Olympischer Friedhof

Auf den Baustellen fließt Blut. Vor allem Migranten arbeiten unter schlimmen Bedingungen, um Griechenland fit für Olympia zu machen. von harry ladis, thessaloniki

Olympiagegner in Griechenland reden in ihrer Kampagne gerne vom »olympischen Friedhof«. Eigentlich meinen sie damit, dass alle Kritiker mundtot gemacht werden, die sich gegen die extreme Geldverschwendung, die Repression, die Sanierung der Austragungsorte und ihre Zubetonierung mit später unbrauchbaren olympischen Sportstätten aussprechen. Inzwischen jedoch bekommt das Wort vom olympischen Friedhof eine neue Bedeutung: 13 Bauarbeiter sind bereits auf den Olympiabaustellen des Landes ums Leben gekommen.

In Griechenland ist Sicherheit am Arbeitsplatz ohnehin kaum ein Thema. 153 tödlich verunglückte Arbeiter gab es allein im Jahr 2002. 2003 waren es 145. Das bedeutet, dass in Griechenland etwa alle zweieinhalb Tage jemand während seiner Lohnarbeit stirbt. Das meiste Blut wird auf den Baustellen vergossen. Laut einer Statistik, die während einer gemeinsamen Konferenz einer Initiative von Bauarbeitern und einer linken Gruppe Anfang April mitgeteilt wurde, starben in den letzten 27 Monaten allein auf Baustellen 91 Arbeiter. Kritik wurde nicht nur an der Regierung geübt, sondern in aller Schärfe auch an den ausbleibenden Reaktionen der großen Gewerkschaften.

»Es geht hier nicht um Unfälle, sondern um Morde«, so die Veranstalter der Tagung. Arbeit werde zu einem wahren Überlebenskampf.

Es gibt keine Statistik, die die Verletzten und Amputierten aufzählt, da die meisten Bauarbeiter unversichert sind. Gewerkschaftliche Quellen meinen, dass die Zahl der bei Arbeitsunfällen verletzten Arbeiter etwa 80 mal so hoch ist wie die der Todesfälle. Offizielle Statistiken sprechen immerhin von 6 329 schweren Arbeitsunfällen im Jahre 2003 in Griechenland.

Grund für die besonders hohe Unfallrate sind oft abenteuerliche Arbeitsbedingungen auf dem Bau. Die einfachsten Sicherheitsmaßnahmen werden ignoriert, das Leben und die Unversehrtheit der fast ausschließlich ausländischen Arbeiter aus Albanien, Pakistan, Syrien usw. fallen den olympischen Großträumen zum Opfer.

Die meisten Arbeiter haben auf den Olympiabaustellen mit schlimmen Bedingungen zu kämpfen: Überstunden werden nicht bezahlt, und zwischen zehn und 18 Stunden Arbeitszeit pro Tag sind keine Seltenheit. Das ganze bei einer Siebentagewoche. Urlaubsgeld, Sonntags- oder Feiertagszuschläge sind ebenso wenig vorgesehen wie Toiletten, Trinkwasser oder medizinische Versorgung am Arbeitsplatz. Die Bedienung von schweren und gefährlichen Maschinen wird unausgebildeten Arbeitern überlassen.

Doch der Termin für die Olympischen Spiele drängt. Es muss gebaut werden, offenbar ohne Rücksicht auf Verluste und unter einem gnadenlosen Zeitdruck. Wer auch immer für die Verzögerungen beim Olympiabauplan verantwortlich ist, die Konsequenzen tragen wie immer die Schwächsten.

Die Regierung der Nea Dimokratia hat ebenso wie die ehemalige Pasok-Regierung immer wieder die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen anerkannt. Doch außer warmen Worten hat sich nichts getan. Scheinbar wollen die griechischen Unternehmen mit den multinationalen Konzernen Schritt halten, die während der Spiele ihre Produkte vermarkten wollen. Vor allem bezüglich der Arbeitsbedingungen scheinen die Sweat-Shops von Nike, Adidas, Puma und Co. in Kambodscha, Indonesien und Bulgarien das Vorbild für griechische Baufirmen zu sein.

Eine Liste mit sämtlichen Namen der auf den Olympiabaustellen »Gefallenen«, die von den Baugewerkschaften und Oppositionsparteien zusammengestellt worden ist, sei von den Medien bewusst verschwiegen worden, beklagten sich indes griechische Journalisten gegenüber einem Korrespondenten der britischen Zeitung The Independent, der sich des Themas annahm. Vor zwei Wochen zitierte die Zeitung den Sprecher der Arbeiter auf den olympischen Baustellen, Giorgos Filiousis: »All diese Unfälle hätten vermieden werden können. Was passiert ist, ist kriminell und geschah im Namen des Verdienstes.«

Gianna Agelopoulou, die Vorsitzende des Organisationskomitees der Olympischen Spiele 2004, scheint sich durch diese Kritik nicht stören lassen zu wollen. Es tut sich eher eine Kontinuität ihrer Familiengeschichte auf, denn die Agelopoulos fielen während des Zweiten Weltkriegs durch bereitwillige Zusammenarbeit mit der Wehrmacht auf, für die ihre Fabrik Nägel produzierte. Damals wurden die Arbeiter von der Familie mit übrig gebliebenen Nägeln bezahlt.

In Griechenland wird im Hinblick auf die Olympischen Spiele das Arbeitsrecht insgesamt stark eingeschränkt. Im August darf kein Beamter oder Angestellter Urlaub nehmen, die Arbeitszeiten sollen sich zur Deckung der Konsumbedürfnisse der einstürmenden Touristen bis Mitternacht verlängern, und dagegen darf selbstverständlich laut einer Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeberverband und dem Gewerkschaftsbund nicht gestreikt oder anderweitig protestiert werden. Dass diese flexiblen Arbeitsbedingungen auch nach dem Ende der Spiele erhalten bleiben, ist sicher mehr als nur eine paranoide Befürchtung.

Christos Miamis, Astrit Koci, Manea Marinel, Alexi Baci sind die Namen einiger der verunglückten Arbeiter. Unbekannt leben, unbekannt sterben – das Schicksal eines ausländischen Bauarbeiters ist nicht von allgemeinem Interesse. Die Toten waren schließlich keine eingewanderten Ringer oder Gewichtheber aus Georgien, die Griechenland Goldmedaillen einbringen. Ihr Tod hat die Bauunternehmen eine Geldbuße zwischen 500 und 2 000 Euro gekostet. Sie sind Opfer eines internen sozialen Krieges. Von Entschädigungen kann kaum die Rede sein, denn oft werden ausländische Arbeiter bei Vertragsabschluss gezwungen, auf alle Forderungen zu verzichten. Wer dennoch den Gerichtsweg einschlägt, bekommt irgendwann Angst vor der riesigen juristischen Maschinerie der Gegenpartei und freut sich schließlich sogar noch über eine kleine Abfindung. Da viele ausländische Arbeitnehmer aufenthaltsrechtlich kaum abgesichert sind, droht ihnen sofort nach dem Richtfest die Abschiebung.

Dabei gewesen sein war dann für sie alles.