Typisch Mädchen

Am Girls’ Day konnten sich Mädchen wieder einmal mit Männerberufen vertraut machen. Eingestellt werden sie deshalb noch lange nicht. von claudia seidel

Die Telefonfertigung der Siemens AG Leipzig liegt in einem typischen Gewerbegebiet am Rande der Stadt. Wo vor wenigen Jahren noch Brachland war, stehen nun Flachbauten und Hallen. Hier wird gearbeitet, nicht gelebt. Erika Müller, Personalrätin und zuständig für Aus- und Weiterbildungen bei Siemens, redet von Leiterplatten und Schaltkreisen, von Kunststoffscheiben und Bauelementen. Um sie herum stehen 20 Mädchen aus Mittelschulen und Gymnasien der Stadt und hören mehr oder weniger interessiert zu. Sie sollen erfahren, wie Elektroniker für Geräte und Systeme arbeiten, um später vielleicht selbst einmal diesen Beruf zu wählen.

In den Räumen der Fertigungshalle riecht es eigenartig. Es ist laut und man versteht die Erklärungen der Referatsleiterin nicht mehr. Nora und Elisabeth aus der neunten Klasse sind gekommen, um nicht in die Schule gehen zu müssen, außerdem sei der Tag eine gute Abwechslung. Dann ergänzen sie, dass sie sich einen Überblick über verschiedene Berufsfelder verschaffen wollen und auch schon mal in soziale Berufe hineingeschnuppert haben.

»Das ist mal was anderes als Bäcker oder Friseurin«, sagt Josephine aus der sechsten Klasse schon überzeugter. Nach anderthalb Stunden Rundgang haben einige Mädchen sichtlich genug und stürmen aus der Halle. Doreen glaubt, dass sie mehr Chancen hat, einen Ausbildungsplatz in einem technischen Beruf zu bekommen als einen zur Einzelhandelskauffrau. »Ich komme sowieso viel besser mit Jungen klar als mit Mädchen«, sagt sie.

Der Girls’ Day am 22. April sollte die Mädchen für technische und naturwissenschaftliche Berufe interessieren, die immer noch von Männern dominiert sind. Er stellt auch den Versuch dar, die Vorstellung von »frauenuntypischen« Arbeiten aus den Köpfen zu verbannen. Der für Schülerinnen der Klassen fünf bis elf ausgerichtete bundesweite Aktionstag wurde auch vom Bundesbildungsministerium initiiert.

Vier Jahre gibt es den »Mädchenzukunftstag« nun schon. Angebot und Nachfrage wachsen stetig. 108 000 Mädchen besuchten diesmal Unternehmen, wissenschaftliche Einrichtungen, Verbände und Behörden. Das Bundesgrenzschutzamt Halle lockte die Mädchen mit einer »echten Blaulichtfahrt, Festnahme mit Handschellen und Schießen mit Pfefferspray« in seine Leipziger Zweigstelle. Das Angebot war schnell ausgebucht. Da hatte es so mancher Bäcker, Metallbauer oder Sticker schon schwerer, die Mädchen für seine Branche zu begeistern.

Uneigennützig beteiligen sich die Unternehmen nicht. Schließlich befürchten sie, dass ihnen in Zukunft wegen der demografischen Entwicklung die qualifizierten Fachkräfte ausgehen könnten. »Die Gleichstellung in der Arbeitswelt wird zu einer ökonomischen Notwendigkeit. Die am besten ausgebildete Frauengeneration aller Zeiten ist eine Ressource, die es zu nutzen gilt«, erklärte Familienministerin Renate Schmidt (SPD) auf der Pressekonferenz zum Girls’ Day. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit stellt in einem Bericht fest: »Das Humankapital gewinnt zunehmend an Bedeutung für unseren Hochtechnologie- und Hochlohnstandort.«

Dem entgegnete die Referatsleiterin für Gleichstellung und Frauen des DGB, Christel Degen: »Wir haben nicht das Ziel, die Frauen zur Reservearmee der Arbeitswelt zu machen.« Die Zusammenarbeit der Regierung, der Unternehmen und Gewerkschaften am Girls’ Day schätzte sie als sehr konstruktiv ein.

