Seiten der Befreiungsorganisation African National Congress (ANC) neue bewaffnete Gruppen, so genannte Self-Defence Units (SDU). Diese Freiwilligenmilizen verteidigten die Townships, die Wohnorte der urbanen schwarzen Bevölkerung, gegen die Angriffe der Polizei, der Armee und der Inkatha Freedom Party (IFP). Von der erfolgreichen Verteidigung durch die meist aus arbeitslosen Jugendlichen bestehenden SDU hing es ab, ob die Bewohner der Townships die Befreiungsbewegung weiter unterstützten. Da Macht und Überzeugungsfähigkeit des ANC am Verhandlungstisch maßgeblich davon definiert wurden, wie viele Unterstützer die Organisation bei Demonstrationen, Streiks und anderen Formen des zivilen Widerstands mobilisieren konnte, hing von der Verteidigung der ANC-Basis die Form und vielleicht sogar die Entstehung des »Neuen Südafrika« ab.

Denn das Regime spielte ein doppeltes Spiel. Während Präsident Frederik Willem de Klerk und seine Mitarbeiter mit der Führung des ANC verhandelten, versuchten ihre Untergebenen, die Townships durch Gewalt zu destabilisieren. Ihr Ziel war es, durch die Massaker und Morde entweder einen Bürgerkrieg auszulösen, aus dem die Apartheidskräfte als Sieger hervorgehen würden, oder aber die Anhängerschaft des ANC so weit zu demoralisieren, dass die Befreiungsbewegung Privilegien für die weiße Minderheit in einer neuen Ordnung akzeptieren müsste.

Auch die mit der Regierung zu Anfang verbündete Inkatha hatte in den Verhandlungen viel zu verlieren. Die ethnonationalistische Partei nahm für sich in Anspruch, die zahlenmäßig größte Minderheit, die zulusprachige Bevölkerung, im Land zu vertreten. Die Organisation spielte seit den siebziger Jahren durch ihre autoritäre Herrschaft im autonomen Homeland Kwazulu, einer Art Reservat, eine wichtige Rolle auch in der nationalen Politik. Ihr Präsident Mangosuthu Buthelezi empfahl sich als konservativer und marktwirtschaftsfreundlicher Anführer einer Massenorganisation, der die Apartheid mit friedlichen Mitteln reformieren wollte. Buthelezi war bei konservativen Weißen im In- und Ausland hoch angesehen und wurde von der Regierung in wichtigen Fragen regelmäßig konsultiert.

Die Gewaltlosigkeit der Zulu-Nationalisten war allerdings eher rhetorischer Art. Bereits seit 1984 führte die Inkatha in Kwazulu und in der umgebenden Provinz Natal gegen die United Democratic Front, eine Stellvertreterorganisation des damals verbotenen ANC, einen Krieg um die Vorherrschaft in der Region.

Eine Kernforderung des ANC in den Verhandlungen seit 1990 war die Abschaffung aller Homelands. Das stellte für die IFP eine existenzielle Bedrohung dar. Denn der Verlust des Homeland Kwazulu mitsamt seinen finanziellen Mitteln, der eigenen Polizeitruppe und der obligatorischen Mitgliedschaft aller Beamten und Lehrer in der Inkatha hätte den Abstieg der Organisation von einer nationalen Kraft zu einer allenfalls regionalen Splitterpartei bedeutet.

Die Inkatha musste angesichts der veränderten politischen Bedingungen eine neue Strategie finden, um im neuen Südafrika eine Rolle zu spielen. Deshalb eskalierte sie den Krieg in Natal und begann im industriellen Zentrum des Landes, der Reef-Region um die Metropole Johannesburg, neue Mitglieder unter der großen Zahl von Wanderarbeitern aus Kwazulu zu rekrutieren. Diese gewaltsame Rekrutierungskampagne entwickelte sich schnell zu einem gewaltsamen Konflikt zwischen Self-Defence Units des ANC auf der einen und mit Polizei- und Armeeeinheiten verbündeten IFP-Parteigängern auf der anderen Seite.

Die regierende Nationale Partei (NP) unter Präsident de Klerk sah die gewaltsame Rekrutierungskampagne der Inkatha wohlwollend. Damals rechneten sich die konservativen Weißen aus, dass eine Koalition der NP und der IFP möglicherweise eine parlamentarische Mehrheit auch bei Wahlen erreichen könnte. Und für dieses Ziel war ihnen jedes Mittel recht.

Die Menschen in den armen Vorstädten Johannesburgs erlebten den Übergang zur Demokratie in Südafrika nicht als einen friedlichen Wandel, sondern als einen Krieg, in dem sie die Last der Machtkämpfe an den Verhandlungstischen zu tragen hatten. Auf die tödliche Gefahr, die von den gepanzerten Fahrzeugen der Polizei und der Armee und von zehntausenden bewaffneten Inkatha-Anhängern ausging, regierten die Township-Bewohner mit einer kollektiven Antwort, der Gründung der Self-Defence Units.