Dem vermeintlichen Erfolg des Aktionstages steht zum Beispiel die Tatsache entgegen, dass die Zahl der Ausbildungsverträge mit Mädchen 2003 im Vergleich zum Vorjahr um 4,9 Prozent abnahm, während die Verträge mit Jungen um 0,1 Prozent leicht anstiegen. »Diese Tatsache ist um so bemerkenswerter, als junge Frauen laut Statistik eher bereit sind, wegen eines Ausbildungsplatzes umzuziehen«, ergänzte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer den aktuellen Berufsbildungsbericht am 16. April. »Eine Veränderung braucht seine Zeit«, erwiderte die Leipziger Gleichstellungsbeauftragte, Kathrin Sohre. In Leipzig fand der Girls’ Day erst zum dritten Mal statt, und nach so kurzer Zeit könne man noch keine Trendwende ausmachen.

Die Niederlassung der BMW AG in Leipzig bildete in den vergangenen Jahren immer genau eine Elektronikerin oder Mechatronikerin aus, aber dieses Jahr seien unter den 350 BewerberInnen nur vier junge Frauen gewesen, erklärt der Werkstattmeister Dietmar Tripke. Stephanie Reißmann kann gar nicht verstehen, warum sich Mädchen nicht für den Beruf der Mechatronikerin interessieren. Sie ist im ersten Lehrjahr bei BMW. »Viele Mädchen schrecken die körperliche Arbeit und der Schmutz ab«, weiß sie zu berichten.

Unter den 500 MitarbeiterInnen bei Siemens gibt es nicht wenige Frauen, nur sind die meisten keine ausgebildeten Fachkräfte, sondern üben angelernte Tätigkeiten aus, wie die Personalrätin zugibt. »Viele waren Verkäuferin oder Friseurin und haben ihren Job verloren, nun arbeiten sie hier.«

An den Hochschulen sieht es in einigen Fächergruppen nicht anders aus. Der Frauenanteil in der Mathematik und anderen Naturwissenschaften liegt nach Angaben des statistischen Bundesamtes bei 39 Prozent, in den Ingenieurwissenschaften bei nur 22 Prozent. »Mädchen schreiben sich noch immer zu wenige Technikkompetenzen zu. Es gibt ein klares Understatement bei Frauen«, sagt Ulrike Hestermann, die Leiterin des Technikzentrums für Frauen und Mädchen in Frankfurt am Main. Außerdem orientierten sich Mädchen stark an Vorbildern, die ihnen in »männertypischen« Berufen fehlten.

Nach der Gleichstellungsbilanz von 2003 liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen bei knapp zehn Prozent. Unter den Doktoren ist jede dritte eine Frau, unter den Professoren sogar nur jede neunte. Gleichzeitig besagt eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dass »in beinahe allen hoch entwickelten Ländern 15jährige Mädchen eher als Jungen erwarten, später einen gut bezahlten Beruf auszuüben«. Nach dem Studium kippe diese Vorstellung, weil es dann an die Familienplanung gehe, erklärt die Gleichstellungsbeauftragte Sohre. Das bestätigt auch Ulrike Hestermann: »Der Girls’ Day ist eine einzige Alibi-Geschichte.« Vielmehr müsse sich strukturell etwas ändern, die Rahmenbedingungen müssten stimmen. Solange es nicht gewährleistet sei, dass Frauen ihre Kinder zum Beispiel ganztägig unterbringen könnten, sich die Arbeitszeitmodelle nicht der Situation anpassten, Mittel im sozialen Bereich gestrichen würden oder auch die Schule die Jugendlichen zu wenig auf die Berufswelt vorbereite, ändere sich an der Stellung der Frauen in der Arbeitswelt nichts.

Hinzu kommt, dass Frauen im Vergleich zu Männern ein Viertel bis ein Drittel weniger verdienen. Berufe im Sozialbereich sind wesentlich schlechter bezahlt. Das sei auch einer der Gründe, warum Männer diese Berufe kaum wählten, erklärt Hestermann, die ausgebildete Werkzeugmacherin und Diplomingenieurin ist.

Vielleicht war das auch ein Grund, warum Jungen, außer in Brandenburg, an diesem Tag ganz normal zur Schule gingen. »Die Jungen scheuen sich eher vor frauentypischen Berufen, sie sind nicht attraktiv für sie«, sagt Sohre.